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Abschied der Dinosaurier

Jeanette Seiffert28. September 2013

Über 100 Abgeordnete werden im neuen Bundestag nicht mehr vertreten sein. Unter denen, die ausscheiden, sind diesmal besonders viele bekannte Gesichter: altgediente Politiker, die das Parlament geprägt haben.

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Der SPD-Bundestagsabgeordnete Franz Müntefering bei seiner letzten Bundestagssitzung. Foto: Soeren Stache/dpa
Letzter Tag nach 32 Jahren: Franz Müntefering (SPD)Bild: picture-alliance/dpa

Gefühlsausbrüche sind im nüchternen Plenarsaal des Bundestages eher selten. Die CDU-Abgeordnete Rita Pawelski macht im Juni eine Ausnahme: "Ich gehe freiwillig," sagt sie am Ende ihrer letzten Bundestagsrede. Ihre Stimme fängt an zu zittern, sie bricht in Tränen aus. "Ich gehe aber trotzdem schweren Herzens." Presst die Lippen zusammen und verlässt weinend das Rednerpult. Deutlich knapper fällt die Verabschiedung der FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff aus: "Ich melde mich ab", lauten ihre Abschiedsworte nach 20 Jahren Bundestag.

Ob nun rührend oder militärisch kurz: Die Wehmut über den Abschied ist so manchem langjährigen Abgeordneten anzumerken. Die ehemalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) nutzt die Gelegenheit, um angesichts der Syrien-Krise vor einem leichtfertigen Militäreinsatz zu warnen: "Gerechtigkeit und Frieden sind Geschwister," so endet ihre letzte Rede nach 26 Jahren. Jetzt will sie, mit mittlerweile 70, jüngeren Abgeordneten Platz machen.

Die Abgeordnete Rita Pawelski (CDU) verlässt weinend das Rednerpult, nachdem sie am 07.06.2013 im Reichstag in Berlin ihre letzte Rede im Bundestag gehalten hatte. Foto: dpa.
Ein paar Tränen zum Abschied: Rita Pawelski (CDU)Bild: picture-alliance/dpa

Auf Politikentzug: Dem einen fällt es leichter…

Mit Franz Müntefering verlässt ein weiterer Polit-Dinosaurier die politische Bühne: 32 seiner 73 Lebensjahre hat der SPD-Politiker im Bundestag verbracht. Angefangen hat er 1975, als Helmut Schmidt Kanzler war. Später wurde Müntefering Verkehrs- und Arbeitsminister, Fraktionsvorsitzender, Generalsekretär und gleich zwei Mal Bundesvorsitzender seiner Partei. Seine aufregendste Zeit im Bundestag war, so erzählt er gerne, als der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder die so genannten "Agenda 2010" durchsetzte, mit umstrittenen Reformen auf dem Arbeitsmarkt - gegen den Widerstand vieler in seiner Partei. Franz Müntefering sorgte damals dafür, dass die SPD-Fraktion sich geschlossen hinter die Reformen stellte. Bekommt man nach so langer Zeit Entzugserscheinungen, wenn dann auf einmal Schluss ist? "Ich merk noch nix", meinte das SPD-Urgestein in einer Fernsehtalkshow und ließ beim Sprechen sein charakteristisches "r" rollen. "Ich glaube, ich komme da gut raus."

…dem anderen schwerer.

Anders sein Parteikollege Wolfgang Thierse. Der Ostdeutsche mit der runden Brille und dem fusseligen Bart gehört dem Parlament seit der Deutschen Wiedervereinigung 1990 an, war Präsident und zuletzt Vizepräsident des Bundestages. Im Deutschlandfunk gab er offen zu, dass er nur ungern geht: "Aber ich habe mich ja frei entschieden, nicht mehr zu kandidieren. Und das hilft, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass die Politik, oder jedenfalls die parlamentarische Existenz, zu Ende geht." Und fügt hinzu: "Besser so, als davongejagt zu werden."

Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Thierse (SPD) kommt am 10.01.2013 ins Jakob-Kaiser-Haus in Berlin zur Klausurtagung der SPD-Bundestagsfraktion. Foto: Britta Pedersen/dpa
Heiter bis traurig: Auch Wolfgang Thierse (SPD) verlässt den BundestagBild: picture-alliance/dpa

Sternstunden des Parlaments

Doch welche besonderen Momente sind den Abgeordneten aus den langen Jahren im Bundestag besonders in Erinnerung geblieben? "Beeindruckt hat mich der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan", erzählt Jürgen Koppelin, der seit 1990 für die FDP im Parlament sitzt. Er hatte als Haushaltspolitiker viel mit dem Etat der Bundeswehr zu tun, fand, dass die Truppe für große Auslandseinsätze zu schlecht ausgestattet ist. Das habe ihn dazu bewegt, sich bei diesem Thema gegen den Rest der FDP-Fraktion zu stellen: "Ich habe im Bundestag immer gegen den Afghanistan-Einsatz gestimmt." Auch die SPD-Politkerin Heidemarie Wieczorek-Zeul erinnert sich gegenüber der Deutschen Welle besonders an die Entscheidungen, in denen es um Krieg und Frieden ging: "Für mich war besonders wichtig, dass wir den Irakkrieg abgelehnt haben." Und blickt durchaus stolz zurück auf ihre politischen Erfolge: Etwa, dass sie als Entwicklungsministerin erreichen konnte, dass die ärmsten Entwicklungsländer von einem Teil ihrer Schulden befreit wurden.

Deutsche Einheit schlägt Steuergesetz

Der bewegendste Moment der Parlamentszeit des CSU-Politikers Michael Glos geschah während einer Steuerdebatte, als auf einmal die Meldung herein platzte, dass die Mauer zwischen Ost- und Westberlin gefallen war. "Wir konnten das erst nicht glauben. Dann hat es welche gegeben, die wollten erst noch das Steuergesetz fertig machen. Ich hab gesagt: Wir unterbrechen jetzt, und dann haben wir zusammen die Nationalhymne gesungen." 37 Jahre lang saß der 68-Jährige im Bundestag, knapp vier Jahre lang war er Bundeswirtschaftsminister. Und hat rückblickend das Gefühl, vor allem seiner Ehefrau manchmal zu viel zugemutet zu haben: "Das war auch ein Grund, weswegen ich gesagt habe: Ich höre jetzt auf. Ich habe es ihr immer versprochen."

Der Politiker Michael Glos (CSU) und seine Frau Ilse. Foto: Xamax/dpa
Für Michael Glos (mit Frau Ilse) zählen jetzt die privaten SternstundenBild: picture-alliance/dpa

Gibt es ein Leben nach der Politik?

Für Heidemarie Wiczorek-Zeul bedeutet der Abschied vom Bundestag auf keinen Fall das Ende ihres politischen Lebens: "Das Engagement ist ja nicht vom Mandat abhängig. Ich war vorher politisch aktiv, und ich werde auch nachher politisch aktiv sein - und zwar in den Lebensbereichen, die mich immer berührt, beschäftigt und angetrieben haben." Und zählt gleich eine ganze Reihe von Themen auf, um die sie sich kümmern will: Um die Bekämpfung von HIV-Infektionen und Tuberkulose zum Beispiel oder um mehr Transparenz beim Handel mit Kleidung, damit Unfälle wie der verheerende Brand in einer Textilfabrik in Bangladesch nicht mehr passieren.

Mit pakistanischen Schulkindern sitzt Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) am Samstag (04.04.2009) in der nationalen Schulbuchbehörde in Islamabad (Pakistan) zusammen. Bei Gesprächen mit Regierung und Hilfsorganisationen während des dreitägigen Besuchs in Pakistan soll es um weitere deutsche Hilfe für den krisengeschüttelten Staat gehen. Die Atommacht Pakistan - mit 165 Millionen Einwohnern das zweitgrößte muslimische Land der Welt - gehört zu den Staaten, die unter der weltweiten Wirtschaftskrise besonders zu leiden haben. Foto: Rainer Jensen dpa +++(c) dpa - Report+++
Von wegen Ruhestand: Heidemarie-Wieczorek-Zeul will sich weiter für Entwicklungsländer einsetzenBild: picture-alliance/dpa

Auch Jürgen Koppelin hat noch nicht vor, in Rente gehen: Es gibt bereits Einladungen, Vorlesungen an Universitäten zu halten - in Bangkok und Hanoi. Und dann hat er noch einen anderen, ganz unpolitischen Wunsch: "Ich würde gerne einmal ein Drehbuch für einen Krimi schreiben," erzählt er - und kann es nicht lassen, am Ende seiner Politikerlaufbahn einen kleinen Seitenhieb an die Medien auszuteilen: "Und ich verspreche Ihnen: Einer der Toten ist ein Journalist."