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Afghanen wählen trotz Bombenterrors

18. September 2010

Zum zweiten Mal seit dem Sturz der radikal-islamischen Taliban Ende 2001 waren die Afghanen aufgerufen, das Parlament neu zu wählen. Die Taliban versuchten, mit Bombenanschlägen und Drohungen dies zu behindern.

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Eine Afghanin gibt in einer Wahlkabine ihre Stimme ab (Foto:ap)
Ob bei den Wahlen in Afghanistan am Samstag wohl alles mit rechten Dingen zugeht?Bild: AP

Unter massiven Sicherheitsvorkehrungen - aber auch überschattet von Anschlägen - wurden in Afghanistan am Samstag (18.10.2010) die Abgeordneten des Unterhauses neu gewählt. Es ist die zweite Abstimmung seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001. Aus 2500 Kandidaten sollen die Wahlberechtigten 249 Abgeordnete der Volksvertretung Wolesi Dschirga bestimmen. 68 Sitze sind für Frauen reserviert.

Anschläge der Taliban

Afghanische Polizisten bewachen ein Wahllokal (Foto:ap)
Viele Wahllokale müssen von afghanischen Polizisten bewacht werdenBild: AP

Aus vielen Teilen des Landes wurden Anschläge gemeldet. Der schwerste ereignete sich im Norden des Landes. Nach Polizeiangaben wurden bei einem Taliban-Angriff in der Provinz Baghlan in der Nähe eines Wahllokals sieben Sicherheitskräfte getötet. Kurz vor Öffnung der Wahllokale erschütterte eine schwere Explosion die Hauptstadt Kabul. Dort schlug nach offiziellen Angaben eine Rakete der Aufständischen in der Nähe der US-Botschaft und des Hauptquartiers der internationalen Schutztruppe Isaf ein. Opfer oder größeren Sachschaden habe es dort aber nicht gegeben, sagte ein Polizeisprecher. Die Taliban griffen zudem mehrere Wahllokale in den Provinzen Herat, Ghazni und Badachstan noch vor ihrer Öffnung an. Die Taliban hatten gedroht, wer sich an der Wahl beteilige, müsse mit Angriffen rechnen.

Ghulam Muhammad, ein junger Familienvater aus Kundus, ist sich - wie viele andere Afghanen auch - noch nicht sicher, ob er eines der knapp 6000 Wahllokale aufsuchen soll. Er fürchtet Anschläge. "Ich weiß nicht, was die Taliban tun werden. Sie wollen ja die Wahlen verhindern."

Die nordafghanische Stadt Kundus galt noch bei den letzten Parlamentswahlen vor fast fünf Jahren als einer der sichersten Orte in Afghanistan. Doch das sei längst vorbei, sagt der Gouverneur von Kundus, Muhammad Omar: "Wir sind dieses Jahr nicht einmal in der Lage, die Sicherheit aller Wahllokale zu garantieren." Einige der Außenbezirke würden bereits von den Taliban und von El-Kaida-Kämpfern kontrolliert.

Keine politischen Konzepte

Wahlplakate in Kabul (Foto:ap)
Wahlplakate in KabulBild: AP

Die großen Gewinner der Wahl stehen jetzt schon fest: Es sind die vielen Druckereien und Werbeagenturen. Kaum eine Straße in Afghanistan, die nicht mit bunten Wahlplakaten zugepflastert worden ist. Da Parteien nicht zur Wahl stehen, versucht jeder Kandidat, so gut wie möglich auf sich aufmerksam zu machen. Es werden keine klaren politischen Konzepte vorgelegt. Stattdessen wird den Wählern alles versprochen, sie sollen nur an den Wahlen teilnehmen. Allerdings wurden aus Sicherheitsbedenken rund 1200 Wahllokale gar nicht geöffnet.

Doch es sind nicht nur Sicherheitsfragen, die die Wähler in Afghanistan ängstigen. Viele haben noch das Debakel um die letzten Präsidentschaftswahlen gut in Erinnerung. Angesichts der damaligen massiven Wahlfälschungen fragen sie sich, was ihre Stimme tatsächlich ändern könnte. Wäre es da nicht besser und sicherer, einfach zuhause zu bleiben? Nein, sagt Farid Sarwar, ein Bewohner der Provinz Sarepol, im Zentrum Afghanistans. Wer nicht wählen gehe, sagt er, wähle indirekt die vielen Warlords, die auch diesmal kandidiert haben: "Wir sollten diese Chance nutzen und versuchen, die Richtigen zu wählen. Es sollen nicht wieder diejenigen gewählt werden, die die Rechte der Menschen nicht beachten und nur für den eigenen Vorteil arbeiten."

Wie viele Afghanen ähnlich wie Farid Sarwar denken, ist nicht klar. Doch klar ist, dass in Afghanistan kaum jemand mit fairen und freien Wahlen rechnet. Selbst die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) will bei diesen Wahlen eventuelle Unregelmäßigkeiten nicht ausschließen. Laut IEC haben sich 17,5 Millionen Wähler registrieren lassen, obwohl es im ganzen Land nur rund 12,5 Millionen Wahlberechtigte gibt. Zudem sind tausende gefälschte Wahlausweise in den Grenzgebieten zu Pakistan aufgetaucht. "Es gibt bestimmte Kreise, die alles daran setzen, um die Wahlen in Afghanistan von vornherein unglaubwürdig erscheinen zu lassen," sagt Fazel Ahmad Mahnawi, der Leiter der IEC. "Ich kann jedoch jedem versichern, dass die Mitarbeiter der Wahlkommission sich nicht manipulieren lassen."

"Jede Wahl ist besser als gar keine"

Zwei Afghanen bei der Stimmabgabe (Foto:ap)
Zwei Afghanen bei der StimmabgabeBild: AP

Rund 7.000 afghanische und etwa 500 ausländische Wahlbeobachter sollen für größtmögliche Transparenz am Wahlsamstag sorgen. Gul Mekai, eine Kandidatin aus Mazar-e Scharif, ist jedoch skeptisch, ob allein die Präsenz der Wahlbeobachter in den Wahllokalen genügen würde. Die Wahlfälscher seien viel raffinierter und skrupelloser als allgemein bekannt sei: "Zuerst einmal nutzen einige die Unwissenheit der Menschen aus und reden ihnen ein, nur die Kandidaten ihrer eigenen Bevölkerungsgruppe zu wählen", erklärt sie. "Zudem sagt man ihnen, dass man die Einwohnerzahl aller Wahlbezirke kenne, und wenn aus bestimmten Dörfern nicht genug Stimmen für einen bestimmten Kandidaten zusammen komme, würden alle Bewohner des Dorfes bestraft werden."

Gegen solche Methoden können auch die Wahlbeobachter nichts tun, sagt Gul Mekai. Sie hält die Parlamentswahlen dennoch für sehr wichtig und meint, dass jede Art von Wahlen besser sei als gar keine. Ob Gul Mekai, eine von 407 weiblichen Kandidatinnen, gewählt wird oder nicht, wird erst am 30. Oktober feststehen. Bis dahin, sagt sie, habe sie genug Zeit, um ihre vielen Wahlplakate wieder von den Straßen zu sammeln.

Autor: Ratbil Shamel / Herbert Peckmann (mit rtr, dapd, dpa)


Redaktion: Thomas Latschan / Iveta Ondruskova