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Ägypten streitet über Verfassungsreferendum

Torsten Gellner25. Mai 2005

Eine geplante Wahlrechtsänderung bringt Unruhe nach Ägypten. Boykotteure, Demonstranten und aufbegehrende Richter bringen die Regierung in Bedrängnis. Trotz Repressionen und Massenverhaftungen: Am Nil tut sich was.

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Dauerpräsident Mubarak: Mit 77 ist noch lange nicht Schluss?Bild: AP

Wenn die Ägypter an diesem Mittwoch (25.5.05) über eine geplante Verfassungsänderung abstimmen, dann sieht das zunächst nach mehr Demokratie aus: Zur Abstimmung steht eine Neuregelung des Verfassungsparagrafen 76, der die Wahl des Präsidenten regelt. Erstmals in der Geschichte des Landes sollen künftig auch Gegenkandidaten zugelassen werden. Bisher lief die Wahl so ab: Das Parlament schlug den einzigen Kandidaten vor und das Volk durfte ihn abnicken. Zustimmungsquoten jenseits der 90 Prozent zeigen, wie "frei" diese Wahlen bislang verliefen.

In den vergangenen 24 Jahren hieß der Kandidat jeweils Husni Mubarak. Das könnte sich nun ändern. Weniger weil durch die geplante Verfassungsänderung eine echte Demokratisierung stattfinden würde, sondern weil noch nicht offen ist, ob der 77-jährige Präsident sich in diesem Herbst noch einmal zur Wahl stellen wird.

Demokratisierung mit Hindernissen

Im Februar dieses Jahres hatte Mubarak die Welt für einen Moment in Staunen versetzt, indem er eine Änderung des Wahlrechts in Aussicht stellte. Nachdem jedoch allmählich bekannt wurde, wie sich der Landesvater die demokratische Reform vorstellt, verflog die anfängliche Begeisterung bei Bevölkerung und Opposition. Denn nach der Verfassungsänderung müssen unabhängige Kandidaten, die zur Wahl zugelassen werden wollen, erst von insgesamt 250 Vertretern des Unterhauses, des Oberhauses und der Kommunalräte unterstützt werden. Alle Gremien sind fest in der Hand der Nationaldemokratischen Partei, der Partei Husni Mubaraks.

Parlament in Kairo Ägypten
Typisches Bild. Das von Mubaraks Partei dominierte Parlament stimmt recht einmütigBild: AP

Bewerber, die parteipolitisch organisiert sind, haben es zwar leichter und müssen die strengen Auflagen unabhängiger Politiker nicht erfüllen. Dafür müssen ihre Parteien ab 2011 mindestens fünf Prozent der Abgeordneten stellen und fünf Jahre ununterbrochen im Parlament vertreten sein. Innerhalb der Bevölkerung setzt man daher keine großen Hoffnungen in diesen "sehr mutigen Schritt", als den ihn First Lady Laura Bush bei einem Ägypten-Besuch am Dienstag bezeichnet hat.

Das Referendum, ein Witz?

Viele Menschen im Land haben resigniert, weil sie sich von der Politik nicht Ernst genommen fühlen; Witze über das Referendum machen die Runde. Eine Szene der vergangenen Präsidentschaftswahl macht deutlich, warum das so ist: Beobachter schilderten, wie Richter den "korrekten Ablauf" der Wahl kontrollierten. Ein Robenträger saß als Aufsicht alleine im Wahllokal, draußen hinderten zivile Polizisten die Anhänger der Opposition daran, ihre Stimme abzugeben und sorgten zugleich dafür, dass die Regierungstreuen, die in Bussen angekarrt wurden, unbehelligt ihr Kreuzchen machen konnten.

Abscheuliche Ereignisse

Auch die Opposition hält wenig von der Verfassungsreform und hat zum Boykott des Referendums aufgerufen. "Die herrschende Nationalpartei will ihre Macht für immer und ewig konsolidieren", sagt Noman Gomaa von der liberalen Wafd-Partei. "Das Referendum stellt somit ein abscheuliches Ereignis dar. Deswegen lehnen wir diese Volkesabstimmung ab."

Demonstranten fordern in Ägypten Reformen
Demonstration der Opposition: "Nieder mit Mubarak!"Bild: dpa

Demonstrationen, auf denen die Teilnehmer ihrer Meinung mit Rufen wie "Nieder mit Mubarak!" Ausdruck verleihen, sind im Land am Nil keine Seltenheit mehr. Die Polizei geht jedoch nicht zimperlich mit den Protestierenden um. Anfang Mai kam ein Anhänger der gemäßigten Muslimischen Bruderschaft am Rande einer Demonstration ums Leben.

Die offiziell verbotene, aber geduldete Muslimische Bruderschaft, die eine konservativ-islamische Linie vertritt und sich von Gewaltakten distanziert, gilt als besonders einflussreicher Gegner Mubaraks. Wenige Tage vor der Volksbefragung nahm die Polizei am Sonntag (22.5.05) Mahmut Essat, den Generalsekretär der Gruppierung, fest. Es ist zwar nicht das erste Mal, dass eine Führungsfigur der Moslembrüder inhaftiert worden ist, aber dass die jetzt erfolgte Festnahme mit dem Aufruf der Opposition zum Boykott des Referendums zusammenhängt, steht außer Zweifel. In den letzten, turbulenten Wochen kam es in Ägypten zu einer regelrechten Verhaftungswelle in den Reihen der Opposition: Die Polizei spricht von 750 Festnahmen, die Muslimische Bruderschaft dagegen von mehr als 2300.

Justitia verlangt Augenbinde

Nun proben sogar die Richter den Aufstand. Bei einem Richtertreffen Anfang Mai forderten die mehr als 2000 Teilnehmer endlich Unabhängigkeit bei ihrer Tätigkeit als Wahlbeobachter ein und kündigten an, unter den gegebenen Umständen die Wahlen nicht mehr "überwachen" zu wollen. Allein das ist schon eine echte Sensation. Der Widerstand der Juristen hat aber noch eine weiter reichende Bedeutung: Wenn die Robenträger wirklich ernst machten und die Kontrolle verweigerten, wäre die Wahl im September ungültig. Die Verfassung verlangt nämlich die Kontrolle durch die Judikative.

Ein Fernsehteam von Al-Dschasira, das ursprünglich vom Treffen der aufmüpfigen Richter berichten sollte, wurde vom Geheimdienst daran gehindert und festgenommen. Unverblümt sei den Journalisten mitgeteilt worden, man habe die Übertragung der regierungskritischen Zusammenkunft verhindern wollen, berichtete ein Al-Dschasira-Korrespondent hinterher. Ähnlich gereizt reagierten die Behörden, als am Montag, zwei Tage vor dem Referendum, ein ARD-Team eine Demonstration der Bürgerrechtsbewegung Kifaya ("Es reicht") filmen wollte: Das vierköpfige Team wurde für mehrere Stunden festgenommen, mit der Begründung, es habe eine Drehgenehmigung gefehlt. Nachdem die Demonstration vorüber war, hatte die Polizei die Genehmigung schließlich doch noch entdeckt.

Weder Fisch, noch Fleisch

Ägypten Parlament in Kairo Hosni Mubarak
Regierungstreue Demonstranten: Auch Mubarak macht mobilBild: AP

Eine hohe Wahlbeteiligung ist nach dem geschlossenen Boykottaufruf der Opposition nicht zu erwarten. Dennoch wird die Verfassungsänderung wohl angenommen werden. Schließlich hat auch Präsident Mubarak keine Probleme, seine Gefolgschaft zu mobilisieren, wie die in letzter Zeit vermehrt stattfindenden Demonstrationen von Regierungstreuen zeigen.

Refaat as-Said von der oppositionellen Unionspartei erklärt, warum er trotz der schlechten Erfolgsaussichten ein Boykott der Volksbefragung für den richtigen Schritt hält: "Würden wir abstimmen gehen und 'Nein' ankreuzen, so würden wir unsere Forderungen nach einer akzeptablen Änderung des Artikels verraten", sagt er. "Würden wir 'Ja' ankreuzen, so würden wir unsere Prinzipien verraten, wonach wir diese inakzeptable Verfassung ablehnen. Daher ist das beste Mittel, die Volksabstimmung zu boykottieren."