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Slowakei: Die einzigen Sherpas in Europa

Guy Degen (Oktober 2007)

Der Nationalpark Hohe Tatra im Osten der Slowakei wird das ganze Jahr über von abenteuerlustigen Besuchern besucht. Auf Grund der unwegsamen Berge sind die meisten Hütten allerdings auf Sherpa-Teams angewiesen.

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Viktor Beranek und Jarda Sima ruhen sich in den Bergen aus
Viktor Beranek und Jarda Sima ruhen sich in den Bergen ausBild: Guy Degen

Wanderer, Skiläufer oder auch Kletterfreunde, die eine Herausforderung in den dramatisch schroffen Gipfeln des Nationalparks suchen, würden ohne Hilfe der Sherpas nicht weit kommen: Zelten ist da oben verboten, aber es gibt Berghütten zum Übernachten. Die meisten ohne fließend Wasser, Strom und Kühlschrank und vor allem gibt es keine Straßen, um die Hütten zu versorgen.

Arbeit für die Seele

Viktors Besucher werden herzlich willkommen geheißen
Viktors Besucher werden herzlich willkommen geheißenBild: Guy Degen

Vor einer kleinen Versorgungshütte beim Städtchen Stary Smokovec kratzt Viktor Beranek Eis von einem vollen Bierfass. Mit festem Griff stemmt er das Fass auf ein Holzgestell, das an einem Haufen von Fleisch-, Gemüse- und gefrorenen Knödel-Packungen lehnt. Viktor sagt von sich, er schleppe nach einer jahrhundertealten Tradition in den Tatras. "Das ist meine Liebe", sagt Viktor mit seinen Schuldeutsch-Brocken und deutet auf sein Tragegestell. Es hat eigentlich nichts Apartes an sich. Gezimmert aus glattem Birkenholz, hält das Gestell die Waren auf dem Rücken und hat noch ein weiteres Fach auf Kopfhöhe. Weite Schulterriemen aus alten Feuerwehrschläuchen hängen lose herunter.

Als er das erste Mal die Sherpa-Arbeit ausprobierte, erinnert sich Viktor, sei er nur 50 Meter weit gekommen und habe die Arbeit sehr hart gefunden. Man brauche dafür eben sehr viel Kraft, immerhin seien es damals 48 Kilo gewesen. Dieser erste Versuch, einen kleinen Sommerjob zu machen, muss Viktor beeindruckt haben. 38 Jahre später arbeitet er noch immer als Sherpa. Der 56-Jährige sagt, die Arbeit sei gut für seine Seele. Es sei schwer zu erklären, warum die Sherpas diese Arbeit machten, aber es sei auch wie ein Lebensstil. Das Leben in der Natur sei das Gegenteil vom Stadtleben, ein ruhiges, spirituelles Leben, und man müsse sich auf seine Stärken und seinen Verstand verlassen.

Ein großartiger Job an einem großartigen Ort

Zur Chata pod Rysmi geht es hier entlang
Zur Chata pod Rysmi geht es hier entlangBild: Guy Degen

An diesem Tag wird Viktor etwa 90 Kilo hinaufschaffen. Eine durchaus gängige Ladung für männliche Sherpas auf dem Zwei-Stunden-Marsch zur Chata pod Rysmi. Sie ist die älteste Hütte in den Tatras und auch die höchste, gelegen auf 2.250 Metern. Jahrzehntelang beschäftigte die Hütte einige Dutzend Sherpas während der Haupt-Wandersaison von Frühling bis Spätherbst und wenn nötig auch im Winter. Viktor ist wohl der älteste Sherpa in den Tatras, aber sie nennen ihn ja nicht umsonst König der Berge. Sein Tragerekord liegt bei 122 Kilogramm. "Wenn du jung bist, bekommst du ziemlich schnell Kondition – von 48 auf 70-80 Kilo", sagt Viktor, "es liegt an einem selbst. Und du lernst, dass du Essen oder Tee für den Weg mitnehmen musst."

Von der Versorgungshütte steigen die Sherpas auf ihrem Zwei-Stunden-Marsch 750 Meter hinauf zur Hütte. Ihre Route führt sie über die Baumgrenze, auf Almweiden und an abschüssigen Felshängen entlang, wo sich die Sherpas an Ketten entlang hangeln müssen. An diesem Tag begleitet der 23 Jahre alte Student Jarda Sima Viktor auf seiner Tour. Es ist Jardas erste Saison als Sherpa. "Ich genieße das sehr," sagt er, "denn es ist genau die Art von Arbeit, die ich schon seit Langem wollte. Für den Moment ist es perfekt. Viktor ist ein netter Mann - ein großartiger Job an einem großartigen Ort."

Eine aussterbende Zunft?

Karte Terra Incognita Poprad Slowakei
Bild: AP GraphicsBank/Wolf Broszies

Jeder hier fragt sich, wie lange noch Sherpas in den Tatras arbeiten werden. Sie werden nach Kilos bezahlt und einige Hütten haben sich entschlossen, Helikopter einzusetzen um größere Warenmengen zu transportieren. Viktor hofft, dass Chata pod Rysmi nicht diesen Weg einschlägt. Die heutigen Sherpas, sagt er, hielten eine jahrhundertealte Tradition am Leben. Außerdem erschreckten die Helikopter die seltenen Gämse und die Touristen liebten es, den Sherpas bei der Arbeit zuzuschauen. Aber er gibt zu, dass es kein besonders attraktiver Job für junge Leute sei.

"Die Sherpas werden aussterben", prophezeit Viktor, "denn die neue Technologie wird uns ersetzen. Junge Leute haben andere Werte als wir. Sie kommen zwar in die Berge und ich denke auch, dass es gut für sie ist. Es bereichert sie. Aber wie auch immer, ich glaube nicht, dass sie Sherpas werden. Für uns ist es ein Hobby, ein Vergnügen und auch gut für unsere Gesundheit – wir müssen ja auch gut in Form sein. Heute sind die Leute nicht allzu begeistert von dieser Art Arbeit."

Betrachtet man Viktors physische Kondition und Energie, hat er noch sehr viele Jahre in den Beinen, in denen er das Essen hinaufschafft, das die Hüttengäste verschlingen, den Wein, den sie nach einem Tag in den Bergen genießen und den Brennstoff, der sie nachts warm hält. Viktor ist eine Ikone in den Tatras. Und allein sein Enthusiasmus für die Sherpa-Arbeit lässt keinen Zweifel aufkommen, dass diese Tradition der Berge bestehen bleibt – so lange er lebt.