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Ägyptens neuer Premierminister

Christina Ruta 28. Juli 2012

Parteiunabhängig und sachkundig sollte der neue ägyptische Ministerpräsident sein. Hat Staatspräsident Mohammed Mursi mit der Ernennung Hischam Kandils zum neuen Regierungschef sein Versprechen gehalten?

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Ägyptens Ministerpräsident Hischam Kandil (Foto: dapd)
Bild: dapd

Er gilt als Technokrat und beschreibt sich als parteifern, aber religiös: Hischam Kandil, der bisherige Minister für Bewässerungsfragen. In dieser Woche wurde er von Staatspräsident Mohammed Mursi zum Ministerpräsidenten Ägyptens ernannt und mit der Regierungsbildung beauftragt. Am Samstag (28.07.2012) kündigte Kandil die Vorstellung seines Kabinetts für kommenden Donnerstag an, wie die amtliche Nachrichtenagentur Mena berichtete. Mursi hatte im Vorfeld versprochen, einen Kandidaten auszuwählen, der nicht Mitglied der Muslimbruderschaft ist. Doch wie nahe Kandil der Bewegung wirklich ist, darüber sind sich die Experten uneins. 

Technokrat mit Wirtschaftskompetenz

Mit Hischam Kandil hat sich der Islamist Mursi für einen relativ unbekannten Kandidaten entschieden. Der 49-jährige Wasserbauingenieur promovierte an der University of North Carolina (USA) und war als Spezialist für Bewässerungsfragen für die Afrikanische Entwicklungsbank tätig. Innerhalb der staatlichen Bürokratie machte er zunächst als Bürochef im Ministerium für Bewässerungsfragen Karriere. In der vom Militärrat bestimmten Übergangsregierung war er ab Juli 2011 Minister.

Hischam Kandil (r.) bei Staatspräsident Mohammed Mursi im Präsidentenpalast Foto: EPA
Audienz: Hischam Kandil (r.) bei Staatspräsident MursiBild: picture alliance/dpa

Für Stephan Roll, Ägypten-Experte der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), ist die Frage nach den Gründen Mursis für die Ernennung Kandils im Moment noch schwer zu beantworten: "Eine Interpretation wäre, dass Mursi einen Mann der Tat will, der mit Wirtschaft halbwegs umgehen kann und der die Wasserfrage anpackt". Die Wasserversorgung und die massiven wirtschaftlichen Probleme des Landes gehören zu den großen Herausforderungen Ägyptens. Seit dem politischen Umsturz sind die Auslandsinvestitionen stark zurückgegangen und der Tourismus, die größte Deviseneinnahmequelle des Landes, ist eingebrochen. Das Haushaltsdefizit dagegen wächst stetig.

Eine Marionette der Muslimbrüder?

Doch Ägypten-Experte Roll könnte sich auch einen anderen Grund für die Ernennung Kandils vorstellen: "Es mag auch sein, dass Mursi jemanden gesucht hat, der selber keine politische Macht hat und leicht steuerbar ist." Grundsätzlich gibt im präsidentiellen Regierungssystem Ägyptens zwar ohnehin der Staatspräsident die Leitlinien der Politik vor. Er kann auch den Ministerpräsidenten absetzen. Allerdings sollte man die Rolle des Regierungschefs auch nicht unterschätzen, sagt Roll: "Er steht auf der politischen Bühne, ist im Vordergrund und in den Medien. Wenn er das geschickt einsetzt, kann er mit Charisma und Eigeninitiative selbst einen bestimmten Machtbereich für sich definieren."

Stephan Roll von der Stiftung für Wissenschaft und Politik (Foto: SWP)
Stephan Roll von der Stiftung für Wissenschaft und PolitikBild: SWP

Für Hamadi el-Aouni, Politologe an der Freien Universität Berlin, liegt der Grund für die Ernennung eines Technokraten zum Ministerpräsidenten eindeutig darin, dass man von ihm eine verwaltende Regierung ohne eigene politische Ambitionen erwartet: "Die Muslimbruderschaft will auf jeden Fall ihre Macht konsolidieren. Sie denkt, dass sie mit einer nur geschäftsführenden Regierung gute Chancen hat, mit den Salafisten zusammen die Mehrheit bei den nächsten Wahlen zu erreichen."

Wie Kandil selbst zu den Muslimbrüdern steht, ist unklar. Er hat nach eigenen Angaben nie einer islamistischen Vereinigung angehört. Seine Karriere innerhalb der Staatsbürokratie unter Ex-Präsident Husni Mubarak spricht ebenfalls gegen eine Nähe zu den Islamisten. Zudem bestätigt die Muslimbruderschaft selbst, dass Kandil nicht zu ihnen gehört. Andererseits, so gibt der Berliner Politologe el-Aouni zu bedenken, kann man sich auch mit der Politik einer Partei identifizieren und deren Politik konkretisieren, ohne selber Mitglied zu sein. Und Kandil beschreibt sich selbst als sehr religiös. Seinen Bart trägt er im Stile der Muslimbrüder. "Kandil ist islamistisch geprägt, so liberal und neutral ist er nicht. Mursi würde sich hüten, einen Ministerpräsidenten zu wählen, mit dem die Muslimbruderschaft nicht einverstanden ist", so el-Aouni. Als Regierungschef werde Kandil nichts tun, womit Mursi und die Muslimbrüder nicht einverstanden sind.

Pyramiden von Gizeh Foto: Khalil Hamra
Flaute an den Pyramiden: Der Tourismus ist eingebrochenBild: AP

Machtkampf zwischen Staatspräsident und Militärrat

Auch Stephan Roll vermutet, dass Kandil den Muslimbrüdern nahe steht. Ob er nur als verlängerter Arm Mursis oder der Muslimbrüder auftreten wird, könne man aber noch nicht sagen. "Es ist  auch die Frage, inwieweit Mursi überhaupt die Macht hat, bestimmte Entscheidungen zu treffen", so Roll. Staatspräsident Mursi befindet sich in einem Machtkampf mit Ägyptens Obersten Militärrat, der nach dem Sturz Mubaraks die Macht in Ägypten übernommen hatte. Der Vorsitzende des Militärrates, Hussein Tantawi, möchte beispielsweise weiterhin das Amt des Verteidigungsministers ausüben.

Militärratsvorsitzender Hussein Tantawi und Staatspräsident Mohammed Mursi (Foto: pa/dpa)
Militärratsvorsitzender Tantawi und Staatspräsident MursiBild: picture-alliance/dpa

Kandil hatte angekündigt, insbesondere Technokraten als Minister in sein Kabinett zu berufen. Es gibt aber schon Gerüchte, dass zehn Ministerposten an Kandidaten mit islamistischem Hintergrund gehen sollen.