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1000. Hinrichtung in fast 30 Jahren

2. Dezember 2005

Seit 1976 vollziehen Henker in den USA durchschnittlich alle zehn Tage eine Hinrichtung. Die Debatte um Abschreckung oder "Gerechtigkeit" dieser Strafe reißt nicht ab. Doch eine Abschaffung ist nicht in Sicht.

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Der Galgen wird in den USA nur noch selten zur Hinrichtung genutzt - häufiger die GiftspritzeBild: AP

Der 1000. Hingerichtete war der 57jährige Kenneth Lee Boyd: Er wurde wegen Mordes an seiner Frau und deren Vater vor elf Jahren zum Tod durch Giftspritze verurteilt und am 2. Dezember in Raleigh im Staat North Carolina hingerichtet. Sein letztes Gnadengesuch wurde abgelehnt.

Mehr Hinrichtungen im Süden

Todeskammer
Todeskammer, in der Verurteilte mit Giftspritzen hingerichtet werden (Archivfoto)Bild: AP

Der erste Amerikaner, der 1976 - nach einem zehnjährigen Moratorium - hingerichtet wurde,war Gary Gilmore. Er wurde von einem Erschießungskommando im US-Staat Utah getötet. Ganz Amerika nahm davon Notiz.

Einige Staaten - Texas, Virginia, Oklahoma - exekutieren deutlich mehr Gefangene als andere. Zwölf US-Staaten führten die Todesstrafe nicht ein, mindestens zwei weitere haben ein Moratorium verhängt, Kalifornien und North Carolina überprüfen den Einsatz der Todesstrafe. Mehr als hundert Mal wurden seit der Wiedereinführung der Todesstrafe Gefangene, die sich bereits in der Todeszelle befanden, nachträglich von den Vorwürfen freigesprochen.

Hinrichtung Unschuldiger?

Die meisten Freisprüche gab es in den vergangenen 15 Jahren auf, seit der Einsatz von DNA-Tests üblich wurde. Seither hat sich der Schwerpunkt der Debatte um die Todesstrafe verschoben: Früher konzentrierte sich der Streit darauf, ob sie tatsächlich abschreckend wirke. Heute geht es darum, ob möglicherweise auch Unschuldige hingerichtet werden. Derzeit warten in den Todeszellen noch mehr als 3400 Häftlinge auf die Vollstreckung ihres Todesurteils, darunter 118 Ausländer.

"Wir haben ein Strafsystem, das Fehler macht. Wenn man diese Aussage akzeptiert, muss man es als unausweichlich anerkennen, dass einige für Verbrechen zum Tod verurteilt werden, die sie nicht begangen haben", sagt Thomas Hill, Anwalt aus Washington. Er vertritt einen Todeskandidaten aus Ohio. "Der Unterschied zwischen Todesstrafe und lebenslanger Haft ist: Wenn man später einen Fehler entdeckt, kann man das zum Teil wieder gutmachen, indem man den Gefangenen entlässt."

An die Opfer denken

Anhänger der Todesstrafe sehen in deren Gegnern reiche, elitäre Liberale, die die wirklichen Opfer ignorierten. "Seit 1999 wurden in den USA 100.000 unschuldige Menschen ermordet, aber keiner gedenkt all dieser Toten", sagt Michael Paranzino, Präsident von Throw Away The Key (Wirf den Schlüssel weg), einer Gruppierung, die die Todesstrafe unterstützt. Einer Gallup-Umfrage vom Oktober 2005 zufolge hat die Zustimmung zur Todesstrafe in den USA den tiefsten Punkt seit 27 Jahren erreicht. Dennoch sind noch immer 64 Prozent dafür. Auf dem Höchststand 1994 lag die Zustimmungsrate bei 80 Prozent.

Einflussreiche politische Kräfte bemühen sich darum, Prozesse und Hinrichtungen zu beschleunigen. Beide Häuser des Kongresses beraten über Gesetzentwürfe, die die Rechtsmittel von Angeklagten vor Bundesgerichten einschränken würden. Derartige Einsprüche führten zu Verzögerungen bis zu 15 Jahren, heißt es. Gegner des Vorhabens, darunter die Amerikanische Anwaltsvereinigung, sagen, dies würde zur Hinrichtung von Unschuldigen führen.

DNA-Tests helfen

Bislang gibt es keinen Beleg für die Hinrichtung Unschuldiger. Barry Scheck, Mitgründer des New Yorker Innocent Projects, das sich in Zweifelsfällen um nachträgliche DNA-Tests bemüht, hat seit 1992 insgesamt 163 Verurteilte entlastet, darunter 14 Todeskandidaten. "Wir haben gezeigt, dass zu viele Unschuldige in der Todeszelle sitzen", sagte Scheck der Nachrichtenagentur AP. Er verweist darauf, dass beispielsweise das DNA-Labor der Polizei in Houston seit 2002 geschlossen sei, weil Ermittlungen dort Probleme mit schlechter Ausbildung und der Handhabung von Beweisstücken aufgezeigt hätten.

Gegner der Todesstrafe glauben, dass der Fall von Larry Griffin der erste sein wird, bei dem offiziell eingeräumt wird, dass ein Unschuldiger hingerichtet wurde. Griffin wurde 1995 wegen tödlicher Schüsse auf einen Drogenhändler im Jahr 1980 hingerichtet. Er war sofort in Verdacht geraten, da der Drogenhändler Wochen zuvor Griffins Bruder getötet haben soll. Verurteilt wurde er auf Basis der Aussage eines einzigen Zeugen, eines Berufskriminellen. Am Wahrheitsgehalt von dessen Zeugenaussage tauchten jedoch in jüngster Zeit starke Zweifel auf, und sogar die Familie des Opfers hält Griffin inzwischen für unschuldig.

Rassistische Urteile?

Todesstrafenbefürworter Paranzino glaubt, dass eine Abschaffung der Todesstrafe und ihrer abschreckenden Wirkung Armen und Minderheiten schaden würde, die überproportional häufig zum Mordopfer würden. "Von Gewaltverbrechen sind besonders Leute aus der Arbeiterklasse, arme Leute und Farbige betroffen." Gegner der Todesstrafe weisen jedoch ihrerseits auf die unfaire Rolle von Klassen- und Rassenzugehörigkeit hin. Statistiken geben ihnen Recht, denn sie zeigen, dass trotz überarbeiteter Gesetze gemessen an der Bevölkerung immer noch deutlich mehr Schwarze hingerichtet werden als Weiße, und noch krasser wird die Diskrepanz, wenn der Täter schwarz und das Opfer weiß ist.

"Die Rasse des Opfers hat viel damit zu tun, wer schließlich hingerichtet wird", sagt auch Scheck. Nach Angaben des Todesstrafeninformationszentrums waren seit 1976 insgesamt 58 Prozent der Hingerichteten Weiße, 34 Prozent Schwarze. Das Verhältnis in der Bevölkerung liegt bei 75 Prozent Weißen und gut 12 Prozent Schwarzen. Und nach Zahlen der Bundespolizei FBI waren in 80 Prozent der Fälle, die mit einer Verurteilung zum Tod endeten, Weiße die Opfer, Schwarze in 14 Prozent der Fälle - obwohl Schwarze ein sechs Mal höheres Risiko haben, Opfer eines Mordes zu werden. (mas)