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Achtung Schuldenfalle!

Rachel Gessat10. November 2012

Fast jeder zehnte Erwachsene in Deutschland kann die Kredite, die er aufgenommen hat, nicht mehr zurückzahlen - so steht es im aktuellen "Schuldneratlas 2012". Doch wie geraten Menschen in die Schuldenfalle?

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Auf einem Kontoauszug sind Angaben zum Dispositionskredit zu lesen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Private Ausgaben über Kredite zu finanzieren, ist in Deutschland seit Jahrzehnten gängige Praxis. Banken bieten Kredite ohne Überprüfung der Bonität, der Handel wirbt mit Slogans wie "Kaufen Sie jetzt, bezahlen Sie später", und im Internet kann man von der Urlaubsreise bis zur Wohnungseinrichtung so ziemlich alles per Mausklick ordern. Doch unvorhergesehene Krisen wie der Jobverlust, eine Scheidung oder Krankheit lassen die finanziellen Pläne von Millionen Bundesbürgern plötzlich platzen.

Wie zum Beispiel bei Familie M. Das junge Paar hat ein Kind, der Mann arbeitet am Flughafen, die Frau als Reinigungskraft. Die beiden haben einen Kredit aufgenommen, um ein Auto anzuschaffen. Doch dann verliert Herr M. seinen Job - gleichzeitig steigen die Ausgaben der Familie, denn ein zweites Kind ist unterwegs. Die beiden können die Raten, die sie jahrelang pünktlich gezahlt hatten, nicht mehr bedienen - sie geraten in die Überschuldung.

Mann hält Schild: Dispokredit Foto: fotoila #42959207
Der Zugang zu Krediten wird Verbrauchern leicht gemachtBild: Fotolia

Ein typischer Fall, meint Ralf Jeuschede von der Schuldnerberatung Bonn im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Nach meiner Einschätzung sind 90 Prozent der Schuldner Krisenschuldner. Die haben eigentlich ganz solide geplant mit ihrem Einkommen, und dann ist irgendetwas passiert, was nicht planbar war, und das löst dann diese finanzielle Katastrophe aus."

Überschuldung kann (fast) alle treffen

Hartnäckig würden sich aber in der Öffentlichkeit Vorurteile halten, dass Menschen, die in die Schuldenfalle geraten, durch überzogenen Konsum und leichtsinnige Finanzplanung ihren wirtschaftlichen Ruin selbst herbeiführten. Dieses Muster sei aber die Ausnahme, nicht die Regel, sagt Ralf Jeuschede, der seit 30 Jahren in der Schuldnerberatung tätig ist.

Überschuldung sei auch kein Phänomen, das ausschließlich die Geringverdiener betreffe: "Das sind auch sehr gut situierte Leute, die sich zum Beispiel bei einer Scheidung nicht einigen konnten, wie es mit der gemeinsam gekauften Immobilie weitergehen soll." In solchen Fällen entstünden schnell Verbindlichkeiten von 100.000 Euro oder mehr. Im Durchschnitt beträgt der Schuldenberg etwa 33.000 Euro pro Person.

Schuldneratlas 2012

Rund 6,6 Millionen Menschen in Deutschland gelten als überschuldet. Das heißt, sie können über einen längeren Zeitraum ihre Schuldenraten nicht mehr begleichen - auch dann nicht, wenn sie sich in ihrem Lebensstandard einschränken. Das geht aus dem aktuellen Schuldneratlas 2012 hervor, den die Wirtschaftsauskunftei Creditreform jährlich erstellt. Michael Bretz, Sprecher von Creditreform, weist im Interview mit der Deutschen Welle auf den direkten Zusammenhang zwischen Konjunktur, Arbeitsmarkt und Überschuldung hin: "Überschuldung ist arbeitsmarktgetrieben. Das heißt, wenn der Arbeitsmarkt sich verschlechtert, wenn wir mehr Arbeitslose bekommen, dann werden wir auch deutlich mehr Überschuldete bekommen."

Creditreform-Sprecher Michael Bretz Foto: Natalia Dannenberg, Dezember 2010
Creditreform-Sprecher Michael Bretz stellt die aktuelle Studie vorBild: DW

Städte im Fokus

Neben dem konjunkturellen Zusammenhang gebe es auch strukturelle Gründe, die Überschuldung förderten. Rund neun Millionen Beschäftigte arbeiteten in Halbtags- oder Minijobs, als Aushilfe oder mit befristeten Verträgen. Diese Menschen gerieten wesentlich häufiger in finanzielle Schwierigkeiten als festangestellte Vollzeitkräfte.

In Städten und Ballungsgebieten sei die Überschuldungsrate wesentlich höher als in ländlich strukturierten Gebieten. Zum einen seien die Mieten natürlich in den Städten wesentlich höher, zum anderen gebe es da auch unterschiedliche Prägungen und Konsum-Mentalitäten, erläutert Michael Bretz. "Da gibt es zum Beispiel den Typus des Hedonisten. Das ist jemand, den interessiert das Thema 'Sparen' oder 'Rücklagen bilden' nicht. Dem geht es um Konsum, und der ist auch bereit, sich dafür zu verschulden."

Junge Erwachsene ...

Die Tendenz, immer weniger bar zu bezahlen und stattdessen die Geld- oder Kreditkarte zu zücken, macht es für viele Menschen schwieriger, einen Überblick über ihre Ausgaben zu behalten. Gerade für junge, in Geldangelegenheiten unerfahrene Erwachsene stelle die scheinbar beliebige Verfügbarkeit von Geld eine große Versuchung dar, meint Schuldnerberater Jeuschede. Er fordert deshalb, den Umgang mit Geld und Krediten in die Lehrpläne der Schulen aufzunehmen. In Essen bietet die örtliche Schuldnerberatung einen "Finanzführerschein" für Jugendliche an: Spielerisch können sie hier die nötige Kompetenz in Gelddingen erwerben.

... und Frauen über 50

Michael Bretz weist noch auf eine andere Gruppe hin, die stärker als der Durchschnitt von Überschuldung bedroht ist: Frauen über 50. Immer noch verdienten Frauen wesentlich weniger als Männer - und bekämen dann dementsprechend auch geringere Renten. Oft seien es auch Alleinerziehende oder geschiedene Frauen, die sich während der Ehe um die Kinder gekümmert oder nur in Teilzeit gearbeitet hätten, die später in massive Finanzprobleme gerieten.

Eine Rentnerin sucht Rat bei der Schuldnerberatung der Arbeiterwohlfahrt Rostock, (ROS422-241197)
Immer mehr ältere Frauen müssen eine Schuldnerberatung aufsuchenBild: picture-alliance/dpa

"Das Schlimme ist ja in vielen Fällen: Sie kommen da gar nicht mehr raus aus den Schulden", meint der Creditreform-Sprecher. Und die Prognose der Wirtschaftsexperten fällt auch nicht zuversichtlich aus: Creditreform rechnet damit, dass die Zahl der Überschuldeten in den nächsten Jahren eher noch steigen wird.