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Adler, Wiese und das Rad des Schicksals

Jefferson Chase5. Februar 2013

Nach langer Verletzung ist René Adler zurück in der Nationalelf. Gleichzeitig beginnt für Ex-Nationalkeeper Tim Wiese der Leidensweg. Das Torhüterdasein ist voller Auf und Abs, meint DW-Redakteur Jefferson Chase.

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Tim Wiese (l) und Rene Adler,
Fussball Nationalmanschaft Adler und WieseBild: picture-alliance/dpa

Als der altrömische Philosoph Boethius vor knapp 15 Jahrhunderten das Leben mit einem Glücksrad verglich, dachte er nicht an Fußball. Dennoch passt das Bild vom menschlichen Schicksal als ewig rotierendem Kreis hervorragend zu den beiden deutschen Torhütern, die zuletzt für Schlagzeilen gesorgt haben: René Adler hat beim Hamburger SV das Comeback der Saison 2012/13 hingelegt. Und der Hoffenheimer Tim Wiese steht schon jetzt als der größte Verlierer dieser Spielzeit fest.

Der nette, nüchterne Adler als Phönix, der nach langwierigen Verletzungen wieder auferstanden ist. Der unsympathische, arrogante Wiese als Ikarus, dessen Hochmut ihm einen oberdramatischen Sturz eingebrockt hat. Die beiden Rollen sind beinahe archetypisch. Gefundenes Fressen also für die Sportjournalisten, die in den letzten Tagen Adler in den Himmel lobten, während sie sich über Wiese hermachten. Ist das gerechtfertigt?

Rene Adler im Tor
Laut "kicker" war Adler der beste Torhüter der HinrundeBild: picture-alliance/dpa

Lassen wir es Adler selbst sagen: "Dieses Schwarz-Weiß-Denken, das im Fußball ganz extrem ist, ist eine Sache, aus der ich mich einfach ein bisschen rausziehe“, sagte der Hamburger Schlussmann im Interview mit der DW-Sendung "Bundesliga Kick Off!". "Ich tue mich schwer, Spieler jede Woche zu bewerten und dann [zu sagen], wenn man mal schlecht spielt: Der ist schlecht. Und wenn er gut spielt, dann ist er wieder gut. Da ist natürlich Fußball ein brutal schnelllebiges Geschäft."

Die Macht des Zufalls

Drei Szenen, drei Torhüter, ein Sündenbock: 19. Spieltag, Frankfurt gegen Hoffenheim: Wiese greift bei einer von Joselu unfreiwillig verlängerten Ecke ins Leere. Stefan Aigner trifft, Hoffenheim verliert 1:2. Wiese bekommt trotz ein paar guten Paraden die Note 4,5 vom "kicker" und darf Platz auf der Tribüne nehmen.

Etwa zeitgleich in Hamburg: Werders Sokratis zieht aus 16 Metern Entfernung ab, der Ball geht durch die Beine eines Verteidigers und unter Adlers Körper hindurch. Hamburg schlägt aber den Erzrivalen 3:2, und in der Woche darauf kriegt Adler eine 5 vom "kicker" und einen erfreulichen Anruf von Jogi Löw.

20. Spieltag, Hoffenheim gegen Freiburg: In der 4. Minute lässt der neue 1899-Torhüter Heurelho Gomes einen harten Schuss von Max Kruse nach vorne klatschen, Kruse vollendet. Hoffenheim fährt dennoch einen 2:1-Sieg ein, den ersten Dreier seit Anfang November. Der ansonsten solide Gomes kriegt eine 2,5 und wird gefeiert als Retter in der Not.

Das Los von Torhütern und Stürmern ist, dass die Öffentlichkeit dazu tendiert, ihre Leistungen nach Spielergebnissen zu messen. Hätte Wiese Gomes vor die Nase gesetzt bekommen - zu seinem eigenen "Schutz", wie Trainer Kurz und Manager Müller behaupteten - wenn Hoffenheim das Spiel gegen Frankfurt gedreht hätte? Man kann es zumindest bezweifeln.

"Der Job war nie gerecht"

Torhüter zu sein ist bekanntlich eine seltsame Berufung, und die, die zwischen den Pfosten stehen, wirken oft wie abgeschottete, unverwundbare Eigenbrödler. Im Interview spricht jedoch Adler offen von seinem Frust mit der "schmutzigen" Seite des Fußballgeschäfts. Die Erfahrung, seinen Stammplatz sowohl in der Nationalelf als auch bei Leverkusen wegen der langen Verletzungspause verloren zu haben, ist nicht spurlos an der ehemaligen deutschen Nummer eins vorbei gegangen. Adler weiß nur zu gut, was hätte sein können, und er weiß auch, dass er auf nationaler Ebene wahrscheinlich nie wieder erste Wahl sein wird, es sei denn, Manuel Neuer verletzt sich. Also wird es einem als Fan leicht fallen, sich für René Adler zu freuen, wenn er am Mittwoch in Paris im Tor steht, auch wenn es nur ein Freundschaftsspiel gegen Frankreich ist.

Torwart Tim Wiese von Hoffenheim hält eine Hand vor das Gesicht.
Wiese spielt eine Saison zum WegguckenBild: picture-alliance/dpa

Ein bisschen Mitleid kann man aber auch mit Tim Wiese haben, so wie Olli Kahn in seinem Blog in der "BILD". Da spekuliert der "Titan", dass Wieses Rausschmiss aus der Nationalelf letzten August vielleicht der Anfang seiner jetzigen Formkrise gewesen sei, und er versucht, den ehemaligen Berufskollegen aufzumuntern. "Zu hadern bringt gar nichts", schreibt Kahn. "Der Torwartjob war noch nie gerecht. Man würde es Tim Wiese wünschen, diese Herausforderung anzunehmen, nicht klein beizugeben und gestärkt aus dieser Situation hervorzugehen. Denn im Fußball geht es weiter, immer weiter...."

Der alte Philosoph Boethius hätte die Situation kaum treffender beschreiben können.