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Afghanistan-Wahl hat viele Verlierer

20. Oktober 2010

Fünf Wochen nach der Parlamentswahl in Afghanistan hat die Wahlkommission wegen Betrugs fast ein Viertel der abgegebenen Stimmen für ungültig erklärt. Großer Verlierer der Wahl ist der Westen, kommentiert Ratbil Shamel.

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Porträt Ratbil Shamel (Foto: DW)
Ratbil Shamel ist Leiter der Afghanistan-Redaktion bei der Deutschen WelleBild: DW

Nun ist das Geheimnis gelüftet, das eigentlich keins war: die "Wolosi Dschirga", das afghanische Unterhaus, wird auch in den nächsten fünf Jahren von den Warlords des Landes beherrscht. Ehemalige Mudschaheddin-Führer und ihre Verbündeten sind in vielen Wahlbezirken als Sieger hervorgegangen. Selbst in Kabul, einer Stadt, die bei den Kämpfen zwischen verschiedenen Mudschaheddin-Gruppierungen Anfang der 90-er Jahre fast vollständig zerstört wurde.

Resignation in der Bevölkerung

In Afghanistan ist kaum jemand über die verkündeten Ergebnisse überrascht. Viele Menschen hatten schon vor der Wahl kein Vertrauen zu der so genannten "unabhängigen afghanischen Wahlkommission". Dass Teile der afghanischen Bevölkerung dennoch zur Wahl gegangen sind, hatte andere Gründe: Sie wollten zeigen, dass sie es zumindest mit der Demokratie ernst meinen. Sie sind zu den Urnen gegangen, weil sie vor allem der Welt sagen wollten: "Wir Afghanen lehnen Krieg, Taliban und Extremismus ab." Viele Afghanen wissen vielleicht immer noch nicht ganz genau, was Demokratie bedeutet oder wie ein Parlament funktioniert, doch eins wissen sie ganz bestimmt: Jeder friedliche Machtkampf ist besser als Krieg. Und Krieg erleben die Menschen in Afghanistan seit über 30 Jahren.

Kaum Hoffnung auf Verbesserungen

Dennoch hatte kaum jemand die Illusion, dass seine Stimme etwas im Land verändern könnte. Nach drei Wahlen in den vergangenen neun Jahren hatte sich das Leben vieler Menschen nicht zum besseren gewendet. Ganz im Gegenteil. Die Taliban werden von Tag zu Tag stärker und die Regierung immer schwächer. Auch das neue Parlament wird nicht viel an der jetzigen Situation ändern.

Die einstigen Mudschaheddin–Führer werden sich mit Sicherheit auch in Zukunft nicht für demokratische Reformen einsetzen. Sie haben ein klares Ziel: die eigene Machtposition im Land zu stärken. Diese Macht wird größer, je mehr sich die Internationale Gemeinschaft aus Afghanistan zurückzieht. Für Präsident Hamid Karsai, sagen manche Beobachter, wird das Regieren nun schwerer werden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Karsai hat längst auf die Karte der Mudschaheddin gesetzt. Seine beiden Vizepräsidenten hat er schon im letzten Jahr trotz internationaler und nationaler Kritik aus ihren Reihen gewählt.

Lange Liste der Verlierer

Doch viel mehr als Hamid Karsai sind die vielen, heillos zerstrittenen, demokratischen Kleingruppen in Afghanistan die eigentlichen Wahlverlierer. Sie haben es in den vergangenen neun Jahren nicht geschafft, sich auf ein paar gemeinsame Ziele zu einigen. Stattdessen haben sie unzählige politische Parteien gegründet, die aber im afghanischen Machtspiel kaum ins Gewicht fallen. Auch diesmal haben sie Hunderte von Kandidaten ins Rennen geschickt und müssen jetzt fest stellen, dass sie wieder einmal verloren haben.

Ein weiterer Verlierer der Wahlen ist die internationale Gemeinschaft, vor allem die westlichen Länder. Demokratie, Frieden und Wohlstand hatten sie den Menschen in Afghanistan versprochen. Fast ein Jahrzehnt später sind es aber immer noch Taliban und ehemalige Warlords, die das Leben der Afghanen bestimmen. Afghanistan darf aber nicht noch einmal den Taliban und Warlords überlassen werden. Die Folgen einer solchen Politik sind allen klar: Unsicherheit für die Region und die Welt.

Autor: Ratbil Shamel
Redaktion: Mechthild Brockamp / Esther Broders