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Österreich soll seine Meinung zur Türkei ändern

2. Oktober 2005

Auf einer Krisensitzung versuchen die EU-Außenminister in letzter Minute den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei am Montag zu retten. In Ankara demonstrierten Zehntausende gegen die EU.

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Der britische Außenminister Jack Straw muss Auskunft gebenBild: AP

Die mit Spannung erwartete Entscheidung der Europäischen Union über den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wird nach Ansicht des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan bestimmend für die Zukunft Europas sein. Entweder zeige die EU "politische Reife" und entscheide sich dafür, "ein globaler Akteur, eine globale Kraft" zu werden, oder aber sie werde ein in sich geschlossener "Christenclub" bleiben, sagte Erdogan am Sonntag (2.10.2005) bei einem Parteitreffen in Kizilcahamam bei Ankara.

Anruf bei Schüssel

Am Samstag hatte Erdogan in einem Telefongespräch mit dem österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel noch einmal den Vorschlag Wiens für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU zurückgewiesen. Die Türkei werde nur eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union akzeptieren, zitierten türkische Medien Erdogan.

Die Außenminister der 25 Mitgliedstaaten sind am Sonntagabend in Luxemburg zusammen gekommen. Der vorliegende Entwurf für den Verhandlungsrahmen, den die EU-Staaten einstimmig beschließen müssen, wird nach wie vor nur von Österreich blockiert. Die Regierung des konservativen Bundeskanzlers Schüssel fordert laut Diplomaten, dass aus dem noch einstimmig zu beschließenden Verhandlungsrahmen der Satz "Das gemeinsame Ziel der Verhandlungen ist der Beitritt" ersatzlos gestrichen wird. Vielmehr müsse in dem Verhandlungsrahmen eine klare Alternative für den Fall formuliert werden, dass die Türkei der EU am Ende der Verhandlungen nicht beitreten könne. Dies sei der Fall, wenn entweder die Türkei die Bedingungen nicht erfülle, oder die EU einen Beitritt des Landes nicht verkraften könne.

Österreich bleibt hart

Die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik deutete indes an, dass sich ihre Regierung nicht bewegen werde. Die Vorbehalte Wiens auf eine Vollmitgliedschaft "eines überwiegend muslimischen und armen Landes mit 70 Millionen Einwohnern" spiegele eine weit verbreitete Haltung der Europäer wieder. "Wir sollten jetzt auf die Bedenken so vieler Menschen in Europa hören." Österreich ist das EU-Land mit der größten Abneigung gegen einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Nur 20 Prozent glauben nach einer Befragung der EU-Kommission, dass ein Beitritt die Sicherheitslage in der Region verbessern würde. Im EU-Durchschnitt sind es 38 Prozent.

Die übrigen 24 EU-Staaten lehnen Änderungen an dem Verhandlungsrahmen ab, der sich im Wesentlichen an einem Beschluss der EU-Staats- und Regierungschefs vom Dezember 2004 orientiert. Darin heißt es, dass die Verhandlungen zwar ergebnisoffen geführt werden, das Ziel aber der Beitritt der Türkei sei. Die türkische Regierung hat bereits mehrfach betont, dass für sie das Ziel der Verhandlungen nur die Vollmitgliedschaft sein könne.

Solana ist zuversichtlich

EU-Chefdiplomat Javier Solana zeigte sich am Samstag zuversichtlich, dass es doch noch zu einer Einigung kommt. In einem Interview mit "Bild am Sonntag" sagte er: "Ich gehe davon aus, dass eine Einigung gelingen wird. Entscheidungen, die die Türkei betreffen, sind auch in der Vergangenheit immer erst in letzter Minute getroffen worden." Der EU-Koordinator für Außen- und Sicherheitspolitik machte deutlich, dass die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen keine Vorentscheidung über die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union bedeutet.

Auch der Botschafter der EU in der Türkei, Hansjörg Kretschmer, äußerte im Deutschlandradio Kultur die Überzeugung, dass die Gespräche mit der Türkei trotz der Blockade Österreichs pünktlich am Montag begännen. Man werde diese "historische Gelegenheit" nicht verstreichen lassen, erklärte er. Daran hätten weder die Türkei noch die EU ein Interesse.

Was passiert bei einem Scheitern?

Sollte es auf der Sondersitzung der EU-Außenminister am Sonntagabend keine Lösung geben, hat die EU am Montagvormittag eine letzte Gelegenheit, eine Einigung finden. Für Montagabend ist der formelle Start der Gespräche geplant. Schüssels Partei ÖVP muss am Sonntag für sie kritische Landtagswahlen in der Steiermark bestehen. Die Regierung hat aber ausgeschlossen, danach ihre Haltung zu ändern.

Diplomaten sahen zudem die Möglichkeit, dass Österreich in der Türkei-Frage nachgibt, falls es Fortschritte bei der Aufnahme von Verhandlungen mit seinem indirekten Nachbarn Kroatien gibt. Diese waren bislang an mangelnder Zusammenarbeit des Landes mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal gescheitert. Allerdings berät die EU am Montag mit UN-Chefanklägerin Carla del Ponte, so dass sich eine neue Lage ergeben könnte.

Anti-EU-Demonstrationen in Ankara

In der türkischen Hauptstadt Ankara haben am Sonntag zehntausende türkische Nationalisten gegen einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union demonstriert. Der Vorsitzende der rechtsnationalistischen Partei MHP, Devlet Bahceli, forderte Ministerpräsident Erdogan auf, die Gespräche mit der EU nicht fortzusetzen.

Laut der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu wurden die Demonstranten aus der ganzen Türkei in 750 Bussen nach Ankara gebracht. Rund 6000 Polizisten seien im Einsatz gewesen. Die Nationalisten schwenkten türkische Flaggen und Spruchbänder mit Parolen wie "Wir glauben nicht an die EU" und "Eine unabhängige und nationalistische Türkei". (stl/kap)