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Abidi: "IS in Libyen auch eine Gefahr für Europa"

Kersten Knipp4. Dezember 2014

Der Politologe Hasni Abdidi sieht Libyen durch die Präsenz der Terrororganisation "Islamischer Staat" bedroht. Gelingt es nicht, sie zu vertreiben, könnte Libyen zum Anziehungspunkt für weitere Dschihadisten werden.

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Gefechte in Bengasi (Foto: Picture-alliance/AP Photo)
Bild: picture-alliance/AP Photo/Mohammed Elsheiky

Herr Abidi, offenbar hat der "Islamische Staat" (IS) ein Trainingslager im Osten Libyens eingerichtet. Worum handelt es sich genau?

Hasni Abidi: Es handelt sich um Informationen, die uns aus der Stadt Darna erreichen. Deren Bewohner sind über die Grenze nach Ägypten gegangen - von Darna ist es nicht sonderlich weit nach Ägypten. Glaubwürdigen Zeugenaussagen zufolge deuten einige Anzeichen auf die Anwesenheit des IS hin. So weht an einigen Stellen etwa die Fahne der Dschihadisten. Es sollen auch einige Gerichtsurteile gefällt worden sein, die zum dschihadistischen Umfeld passen. Zudem sind einige öffentliche Einrichtungen ins Leben gerufen worden, die denen gleichen, die der IS in den im Irak eroberten Regionen begründet hat. Darna liegt am Rande einer Wüstenregion mit vielen Bergen. Dort kann man sehr gut versteckte Ausbildungslager betreiben, wie es die zu Al-Kaida gehörende "Islamistische Kampfgruppe" ("Groupe Islamique des Combatants") getan hat. Man nimmt an, dass sich dort inzwischen auch noch radikalere Gruppen angesiedelt haben.

Aus welchen Mitgliedern rekrutieren sich diese Gruppen? Was bedeutet ihre Präsenz für das Land?

Man spricht heute von einem "Emirat von Darna". Es ist sehr schwierig zu sagen, wer dazu gehört. Außerdem gibt es weitere radikale Gruppen: einerseits solche, die immer schon in Libyen präsent waren; und dann solche, deren Mitglieder im Ausland gekämpft haben, und die nun zurückgekommen sind. Seit einiger Zeit gibt es Verbindungen zwischen ihnen und dem IS. Sie gründen auf ideologischen Gemeinsamkeiten ebenso wie auf Stammesbanden; außerdem kämpfen die Gruppen zusammen. Politisch sind diese Verbindungen außerordentlich brisant. Aus diesen Gründen haben die islamistischen Gruppen, die im Parlament sitzen oder sogar der Regierung angehören, überhaupt kein Interesse daran, sich mit den Dschihadisten zu verbinden. Denn sie wissen, dass diese von der internationalen Staatengemeinschaft nicht akzeptiert und sogar bekämpft werden.

Welche Gefahr geht von diesen Gruppen für den libyschen Staat aus?

Eine große Gefahr. Denn diese Gruppen richten sich gegen ein Land, in dem kein Staat mehr existiert. Es ist ein Land mit zwei Parlamenten und zwei Regierungen. Außerdem gibt es in Libyen jede Menge Waffen. Zusätzlich muss man auch bedenken, dass Libyen gemeinsame Grenzen mit Ägypten und Tunesien hat, die Terroristen ungehindert passieren können. Libyen verfügt zudem über keine einheitliche Armee mehr, die das Territorium verteidigen könnte. Darum besteht die Gefahr, dass die Dschihadisten allein durch ihre Präsenz weitere Gleichgesinnte anziehen. Von ihnen geht natürlich auch für Europa eine Gefahr aus. Darum beobachten europäische Regierungen wie etwa die französische die Dschihadisten mit erhöhter Aufmerksamkeit.

Hasni Abidi (Foto: Hasni Abidi)
Hasni Abidi: "Libyen kann seine Probleme nur selbst lösen"Bild: Privat

Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Gründe dafür, dass Libyen als Staat gescheitert ist?

Die westliche Intervention, die zum Sturz Gaddafis geführt hat, wurde ohne ein begleitendes politisches Konzept durchgeführt. So konnten sie nichts gegen die Spaltung der libyschen Gesellschaft ausrichten, in deren Folge Ordnung und Kontrolle zusammenbrachen. Außerdem leidet Libyen an einem enormen Macht- und Verteilungskampf, bei dem es vor allem um die Einkünfte aus dem Ölgeschäft geht. Libyen wurde ein Opfer der Machtkämpfe ausländischer Akteure. Heute sieht man deutlich, dass die Machtkämpfe zwischen Ägypten und einigen Golfstaaten, aber auch einigen europäischen Staaten die innerlibyschen Konflikte angeheizt haben.

Wie müsste eine Politik aussehen, die Libyen wieder eine Zukunft eröffnen könnte?

Derzeit schaut man im Zusammenhang mit Libyen auch auf den Nachbarstaat Algerien. Algerien hat Beziehungen zu beiden libyschen Regierungen: der nach Tobruk geflohenen regulären Regierung und der Gegenregierung in Tripolis. Mit Hilfe algerischer Vermittlung könnten die Libyer eine nationale, alle Gruppen einbeziehende Lösung finden. Man könnte sich auf einen nationalen Fahrplan einigen, um Wahlen abzuhalten. Auf diese Weise könnte man auch fremde Staaten davon abhalten, sich in die libyschen Belange einzumischen. Letztlich können die Libyer den Konflikt aber nur aus eigener Kraft und eigenem Willen beilegen.

Das Interview führte Kersten Knipp.

Der Politologe Hasni Abidi ist Direktor des Studien- und Forschungszentrums zur arabischen Welt ("Centre d'études et de recherche sur le monde arabe et méditerranéen - CERMAM) in Genf. Er unterrichtet zudem am Institut für globale Studien der Universität Genf.