1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Achim Steiner: "Ohne Artenvielfalt können wir nicht überleben"

Das Interview führte Geraldo Hoffmann23. März 2006

Achim Steiner wird am 15. Juni Nachfolger von Klaus Töpfer an der Spitze des UN-Umweltprogramms (UNEP). Im DW-WORLD-Interview spricht Steiner über Artenvielfalt und über seine Pläne.

https://p.dw.com/p/892K
Achim SteinerBild: IUCN Photo Library / UN Photo / Stephen Koh

DW-WORLD: Sie sind in Brasilien geboren und aufgewachsen. Was verbindet Sie noch mit dem Land?

Achim Steiner: Zum einen die Erinnerungen an eine Kindheit auf dem Lande, denn wir lebten auf einer Farm - was eine wunderschöne Art und Weise ist, aufzuwachsen. Seitdem habe ich in Zusammenhang mit dem Thema internationale Umweltpolitik sehr viel mit Brasilien zu tun; etwa 1992 beim Erdgipfel in Rio, aber auch über verschiedensten Netzwerke und Freundschaften.

Eine Folge des Rio-Gipfels ist die Konferenz über die Artenvielfalt-Konvention, bei der bis Ende März Vertreter aus 187 Ländern in Curitiba diskutieren. Was erwarten Sie von dieser Konferenz?

Die große Erwartung an Curitiba ist, dass die vielen Ideen, Resolutionen und Ziele, zu denen in den vergangenen Jahren eine Einigung erzielt worden ist, mit konkreten Maßnahmen umgesetzt werden. Wir bewegen uns in der Biodiversitäts-Konferenz und -Konvention immer noch sehr oft am Rande des Theoretischen und nicht unbedingt praktisch Umgesetzten. Das liegt auch an der Komplexität der Thematik und der verschiedenen Interessen, die gerade bei der Nutzung der natürlichen Ressourcen und deren Erhalt eine große Rolle spielt.

Sie sprechen Interessenskonflikte an. Kommt die Artenvielfalt unter die Räder der wirtschaftlichen Globalisierung?

Das ist sicherlich zu vereinfacht ausgedrückt. Wir können uns mit allen möglichen Zukunftsperspektiven auseinandersetzen, was wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand angeht. Aber wenn wir die Artenvielfalt in dem Maße weiterhin verlieren wie im Augenblick, dann hat die Zukunft irgendwann ein Ende, denn dann können Ökosysteme nicht überleben und ohne Ökosysteme können wir nicht überleben. Die Vorstellung, die wir vielleicht Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts hatten, dass technologischer Fortschritt es uns ermöglichen würde, uns von der Natur fast abzukoppeln, hat sich als Illusion erwiesen. Deswegen ist auch die Wirtschaft aufgerufen, sich viel stärker mit dieser Herauforderung auseinander zusetzten.

Umweltschützer kritisieren, dass die Verhandlungen zum Cartagena-Protokoll über Biosicherheit vergangene Woche in Curitiba vom Agrobusiness und den Biotechnologie-Multis blockiert wurden. Stimmen Sie dieser Kritik zu?

Es gibt sicherlich Interessen seitens der Unternehmer, dass man Ziele so lange wie möglich hinauszögert. Man muss aber auch akzeptieren, dass es gerade bei der Diskussion um die Nutzung von genmanipulierten Produkten nicht nur eine Frage von internationalen Unternehmern ist, sondern auch sehr stark Interessen von Ländern und Regierungen berührt. Die Importländer wollen wissen, was drin ist; die Exportländer fühlen sich Handelsbarrieren ausgesetzt. Hier sind konkrete wirtschaftliche Interessen auch im Sinne von Nord-Süd klar zu Tage getreten. Aber deshalb sollte man den Kompromiss nicht völlig von der Hand weisen, denn er ist ein weiterer Schritt in Richtung klarer Information - nur leider viel langsamer und weniger konkret als wir es uns gewünscht haben.

Am Mittwoch (22.3.2006) war der Weltwassertag, davor der Internationale Tag des Waldes. Was bringen solche Tage?

Aufmerksamkeit. Ich denke, dass ist das Wichtigste. Man kann nur von Politikern und Regierungen erwarten, dass sie handeln, wenn die Öffentlichkeit ein Problembewusstsein hat und glaubt, dass man etwas tun kann. Es ist oft in der Umweltdiskussion ein Gefühl der Machtlosigkeit vorhanden, eine gewisse Frustration der Öffentlichkeit, dass man immer nur kritisiert. Wir müssen gerade an solchen Tagen viel klarer herausstellen, dass trotz aller Probleme weltweit eine enorme Anzahl an Gegenbeispielen entsteht, wie man es besser machen kann.

Am 15. Juni folgen Sie Klaus Töpfer an der Spitze des UNEP. Wird aus dem UNEP eine UN-Organisation, wie es bereits von den Europäern gefordert wird?

Es wäre schön, wenn das meiner Entscheidung obläge. Aber ich denke, die Rolle des Exekutivdirektors von UNEP ist in erster Linie einen Konsens herbeizuführen, welche Zukunft das Programm im Rahmen der Vereinten Nationen hat. Wir müssen uns zum einen mit einer immer größeren Verantwortung und Herausforderung auseinandersetzen, aber gleichzeitig damit zurecht kommen, dass es nicht eine übereinstimmende Meinung in den Mitgliedsländern gibt, wie sich UNEP weiterentwickeln soll. Zurzeit sind Reformen in Gange, die die Arbeit und den Kontext von UNEP verändern werden. Deshalb glaube ich, dass in den nächsten zwölf Monaten wichtige Entscheidungen fallen werden, die ich aber im Augenblick, bevor ich diesen Posten angetreten habe, nicht beeinflussen kann.

Der in Brasilien geborene Deutsche Achim Steiner wird am 15. Juni Nachfolger von Klaus Töpfer an der Spitze des UN-Umweltprogramms (UNEP). Seit 2001 ist er Generaldirektor der Weltnaturschutzunion (IUCN), das nach eigenen Angaben weltgrößte Umwelt-Netzwerk mit über 1000 Mitgliedern, darunter Staaten, staatliche Umweltstellen sowie Nicht-Regierungsorganisationen in 140 Ländern. Die IUCN, mit Sitz in Gland (Schweiz) gibt regelmäßig eine Liste gefährdeter Tiere und Pflanzen heraus.