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Politisches Beben

26. November 2009

Bei dem umstrittenen Luftangriff in Afghanistan geht es vor allem um die Frage, wann das Verteidigungsministerium in Berlin von zivilen Opfern erfahren hat.

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Themenbild Kommentar (Quelle: DW)
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Bernd Riegert (Foto: DW)
Bernd RiegertBild: DW

Der umstrittene Luftangriff US-amerikanischer Kampfflugzeuge auf Tankwagen in Afghanistan, den ein deutscher Oberst angefordert hatte, führt in Berlin zu einem politischen Erdbeben. Der ranghöchste Soldat der Bundeswehr, Vier-Sterne-General Wolfgang Schneiderhan, und der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Wichert, traten zurück.

Mit diesen politisch motivierten Rauswürfen zeigt der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), dass er handlungsfähig ist. Die offensichtlichen Informationspannen, ob nun beabsichtigt oder nicht, mussten Konsequenzen haben. Der Minister kann nicht dulden, dass ihm Informationen vorenthalten wurden.

Wer wusste was und wann?

Jetzt beginnt das in solchen Fällen übliche Spielchen: Wer wusste wann was? Wer hätte wann was wissen können? Wer hat wissentlich oder unwissentlich gelogen? Das offensichtliche Chaos bei der Übergabe des Ministeriums von Franz-Josef Jung (CDU) an zu Guttenberg ist ein gefundenes Fressen für die Opposition. Ein wenig skurril mutet an, dass der damalige Außenminister der Großen Koalition und heutige SPD-Oppositionsführer jetzt lauthals Aufklärung fordert. Nach dem Bombardement im September hatte Frank-Walter Steinmeier sich bedeckt gehalten.

Sollte sich herausstellen, dass der damalige Verteidigungsminister Franz-Josef Jung, der heute in der neuen Regierung das Sozialministerium führt, Informationen zurückgehalten, unterdrückt oder nicht zur Kenntnis genommen hat, dann muss auch er die politische Bühne verlassen. Er wäre für ein politisches Amt in der Bundesregierung nicht mehr geeignet.

Mangelnde Informationspolitik

Es ist ganz wichtig festzuhalten, dass es bei den Rücktritten nicht um die Zulässigkeit des Luftangriffes selbst geht, sondern nur um die Informationspolitik des Ministeriums. General Schneiderhan hatte nach einer geheimen Untersuchung der NATO erklärt, der befohlene Luftangriff sei angemessen gewesen. Auch der neue Verteidigungsminister hat den Angriff auf die Tanklaster der Taliban, die als mögliche rollende Bomben hätten dienen können, im Grundsatz gebilligt. Minister zu Guttenberg hat bei seinem ersten Besuch in Afghanistan mit eigenen Augen gesehen, wie schwierig die Lage der deutschen Soldaten im Norden des Landes inzwischen ist.

Mit den Befehlen des deutschen Obersten beschäftigt sich jetzt die deutsche Justiz. Dabei könnte herauskommen, dass der Konflikt in Afghanistan, den die Bundesregierung nicht Krieg nennen will, im völkerrechtlichen Sinne längst ein Krieg ist. Dann wären eigentlich wieder Rücktritte fällig, denn die Bundesregierung führt mit ihrer scheinheiligen Wortklauberei seit Jahren die Soldaten, den Bundestag und die Öffentlichkeit an der Nase herum.

Weitere Fragen

Noch einmal: Das politische Beben in Berlin hat nichts mit der Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit des Luftangriffes von Kundus zu tun. Noch ist nicht einmal gesichert, wie viele Menschen - 17 oder 142 - bei dem Angriff ums Leben kamen und um wen es sich handelte: Taliban-Terroristen oder unbeteiligte Zivilisten? Nach dem Völkerrecht sind zivile Opfer in einem Krieg zu vermeiden. Der Bundeswehroberst könnte aber nur zur Verantwortung gezogen werden, wenn er mögliche zivile Opfer vor dem Angriff mit hoher Gewissheit billigend in Kauf genommen hätte.

Die erneute Debatte in Deutschland wird zu einer weiteren Verunsicherung der Soldaten im Auslandseinsatz führen. Was dürfen sie und was dürfen sie nicht tun, um ihren Auftrag zu erfüllen. Das muss die Bundesregierung endlich eindeutig und praxistauglich regeln. Der Rücktritt eines verdienten Generals hilft da nicht weiter.

Autor: Bernd Riegert

Redaktion: Kay-Alexander Scholz