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Interview mit Adonis

4. September 2011

Der syrische Dichter Adonis wurde Ende August in Deutschland mit dem Goethe-Preis geehrt. Zuletzt war ihm aus Oppositionskreisen vorgeworfen worden, sich nicht deutlich genug vom Assad-Regime zu distanzieren.

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Porträt des syrischen Dichter Adonis (Foto: dpa)
Der syrische Dichter AdonisBild: DPA

DW-WORLD.DE: Adonis, Ihre Äußerungen zu den Ereignissen in Syrien haben sehr viel Kritik hervorgerufen. Ein Dichter von Ihrem Rang muss gewiss auf die Gefühle der Menschen in seiner Gesellschaft eingehen. Wenn er ihnen jedoch den Verstand abspricht, dann werden die Hoffnungen dieser Menschen enttäuscht. Kann man sagen, dass genau das zwischen Ihnen und den Protestierenden in Syrien geschehen ist?

Adonis: Meine widerstrebende oppositionelle Haltung zu dem bestehenden Regime ist nicht erst durch diese Proteste entstanden, sondern rührt aus einer weit zurückliegenden Zeit her. Seit etwa 50 Jahren befinde ich mich in einem ständigen Kampf mit der Diktatur des bestehenden Regimes. Daher bin ich natürlich automatisch dagegen. Es gibt aber Unterschiede in den Methoden des Widerstands. Ich missbillige Gewalt in all ihren Formen, wie auch immer sie von denjenigen, die sie anwenden, begründet wird. Ich ertrage sie weder von Seiten des Regimes noch von Seiten der Gegner dieses Regimes. Ich bin für den friedlichen Widerstand, den Widerstand nach der Art von Gandhi. Möglicherweise unterscheiden wir uns darin von den heutigen Oppositionellen, die die Dinge sofort und direkt geregelt sehen wollen, so als ob dies das andere Gesicht der Gewalt der Staatsmacht ist. Ich glaube, dass die Opposition eine neue Ethik und neue Werte schaffen muss, damit sie eine neue Gesellschaft aufbauen kann. Aber trotz alledem stehe ich auf Seiten dieser revolutionären Bewegung, was immer dabei herauskommt. Denn diese Bewegung ist ein Zeichen für die Lebendigkeit des Volkes und ein Hinweis darauf, dass es an der Freiheit und am Aufbau einer anderen Zukunft festhält.

Aber die Menschen, die nach Freiheit rufen, haben sich nicht mit der syrischen Opposition abgesprochen; die Proteste sind spontan. Wenn Sie also gegen die Pläne der Opposition oder gegen deren fehlende Klarheit sind, dann sind die Bürger, die von Gewehrschüsse getroffen werden, für diese Haltung doch nicht verantwortlich!

Ich stehe hundertprozentig auf Seiten dieser Volksbewegungen, und ich habe kein einziges Mal etwas dagegen gesagt oder sie kritisiert. Im Gegenteil: Ich habe sie unterstützt, angefangen mit den Aktionen in Tunesien und den Ereignissen in Ägypten. Ich stand von Anfang an auf Seiten dieser spontanen Volksbewegungen.

Syrische Demonstranten mit Flaggen (Foto: dpa)
Seit März 2011 dauern die Proteste gegen den syrischen Präsidenten Assad schon anBild: picture alliance/dpa

In Ihrem „Offenen Brief an Baschar Al Assad“ bezeichnen Sie Assad als den gewählten Präsidenten. Dabei ist er in Wirklichkeit nicht gewählt. Sein Vater kam durch einen Militärputsch an die Macht und Bashar hat ihn beerbt, ohne Konsultation des Volkes. Jeder weiß, dass Abstimmungen oder Wahlen im syrischen Parlament keinerlei Bedeutung haben – und dass es dort keine Meinungsfreiheit gibt. Die Opposition hat Ihren Ausdruck „gewählter Präsident“ deshalb kritisiert. Was haben Sie damit bezweckt?

Gibt es denn in der gesamten arabischen Welt überhaupt ein Parlament, das in freier Wahl gewählt wurde? In Syrien hat es immerhin Wahlen gegeben - und es wurde ein Parlament gebildet. Das Parlament ist gewählt, und dieses gewählte Parlament hat diesen Präsidenten gewählt. Ja, vielleicht waren diese Wahlen gefälscht. Vielleicht können wir sagen: Dieser Mann ist gewählt - aber die Wahl ist gefälscht. Aber warum sollen wir uns mit Worten aufhalten?! Bashar Al-Assad ist nicht wie sein Vater durch einen Militärputsch an die Macht gekommen. Vielmehr wurde er – wenn auch formell – durch ein Parlament gewählt, welches – wenngleich ebenfalls nur formell – vom Volk gewählt wurde. In diesem Sinn habe ich ihn als einen 'gewählten Präsidenten' bezeichnet, denn er ist kein Militär. Bashar Al-Assad ist nicht durch einen Militärputsch an die Macht gekommen.

Adonis wurde 1930 als Ali Ahmad Said in Lattakia / Nordsyrien geboren. Er gilt als einer der bedeutendsten Dichter der arabischen Welt.

Das Interview führte Khaula Saleh, es übersetzte Günther Kassian.
Redaktion: Schmitz, Werner / Taube, Friedel