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Politik

3:2 für Merkel bei Europa-Abgeordneten

Bernd Riegert Brüssel
7. September 2017

Angela Merkel bleibt Kanzlerin auch nach der Wahl. Das meinen drei der fünf Gäste beim DW-Talk in Brüssel. Was denkt Europa über den deutschen Wahlkampf? Von Bernd Riegert, Brüssel.

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Talk im Europaparlament: Moderator Max Hofmann (re.) mit GästenBild: DW/B.Riegert

Selbstverständlich war die Umfrage nicht repräsentativ. Von den fünf Europa-Abgeordneten, die in der DW-Fernsehsendung Deutschland entscheidet - wie sieht das Europa? über die Bundestagswahl diskutierten, gehen drei davon aus, dass Angela Merkel Europas wichtigste Regierungschefin bleibt. Zwei wünschen sich SPD-Herausforderer Martin Schulz oder einen Kandidaten der Links-Partei als Kanzler. Zweieinhalb Wochen vor der Wahl - Stimmen aus Irland, Polen, Griechenland, Slowenien und Belgien.

Mairead McGuinness, Christdemokraten, Irland

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Bild: DW/B. Riegert

Für die konservative Abgeordnete aus Drumconrath ist die deutsche CDU-Vorsitzende Parteifreundin und Vorbild. Merkels umstrittene Entscheidung im September 2015 Tausende Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland zu lassen, verteidigt Mairead McGuinness. "Jetzt brauchen wir starke Außengrenzen der EU", argumentiert die Irin im Gleichklang mit der deutschen Kanzlerin.

Sie findet es gut, dass Merkel auf bessere Zusammenarbeit mit Afrika setzt, um Migrationsursachen zu bekämpfen. Mit dem Thema Migration dürfe man keinen angstbesetzten Wahlkampf treiben. "Das ist gefährlich", warnte McGuinness in der Talkshow. Gegen eine gewisse deutsche Führungsrolle in Europa hat sie auch in Zukunft nichts einzuwenden. "Deutschland ist ein großes Land mit einer großen Wirtschaft." Trotzdem gäbe es immer noch 28 führende Persönlichkeiten aus den EU-Mitgliedsstaaten. Alle seien unterschiedlich und bunt, manche zu bunt, meint die irische Christdemokratin. Mairead geht fest davon aus, dass Angela Merkel die Wahl gewinnt.

Kosma Złotowski, nationalkonservative PiS, Polen

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Bild: DW/B. Riegert

Die Migrationspolitik der EU und besonders die Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin im Jahr 2015 hat nach der Auffassung von Kosma Złotowski eine "Invasion" ausgelöst. Obwohl die anderen Gäste heftig widersprechen, bleibt Złotowski dabei, Merkel habe das Problem erst ausgelöst und sich unsolidarisch verhalten. Da könne sie jetzt nicht im Gegenzug von Polen und anderen Staaten Solidarität oder gar Verteilung von Flüchtlingen einfordern. In der Europäischen Union sollte es keinen Zwang für ein Mitgliedsland geben, irgendetwas gegen seinen Willen zu tun.

Die gerade vom Europäischen Gerichtshof bestätigte Mehrheitsentscheidung der Mitgliedsstaaten zur Verteilung von Flüchtlingen lehnt der Nationalkonservative aus Bydgoszcz ab. Deutschland habe derzeit eine Führungsrolle in der EU, aber eigentlich lehne er Führung durch einen einzelnen Staat ab. Merkel, analysiert Kosma Złotowski, habe aus den Christdemokraten eine sozialdemokratische Partei gemacht. Sie räume deren Themen, wie etwa die "Ehe für alle", einfach ab. Der Wahlkampf zwischen Merkel und Herausforderer Schulz biete keine Konflikte. Die beiden agierten einträchtig wie Kanzlerin und Stellvertreter. Die nächste Kanzlerin heißt Angela Merkel. Da ist sich der polnische Politiker sicher.

Dimitrios Papadimoulis, Syriza, Griechenland

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Bild: DW/B. Riegert

Die Sicht des radikalen Linken auf die deutsche Wahl ist vor allem durch die Erfahrungen während der Griechenland-Rettung und durch die Sparpolitik der vergangenen Jahre geprägt. Dimitrios Papadimoulis zeigt sich fest davon überzeugt, dass Deutschland den Griechen die Austeritätspolitik diktiert hat und dass sie ein Fehler war. Er vermisst im deutschen Wahlkampf eine Auseinandersetzung mit diesem Thema. Deutschland erwirtschafte große Überschüsse im Staatshaushalt, die durch die Verarmung der südlichen EU-Staaten finanziert würden. Nach der Wahl in Deutschland müsse darüber auch noch einmal auf europäischer Ebene gesprochen werden. "Es kann ja nicht sein, dass die EU-Kommission ständig zu mehr Investitionen in Deutschland mahnt, und dann passiert nichts."

Den Deutschen wirft der griechische Abgeordnete auch vor, ihre historische Schuld gegenüber Griechenland aus dem Zweiten Weltkrieg zu verdrängen. "Austeritätspolitik ist auch ein Nährboden für Rechtsextreme", warnt Papadimoulis. Deutschland brauche höhere Löhne und eine größere Binnennachfrage. Das wäre auch für Griechenland gut, glaubt er. "Deutschland hat finanzielle Spielräume und sollte sie nutzen." Wer nach der Wahl regieren sollte? "Die Linken", antwortet Dimitrios Papdimoulis. Ob Merkel oder Schulz Kanzler werden, will er nicht sagen.

Tanja Fajon, Sozialdemokraten, Slowenien

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Bild: DW/B. Riegert

Deutschland hat für die Europa-Abgeordnete aus dem kleinen Slowenien eine zu dominante Rolle in Europa. "Wir brauchen eine bessere Balance zwischen großen und kleinen Staaten", fordert sie. "Wenn wir heute in Europa Politik machen, rufen wir zuerst in Deutschland an." Tanja Fajon lobt ihren Parteifreund Martin Schulz, der bis zu seinem Wechsel als Kanzlerkandidat nach Berlin Präsident des Europäischen Parlaments war. Der heutige SPD-Vorsitzende habe als Präsident einen guten Job gemacht. "Er fehlt hier und das merkt man."

Enttäuscht ist die slowenische Abgeordnete, dass im deutschen Wahlkampf zu wenig über Zukunftsthemen wie etwa Bildung gesprochen werde. Sie beklagt, dass die Menschen das Vertrauen in Europa verlieren. "Wir brauchen europäische Lösungen und Solidarität", sagt sie. Gerade auch bei der Einwanderungspolitik. Von einer "Invasion" könne überhaupt nicht die Rede sein, wenn man sich die Zahlen anschaue. Was seien 1,5 Millionen Flüchtlinge oder Asylbewerber bei über 500 Millionen EU-Bürgern? Als einziger Gast in der DW-Sendung geht Tanja Fajon, davon aus, dass Martin Schulz nächster Bundeskanzler wird.

Philippe Lamberts, Grüne, Belgien

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Bild: DW/B. Riegert

Der ökologisch orientierte Abgeordnete aus Belgien geht vor allem mit dem deutschen Finanzminister hart ins Gericht. Wolfgang Schäuble trete besserwisserisch auf. "Er tut so, als wüsste er alles", meint Lamberts. Und das komme in Europa vor allem in kleinen Staaten überhaupt nicht gut an. "Deutschland sollte seine Arroganz ablegen." Die Bundesrepublik habe in der EU natürlich ein großes Gewicht, aber "ich wünsche mir mehr eine kollektive Führung."

Philippe Lamberts sagt, er möchte auch wissen, was die übrigen 27 EU-Staaten zu sagen haben. Niemand sei im Alleinbesitz der Wahrheit. Er räumt ein, dass in manchen Situationen Führung einfach nötig sei, weil die Umstände es erfordern. In der Flüchtlingskrise habe Bundeskanzlerin Merkel Führungsstärke gezeigt und das sei auch gut so gewesen. Die Deutschen, so der belgische Abgeordnete weiter, seien sowieso gut, wenn es darum gehe, Druck etwa auf Griechenland auszuüben, vor allem aber Druck auf Normalverdiener und normale Bürger. Keinen Druck gebe es offenbar auf die großen Unternehmen und Konzerne in Deutschland, die machen könnten, was sie wollten. Trotz aller Kritik ist sich aber auch der grüne Belgier sicher: Merkel bleibt Kanzlerin.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union