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Filmfestival Cottbus blickt nach Kuba

Jochen Kürten
8. November 2016

Seit 1991 beschäftigt sich das Festival mit dem Filmschaffen in Osteuropa. 2016 steht noch ein anders Land im Fokus: Kuba. Co-Kurator Wolfgang Hamdorf verrät im DW-Gespräch, wie sich das kubanische Kino verändert hat.

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Filmfest Cottbus Filmstills Thema Kuba
In Cottbus zu sehen: "Der König von Havanna" über das Leben in der Hauptstadt in den 1990er JahrenBild: Filmax International

Deutsche Welle: Spiegelt denn der aktuelle kubanische Film, den Sie in Cottbus zeigen, schon den politischen und gesellschaftlichen Wandel der jüngsten Zeit wider?

Wolfgang Hamdorf: Nur zum Teil. Es hat im kubanischen Kino immer schon eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Umbrüchen und Missständen in irgendeiner Form gegeben. Das ist aber eine Tendenz, die den kubanischen Film eigentlich schon seit 1959 ausmacht. In letzter Zeit ist aber auch eine große Ratlosigkeit hinzugekommen. Es wird nicht konkret gespiegelt, was sich jetzt ändert. Das ist wahrscheinlich im Alltag auch noch gar nicht absehbar.

Aber der grundsätzliche Wandel, den die Insel ja eigentlich seit 1995 seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebt, ist eigentlich immer Thema der kubanischen Filmemacher gewesen. Auch der ausländischen Filmemacher, die nach Kuba gekommen sind, um dort Filme zu machen. 1995 ist deshalb so besonders wichtig, weil damals die neue Wirtschaftspolitik begann, auch die wirtschaftlich schlimmste Phase des Landes.

Filmfest Cottbus Filmstills Thema Kuba
Ein Studentenwohnheim als Spiegel der Gesellschaft: "12 Y Malecón, Habana"Bild: Academy of Media Arts Cologne

Beim Blick auf das Programm ist mir aufgefallen, dass einige Filme die gesellschaftlichen Veränderungen gerade mit Häusern und Gebäuden vergegenwärtigen. Sind das Symbole für die Veränderungen in Kuba?

Ja. Es ist ja auch für jeden ausländischen Filmemacher, der nach Kuba kommt, das erste, was auffällt. Natürlich die alten Autos, aber dann der Zustand der Bausubstanz. Der ist sehr kritisch. Die Gebäude spiegeln eine gewisse Unbeweglichkeit wider. Eine argentinische Kollegin sagte mir im vergangenen Jahr beim Filmfestival in Havanna, nun seien wir seit zehn Jahren mal wieder hier, und eigentlich habe sich nichts geändert, nur die alten Häuser, die immer einsturzgefährdet waren, die seien nun inzwischen tatsächlich eingestürzt. Es hat sich wenig geändert. Der berühmte brasilianische Regisseur Glauber Rocha hat einmal gesagt, Lateinamerika sei ein Kontinent, der ist nicht in "transito", also nicht "im Übergang", sondern immer in so einer tranceartigen Bewegung, die aber letztlich immer nur wieder zum  Anfangspunkt zurückführt. Ich glaube, das macht die Architektur auch so interessant für die Filmemacher.

Ein Blick auf die Ränder der Gesellschaft

Auffallend im Programm 2016 auch: Es tauchen oft gesellschaftliche Außenseiter in den Filmen auf, Homosexuelle, Transsexuelle, Prostituierte, auch Menschen mit Behinderungen. Wofür steht das?

Das ist ein Thema seit 1994, als der Film "Erdbeer und Schokolade" (Spielfilm von Tomás Gutiérrez Alea, damals auch in den deutschen Programmkinos sehr erfolgreich, Anmerk. der Red.) hier in die Kinos kam. Da wurde zum ersten Mal das Thema Homosexualität auf die Leinwand gebracht. Das ist ein Thema, das sich seitdem auch durch den kubanischen Film zieht. Weil es natürlich auch von offizieller Seite sehr große Repressionen und Widerstände (gegen Homosexuelle) gab. Das hat sich in den letzten Jahren sehr geändert. Zum Beispiel setzt sich die Nichte von Fidel Castro sehr für die Transsexuellen ein, auch gegen Homophobie. Das ist ja auch Thema eines Dokumentarfilms, "Transit Havanna". Aber auch in anderen Filmen, die jetzt gar nicht in Cottbus laufen, ist mir aufgefallen, dass diese Themen sehr stark vertreten sind.

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Die kubanisch-spanische Co-Produktion "Hotel Nueva Isla" über die Bewohner eines alten, ehemaligen Grand HotelsBild: El Viaje Films

Auch Prostitution ist ein sehr starkes Thema, weil es auch ein Symbol ist, eine Metapher für den gesamten Niedergang des Systems. Prostitution ist mit den sozialistischen Vorstellungen natürlich in gar keiner Weise zu vereinen. Aber dafür steht sie für den Ausverkauf der Insel an ausländische Touristen, an Investoren. Das ist ein wichtiges Thema.

Das Thema der Behinderten fand ich sehr interessant, weil es nicht sehr häufig vorkommt im kubanischen Film. Wir haben jetzt zwei Filme im Programm - einen Spielfilm und einen Dokumentarfilm -, die hinterfragen, wie schwer es denn eigentlich in einem extrem schwierigen Alltag in Kuba sein muss, im eigenen Haus auch noch für einen behinderten Menschen zu sorgen.

Die Zensur im Wandel der Zeit

Wie sieht es denn mit der Zensur im kubanischen Film aus? Wie frei sind kubanische Drehbuchautoren, Regisseure und Produzenten, überhaupt zu produzieren und zu drehen?

Die Zensur, die es in früheren Jahren gab, als der Staat auch produzierte, ist praktisch weggefallen, weil der Staat ja kaum noch produziert. Das staatliche Filminstitut (ICAIC) hat das sehr zurückfahren müssen. Es ist oft nur noch Co-Produktionspartner für ausländische Filmproduktionen. Eine Zensur findet natürlich statt im Sinne der Abspielpraxis: Ob diese Filme nachher im Kino überhaupt laufen, ob sie im Fernsehen laufen, ob sie überhaupt beim Festival in Havanna gezeigt werden. In der Regel ist es so: Die Filmemacher entwickeln ihre Stoffe selbst. Die unabhängigen Produktionsfirmen, die in den letzten Jahren im Zuge der Wirtschaftskrise entstanden sind, können ihre Filme entwickeln und drehen. Es gibt da keine staatliche Zensur, die verhindert, dass diese Filme entstehen. Die Frage ist nur: Wo werden sie dann gezeigt?

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"Havanna Mi Amor" zeigt die Kubaner und ihre Liebe zu den TelenovelasBild: Achtung Panda! Media GmbH

Wie stellt sich die Situation denn generell dar, wenn sich der Staat zurückgezogen hat? Es gibt ja auch nicht besonders viele privaten Produktionsfirmen. Wie viele Filme entstehen denn zur Zeit jährlich in Kuba? In welchem Umfang wird überhaupt gedreht und produziert?

Es entstehen vielleicht fünf bis zehn Filme pro Jahr. Es gibt eine sehr große Kurzfilmproduktion, auch durch die Filmhochschule "San Antonio de los Baños". Aber was sich im Bereich längerer Spielfilm abspielt, ist sehr wenig. Und das entsteht auch nur mit ausländischen Co-Produktionspartnern. Es gibt sehr engagierte Produktionsfirmen, die im Jahr zwei bis drei Filme machen. Es gibt auch ganz neue Genres, die entstanden sind in den Jahren seit 2007/2008, Vampir-Filme, Horrorfilme. Aber all das entsteht mit einer gnadenlosen Selbstausbeutung (der Mitarbeiter) und einem sehr geringen Budget.

Frühes Interesse der DDR an Kuba

Sie zeigen in Cottbus auch Filme, die in den 1960er Jahren in der DDR gedreht wurden. Der sozialistische Teil Deutschlands pflegte ja damals einen intensiven Kontakt zum Bruderstaat...

Da gibt es zwei Filme. "Preludio 11" von Kurt Maetzig aus dem Jahre 1963 entstand unmittelbar nach der gescheiterten Invasion in der Schweinebucht. Das ist ein Agententhriller mit einem sehr jungen Armin Mueller-Stahl. Es geht um ein Kommando aus Exil-Kubanern und Amerikanern, die eine Invasion nach Kuba vorbereiten wollen. Es geht um Verrat, um Liebe zur Revolution. Am Ende geht natürlich alles gut aus und die Revolution wird gerettet.

Und wir zeigen einen Kurzfilm der Hochschule für Filmkunst in Babelsberg, "Carlos" von Humberto López y Guerra (1966). Ein Film über einen Soldaten, vielmehr einen Freiwilligen, der gegen die Invasion gekämpft hat, der schwer verletzt in ein DDR-Krankenhaus gebracht wird. Dort interessiert sich die Schwester Bärbel sehr für den jungen Kubaner Carlos. Doch die beiden können eigentlich kaum miteinander sprechen, weil sie die Sprache nicht beherrschen. Das ist ein Film zur Völkerverständigung. Dieser kleine DDR-Block ist aber die Ausnahme im Kuba-Programm, das ansonsten einen aktuellen Blick auf das kubanische Filmschaffen gewährt.

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Auch im Programm "Fokus Kuba": der kurze französische Science-Fiction-Film "Habana"Bild: Autour De Minuit Productions

Die Sektion "Fokus" führt in Cottbus in den kommenden fünf Jahren in Länder, die im 20. Jahrhundert von den Einflüssen des Sozialismus sowjetischer Lesart geprägt wurden bzw. noch immer geprägt werden. Den Auftakt macht der karibische Inselstaat Kuba - kuratiert von Wolfgang Hamdorf und dem Regisseur Danile Abma. Ansonsten werden beim 26. Filmfestival in Cottbus (8.11.-13.11.) knapp 200 Beiträge aus 45 Ländern gezeigt. Im Wettbewerb um den mit 25.000 Euro dotierten Hauptpreis "Lubina" laufen in diesem Jahr zwölf Beiträge aus 18 Co-Produktionsländern.