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Abdullah ist keine Integrationsfigur für Afghanistan

Florian Weigand26. April 2014

Bei aller Euphorie über die Wahl: Abdullah bleibt der Kandidat der großen Städte und des persisch-sprachigen Nordens. Gewinnt er im zweiten Wahlgang, könnte sein Sieg das Land spalten, meint Florian Weigand.

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Florian Weigand, Leiter der DW-Redaktion Pashtu/Dari (Foto: DW)
Florian Weigand, Leiter der DW-Redaktion Pashtu/DariBild: DW/P. Henriksen

Nur selten in der jüngeren Geschichte Afghanistans haben es Nicht-Paschtunen an die Spitze des Staates geschafft. Erfolg war ihnen meistens nicht beschieden: So hielt sich der erzkonservative König Habibullah, als "Sohn des Wasserträgers" verspottet, Ende der 1920er Jahre nicht einmal zwölf Monate und wurde dann hingerichtet. Und Burhanuddin Rabbani war Präsident des Landes, als Afghanistan nach dem Abzug der Sowjets im Bürgerkrieg versank. Dass nur Paschtunen das Land verlässlich regieren können, gilt vielen Afghanen seit jeher als ehernes Gesetz am Hindukusch.

Afghanistan ist ein ethnischer Flickenteppich. Unter den vielen Volksgruppen bilden die Paschtunen zwar die Mehrheit im Staat, dominieren aber im Süden, im Norden eher die persisch-sprachigen Tadschiken. Wäre es da nicht eine schöne Geschichte, wenn diesmal mit Abdullah Abdullah ein dem Westen gegenüber aufgeschlossener Exponent der zweitgrößten Volksgruppe zum Präsidenten gewählt würde, zumal er in einer gemischt tadschikisch-paschtunischen Familie aufgewachsen ist? Als demokratisch legitimierte Integrationsfigur, nicht aufgrund seiner Stammeszugehörigkeit, sondern wegen seines Programms und seiner Persönlichkeit? Afghanistan hat sicher eine reiche Erzählkultur - die Realität folgt aber auch hier ganz anderen Gesetzen.

Ethnische Allianzen

Denn das Gespenst der unausweichlichen ethnischen Zuordnung ist lebendig wie eh und je. Trotz seines gemischt-familiären Hintergrunds wird Abdullah als Tadschike aus dem Norden wahrgenommen, seine gesamte politische Biographie ist davon geprägt. Er ist der wichtigste noch lebende Politiker der sogenannten Nordallianz, die gegen die Taliban gekämpft hat. Laut unabhängiger Wahlkommission gewann Abdullah im Norden mancherorts über 80 Prozent der Stimmen, in nahezu rein paschtunischen Gebieten im Süden und Osten teilweise aber nur etwas über drei Prozent. Die Hoffnung, dass die Afghanen nach Wahlprogrammen entscheiden würden, hat sich nur in den großen Städten erfüllt. Abdullah ist es bislang nicht gelungen, auch die Mehrheit der Paschtunen auf dem Land zu überzeugen.

Zudem: So groß der Abstand zu seinem nächsten, paschtunischen Konkurrenten Ashraf Ghani ist (44,9 Prozent zu 31,5 Prozent), die Summe der Stimmen, die für alle paschtunischen Kandidaten im ersten Wahlgang abgegeben wurden, übersteigt das Ergebnis von Abdullah Abdullah. Darauf hofft Ashraf Ghani, der im zweiten Wahlgang diese Stimmen auf sich vereinen möchte. Aber auch Abdullah ist sich dieser Gefahr bewusst. Schon gibt es die ersten Berichte, dass er mit der Nummer drei, dem Paschtunen Salmai Rassul (11,5 Prozent) Gespräche über eine Allianz begonnen hat.

Alle Bevölkerungsgruppen integrieren

Sollte Abdullah auch den zweiten Wahlgang für sich entschieden, wäre er gut beraten, diesen Weg der Integration von paschtunischen Repräsentanten weiterzugehen. Abdullah muss dem Eindruck entgegenwirken, nur den Norden und die großen Städte zu repräsentieren. In den Ballungsgebieten wie Kabul und Mazar-e Sharif leben Paschtunen und Tadschiken seit Generationen Tür an Tür, heiraten untereinander und haben am ehesten eine afghanische Identität unabhängig von ethnischen Zugehörigkeiten ausgebildet. Der Norden ist potentiell der Wirtschaftsmotor des Landes. Ergiebige Erdgasvorkommen schlummern im Boden, die Sicherheitslage ist vergleichsweise stabil. Der Süden darf nicht in die Rolle des Taliban-verseuchten Störenfrieds gedrängt werden, von dem man lieber den Blick abwenden möchte.

Das hätte fatale Folgen für die Außenpolitik und damit für die Stabilität der gesamten Region. Im Nachbarland Pakistan ist Abdullah nicht gut angeschrieben, blickt er doch selbst sehr kritisch auf die Politik in Islamabad. Pakistan könnte in die Versuchung geraten, Ressentiments gegen Abdullah dafür zu nutzen, sich Einfluss im Nachbarland zu sichern. Das wiederum darf dem Westen nicht egal sein. Nur eine Regierung in Kabul, die von der durchgängigen Mehrheit der Afghanen im Norden wie im Süden getragen und in der Region anerkannt ist, schafft die stabilen Verhältnisse, die es dem Westen erlauben, den ISAF Einsatz einigermaßen beruhigt am Jahresende zu beenden.