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Politik

Grundgesetz-Debatte: Tabubruch à la AfD

16. Mai 2019

Der Bundestag debattiert zwei Stunden lang über die deutsche Verfassung. Dabei geben sich die Rechtspopulisten anfangs fast staatstragend. Später eskaliert die Situation. Eindrücke von Marcel Fürstenau.

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Bundestag - Debatte zu 70 Jahre Grundgesetz: Alice Weidel und Alexander Gauland
Die AfD-Doppelspitze Alice Weidel (l.) und Alexander Gauland (r.) während der Grundgesetz-Debatte Bild: Reuters/F. Bensch

"Die Würde des Menschen ist unantastbar" - der erste Satz aus Artikel 1 des Grundgesetzes wird im Bundestag immer wieder zitiert. Er passt wie kein zweiter zu der Debatte über die vor 70 Jahren beschlossene deutsche Verfassung. Ralph Brinkhaus, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, ist der erste Redner. Der Christdemokrat erinnert, wie viele nach ihm auch, an deutsche Schuld und Schande während der Nazi-Zeit und die daraus gezogenen Lehren. Eine davon war, die Würde des Menschen über alles zu stellen.          

Brinkhaus verknüpft diesen Gedanken mit einer Botschaft, die wie eine Warnung klingt: "Das Grundgesetz enthält eine klare Absage an destruktive Parlamentsarbeit." Nämlich Parlamentsarbeit, die letztlich nur darauf aus sei, "das Parlament als zentrales Verfassungsorgan zu schwächen und damit unseren Staat vorzuführen". Alle im Plenarsaal und auf den Zuschauertribünen wissen, an wen Brinkhaus in diesem Moment denkt: die Alternative für Deutschland (AfD). Denn seit die Rechtspopulisten im Bundestag sind, hat sich der Umgangston verschärft. Und sie sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, die Würde des Parlaments oft zu missachten.  

Bundestag - Debatte zu 70 Jahre Grundgesetz - Ralph Brinkhaus
"Die Würde des Menschen ist unantastbar" - Ralph Brinkhaus (CDU) zum Auftakt der Grundgesetz-Debatte Bild: picture-alliance/dpa/B. v. Jutrczenka

Gleich nach Brinkhaus kann die AfD kontern - in Person ihres Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland. Der 78-Jährige war 40 Jahre in der CDU, als Staatssekretär im Bundesland Hessen auch in einer hohen politischen Funktion. Seit er sich 2013 der im selben Jahr gegründeten AfD angeschlossen hat, ist aus dem Erzkonservativen ein mitunter verbittert wirkender Rechtsaußen geworden. Einer, der weiterhin kultiviert reden kann – aber auch gezielt Tabubrüche begeht. Etwa, wenn er Hitler und die Nazi-Zeit als "Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte" verharmlost.

Alexander Gauland trifft den Ton noch einigermaßen

In der Grundgesetz-Debatte des Bundestages redet ein Gauland, der an keiner Stelle die Grenzen des Sagbaren verschiebt oder Anstand vermissen lässt. Viele Sätze könnte das ganze Parlament unterschreiben: "Das Grundgesetz ist einer der größten Erfolge der deutschen Geschichte."  Oder: "Wenn manche Historiker meinten, man könne aus der Geschichte nichts lernen, dann beweist das Grundgesetz das Gegenteil."  Gauland spricht auch über Verfassungsfeinde, die gebe es "links wie rechts und auch im islamischen Bereich". Dass seine eigene Partei vom Verfassungsschutz beobachtet wird, lässt er unerwähnt.

Deutschland 70 Jahre Grundgesetz | Grundgesetz mit Konfetti
Gute Wünsche zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes - manches Lob der AfD klingt vergiftetBild: Imago Images/C. Ohde

Erst am Ende schimmert der angriffslustige, alles andere als altersmilde AfD-Politiker durch: "Das Grundgesetz ist auch ein Schutz für Minderheiten und Mindermeinungen gegen die Überwältigungsfantasien demokratischer Mehrheiten." Eine Spitze gegen alle anderen Fraktionen, denen die AfD vorwirft, permanent gegen das Grundgesetz zu verstoßen. Vor allem in der Flüchtlingspolitik und bei der Rettung des Euros als Gemeinschaftswährung der Europäischen Union.

Alice Weidel verschärft den Ton

Gaulands Rede ist teilweise fast staatstragend. So beginnt auch Alice Weidel, die sich den AfD-Fraktionsvorsitz mit Gauland teilt. Die 40-Jährige nennt das Grundgesetz ein "solides Fundament" der deutschen Demokratie. Es sei ein Glücksfall der Geschichte gewesen, dass in schwerster Zeit ein Neuanfang habe gewagt werden können, der in der besten Tradition der deutschen Verfassungsgeschichte und Freiheitsbewegung stehe. "Dieses Erbe verpflichtet uns zu achtungsvollem Umgang."

AfD-Provokationen

Was Weidel darunter versteht, sagt sie gleich im nächsten Satz: Gefahr für das Grundgesetz ginge am stärksten von jenen aus, "die sich am lautesten als seine Verteidiger aufspielen". Die AfD-Frontfrau redet sich von einer Sekunde auf die andere in Rage, greift Bundeskanzlerin Angela Merkel frontal an. Macht sie und die von ihr geführte Regierung verantwortlich für die "Migrationskrise". Die Dimension der "illegalen Einwanderung" werde die "Integrität des Souveräns des Staatsvolkes dauerhaft und dramatisch verändern".

Stephan Brandtner vergreift sich im Ton

Weidels Attacke ist aber längst nicht der Schlusspunkt eskalierender AfD-Rhetorik. Den setzt als dritter und letzter Redner seiner Fraktion Stephan Brandtner. Auch er beginnt mit einem Lob auf das Grundgesetz, "das aus unserem Staat einen demokratischen Rechtsstaat macht – gemacht hat". Mehr freundliche Worte zur Verfassung fallen dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses im Bundestag allerdings nicht ein. Nur der AfD als "einziger rechtsstaatlicher Partei" seien Grundrechte, Gewaltteilung und unabhängige Gerichte ein "Anliegen".

Attacke auf Bundespräsident Steinmeier

Im Umkehrschluss bedeuten diese Worte: Die "Altparteien", wie Brandtner sie in seiner Rede mehrmals nennt, scherten sich einen Teufel um das 70 Jahre alte Grundgesetz. Grundrechte würden von den Anderen "ignoriert, gebogen und mit Füßen getreten". Und das fange "ganz oben" an, beim Bundespräsidenten. Frank-Walter Steinmeier erlebt die Abrechnung des AfD-Politikers als Ehrengast auf der Tribüne des Bundestages.

Bundestag - Debatte zu 70 Jahre Grundgesetz - Frank-Walter Steinmeier
Fassungslos: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war Augen- und Ohrenzeuge der AfD-Ausfälle Bild: Imago Images/photothek/F. Gaertner

Brandtner unterstellt dem deutschen Staatsoberhaupt unter anderem "Werbung für linksextremistische Veranstaltungen" zu machen.  Damit spielt der 52-Jährige auf einen Konzert-Tipp mit der umstrittenen Punk-Band "Feine Sahne Fischfilet" an, den Steinmeier im September 2018 auf "Facebook" geteilt hat. Das Konzert mit mehreren Bands unter dem Motto "Wir sind Chemnitz" war eine Reaktion auf ausländerfeindliche Exzesse in der sächsischen Stadt.

Parlamentspräsident Schäuble: "Bitte unterlassen Sie das!"

Weitere Verunglimpfungen des Bundespräsidenten unterbindet Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). "Bitte unterlassen Sie das!", fordert er Brandtner zur Mäßigung auf. Der lenkt seine Wut im nächsten Moment auf alle Anderen: Kanzlerin, Regierung und ein letztes Mal die "Altparteien". Sie alle seien verantwortlich für "millionenfachen Rechtsbruch im Rahmen der von ihnen verursachten Masseneinwanderung". Und damit mitverantwortlich für die daraus resultierenden "Morde, Tötungsdelikte, Vergewaltigungen und viele andere Verbrechen und Vergehen".

Als Schäuble den AfD-Politiker auf das Ende seiner Redezeit hinweist, schleudert Brandtner eine letzte Wortsalve in den Plenarsaal. Nochmals trifft sie alle Anderen, die verantwortlich seien für die "Verfolgung alles Bürgerlichen, alles Vernünftigen, alles Deutschen im besten Sinne". Und für die "politische Instrumentalisierung des Inlandsgeheimdienstes gegen die größte Oppositionsfraktion". Die Bundestagsdebatte über 70 Jahre Grundgesetz diffamiert er als "Beerdigungsveranstaltung". Brandtner hat dabei eine Art Totenrede gehalten. 

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte – Schwerpunkt: Deutschland