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PolitikAsien

UN wollen in Afghanistan bleiben - vorerst

Shamil Shams
3. Mai 2023

Die Vereinten Nationen wollen weiterhin in Afghanistan tätig bleiben. Doch die Zusammenarbeit mit den Taliban wird zunehmend problematisch für die internationale Organisation.

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Afghanistan Eid Al-Fitr
Bild: Ebrahim Noroozi/AP/picture alliance

Die Vereinten Nationen werden vorerst in Afghanistan bleiben, um Millionen von verzweifelten Menschen in dem Land zu helfen, obwohl die Taliban die Mitarbeit von weiblichen Angestellten mit raren Ausnahmen  - wie die von Mitarbeiterinnen in der Gesundheitsfürsorge für andere Frauen - in der internationalen Organisation weiterhin verbieten. Das kündigte UN-Generalsekretär António Guterres am Dienstag gegenüber Medienvertretern in Doha, der Hauptstadt Katars, an. Guterres war dort zuvor in einer zweitägigen nicht-öffentlichen Konferenz mit zahlreichen Afghanistan-Sondergesandten zusammengekommen, um den Umgang mit den islamistischen Machthabern in Kabul zu diskutieren.

"Wir bleiben und wir helfen und wir sind entschlossen, die notwendigen Bedingungen zu schaffen, um weiterhin zu helfen... Die Teilnehmenden waren sich einig, dass eine Strategie des Engagements notwendig ist", betonte Guterres nach dem zweitägigen Austausch in Doha. Guterres hatte dort die komplexe Situation vor Ort in Afghanistan zusammen mit den Teilnehmenden analysiert, bevor er über die Fortsetzung der UN-Aktivitäten in dem Land entschied. An den Gesprächen waren Vertreter von rund 25 Ländern beteiligt, darunter Abgesandte der USA, Chinas und Russlands sowie wichtiger europäischer Geberländer und Staaten der Region. Vertreter der Taliban waren nicht zu dieser Konferenz eingeladen – ein deutliches Zeichen für die Komplexität des Themas.

Die afghanische Bevölkerung ist in hohem Maße von der Arbeit und den Hilfsmaßnahmen der Vereinten Nationen abhängig. Vor allem, weil nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 die meisten internationalen Hilfsorganisationen Afghanistan verlassen haben.

Die Taliban werden von Menschenrechtsorganisationen und ausländischen Regierungen wegen ihrer frauenfeindlichen Maßnahmen verurteilt, So verbieten die Taliban, dass Mädchen nach der sechsten Klasse weiter die Schule besuchen. "Wir werden angesichts der beispiellosen systematischen Angriffe auf die Rechte von Frauen und Mädchen niemals schweigen", versprach Guterres nach den Gesprächen in Doha.

Warnungen der Taliban, Kritik von Menschenrechtsgruppen

Die Taliban hatten zuvor bereits die Forderung des UN-Sicherheitsrats abgelehnt, das Arbeitsverbot für Frauen in UN-Agenturen, aufzuheben. Dies stelle eine Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten Afghanistans dar, heiß es aus Kabul.

Zugleich hatten die Taliban die Entscheidung der UN verurteilt, sie von der Konferenz in Doha auszuschließen. "Jedes Treffen ohne Teilnahme von Vertretern des Islamischen Emirats Afghanistan (IEA) - der Hauptpartei in dieser Frage - ist unproduktiv und manchmal sogar kontraproduktiv", sagte Suhail Shaheen, der Leiter des politischen Büros der Taliban in Doha, in einer Erklärung. "Wie kann eine Entscheidung, die bei solchen Treffen getroffen wird, akzeptiert oder umgesetzt werden, wenn wir nicht Teil des Prozesses sind? Das ist diskriminierend und ungerechtfertigt", fügte er hinzu.

Im Vorfeld der Konferenz in Doha hatten zivilgesellschaftliche afghanische Organisationen den Vereinten Nationen ihre Vorbehalte mitgeteilt. Ihre Befürchtung: Das Treffen in Doha könne ein Schritt zur Anerkennung der Taliban-Regierung in Afghanistan sein. "Wir sind insbesondere über die Aussicht besorgt, das Treffen könnte die Tür für eine künftige internationale Anerkennung des Taliban-Regimes öffnen. Jüngste Äußerungen der stellvertretenden UN-Generalsekretärin Amina Mohammed gegenüber den Medien weisen in diese Richtung", schreiben die afghanischen zivilgesellschaftlichen Organisationen in einem offenen Brief und zitieren dabei Amina Mohammed: "Wir hoffen, dass wir diese winzigen Schritte finden, die uns zurück auf den Weg zur Anerkennung [der Taliban] bringen, einer prinzipiellen Anerkennung'". In den Brief mit dem Titel "Das afghanische Volk fordert von den führenden Politikern der Welt: 'Redet mit mir, nicht über mich'", fordern die afghanischen zivilgesellschaftlichen Organisationen beteiligt zu werden.

"Abgesehen von ihren Versuchen, ein auf dem Geschlecht basierendes Apartheidregime zu errichten, sind die Taliban seit ihrer Machtübernahme im August 2021 für einen ganzen Katalog von Menschenrechtsverletzungen verantwortlich", heißt es in der Erklärung weiter. Sowohl die Vereinten Nationen als auch die USA hatten allerdings im Vorfeld mit Nachdruck erklärt, auf dem Doha-Gipfel werde die Frage der Anerkennung der Taliban nicht erörtert.

Mit den Taliban verhandeln oder nicht?

Diese Zusicherung hat die Bedenken von Menschenrechtsgruppen nicht zerstreut. "Ich hoffe, dass diese Konferenz zu einem einheitlichen Vorgehen gegenüber den Taliban führen wird und nicht zu einer individuellen und opportunistischen Politik einiger Länder", sagte Sima Samar, ehemalige Ministerin für Frauenangelegenheiten in Afghanistan, gegenüber der DW.

"Es sollte nicht nur um die Frage des weiblichen UN-Personals gehen, sondern um die allgemeine Frage der Frauenrechte im Land", fügte sie hinzu. Samar ist sich zugleich bewusst, wie wichtig es ist, mit den Taliban ins Gespräch zu kommen. "Sie hätten von Anfang an mit einer klaren Botschaft konfrontiert werden sollen, dass die Verletzung der Menschenrechte nicht akzeptabel ist und nicht toleriert wird", unterstrich Samar und betonte, dass Engagement in Afghanistan nicht mit der internationalen Anerkennung der Taliban als Afghanistans Machthaber verwechselt werden dürfe.

Anerkennung hin oder her: Die Taliban in Afghanistan sind eine Realität – wenn auch eine bittere. Die internationale Gemeinschaft steht vor dieser Realität, seit die islamisch-fundamentalistische Gruppe 2021 nach dem Abzug der NATO-Truppen die vom Westen unterstützte Regierung von Präsident Ashraf Ghani stürzte.

Die Rückkehr der Taliban machte nicht nur die sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften der zwei Jahrzehnte seit 2001 zunichte, sondern stellte die internationale Gemeinschaft auch vor eine neue Herausforderung in Form von zunehmender Armut, Hungersnot, Unterernährung und einer kollabierenden Wirtschaft in Afghanistan.

"Angesichts der katastrophalen Wirtschafts- und Lebensbedingungen, mit denen Millionen verarmter afghanischer Familien konfrontiert sind, müssen die Teilnehmenden der Konferenz in Doha die gegen Afghanistan verhängten Sanktionen überprüfen und die Wirksamkeit des Engagements bewerten, in der Hoffnung, einen effektiveren Ansatz zu finden und alternative Strategien für den Fall in Betracht ziehen, dass die noch offenen Fragen nicht gelöst werden", erklärte Omar Samad, Fellow beim Atlantic Council in Washington und ehemaliger afghanischer Botschafter in Kanada, Frankreich und der EU, gegenüber der DW.

"Ich denke, dass die heikle Frage der 'Anerkennung' als das Zuckerbrot enden wird, mit dem deutliche Fortschritte bei den Beschränkungen für Frauen und Mädchen belohnt werden könnten", fügte Samad hinzu.

Afghanische Schülerinnen im indischen Exil

Die Verzweiflung der Taliban

Die Taliban pochen auf die internationale Anerkennung als "legitime" Herrscher Afghanistans. Eine solche würde auch helfen, ihre finanziellen Probleme zu lösen. Denn sie benötigen dringend Geld.

Die jüngste Mitteilung der Taliban, dass sie den Anführer des Islamischen Staates (IS) in Khorasan getötet haben, zeigt ebenfalls, dass sie den Westen besänftigen wollen. Der IS-Anführer war für den Bombenanschlag auf den Kabuler Flughafen im August 2021 verantwortlich, bei dem 13 US-Soldaten und rund 170 afghanische Zivilisten getötet wurden. ,Der "Islamische Staat" (IS) und die mit ihm verbundenen Gruppen, die in der Region operieren, stellen auch weiterhin eine Bedrohung für westliche Interessen dar.

Aber alles wird wahrscheinlich davon abhängen, inwieweit die Taliban bereit sind, in Fragen der Frauenrechte nachzugeben. Pakistan, der engste Verbündete der Taliban, könnte sie möglicherweise dazu bewegen, etwas Flexibilität zu zeigen. Es ist jedoch nicht klar, wie viel Einfluss Islamabad derzeit auf die Taliban hat. 

Mitarbeit: Haroon Janjua, DW-Reporter in Islamabad.

Editor: Srinivas Mazumdaru