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Wenn Künstler sich globalen Problemen stellen

Kate Müser / spe15. Juni 2016

Ob in den Ruinen von Damaskus oder den Clubs von Berlin – Künstler geben verletzten Kindern neue Hoffnung und bringen sogar Regime ins Wanken. Kann Veränderung mit einem Klavierakkord oder einem Pinselstrich beginnen?

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Berliner Sänger Fetsum © Soul im Hafen
Fetsum in ConcertBild: Soul im Hafen

"Wenn Sie sich über einen Politiker lustig machen, können Sie ihm mehr schaden, als wenn Sie ihm ins Gesicht schlagen", sagte der irakische Comedian und Showmaster Ahmed al-Basheer während einer Diskussion auf dem diesjährigen Global Media Forum der Deutschen Welle in Bonn. Es ging um die Frage, wie Kunst und Kultur den Dialog und politische Veränderungen befördern können.

Militante Extremisten hatten seinen Vater, seinen Bruder und andere nahe Verwandte umgebracht. Für al-Basheer war das der letzte Anstoß, sich zu wehren – zurückzuschlagen mit Humor. Seine satirische Albasheer-Show greift das korrupte Regime mit Witz an, gibt es der Lächerlichkeit preis, macht sich aber auch über religiöse Würdenträger und militante Organisationen lustig. Seine Show wurde auf YouTube über fünfzig Millionen Mal angeklickt. Die Deutsche Welle strahlt sie aktuell in ihrem arabischen Programm aus. Al-Basheer glaubt, dass sein Satire-Programm schon zum Rücktritt mehrerer irakischer Politiker geführt hat.

"Straßenkunst ist eine Form der Interaktion"

Al-Basheer lebt mittlerweile in Jordanien; in seiner Heimat ist es für ihn zu gefährlich geworden, nachdem er das politische Regime im Irak mit seiner Show immer wieder in Aufruhr versetzt hat. Andere Künstler sehen ihre Wirkung weniger direkt. "Ich kann nicht versprechen, dass ich eine große Veränderung bewirke, aber Straßenkunst ist definitiv eine Form der Interaktion", erklärt der Graffiti-Künstler Ammar Abo Bakr aus Kairo. Als 2011 die Revolution ausbrach, kündigte er seine Stelle als Assistenzprofessor am "Luxor Institute of Fine Arts", denn er hatte das Gefühl, dass er auf der Straße mehr gebraucht würde, um die historischen Ereignisse zu dokumentieren, als an der Kunsthochschule.

Einige seiner bekanntesten Arbeiten zeigen die Opfer der Unruhen, die sich 2011 in der Nähe des Tarhir-Platzes ereigneten. Sie sind in der Kairoer Mohamed-Mahmoud-Straße zu sehen. "Diese Straße ist damals zu einer Straße des Todes geworden", erinnert sich Abo Bakr. Jetzt, fünf Jahre später, habe sich die Situation im Land zwar beruhigt, aber seine öffentlichen Wandmalereien seien "das letzte visuelle Gedächtnis der Ereignisse".

Im Laufe der Woche des Global Media Forums, einer internationalen Medien-Konferenz, die die Deutsche Welle zum neunten Mal in Bonn veranstaltete, hat Abo Bakr Kinder in einer nahen Flüchtlingsunterkunft besucht, um ihren Erzählungen zuzuhören und mit ihnen zu malen. Tatsächlich scheine, wenn es darum gehe, politische Kunst, gleichgültig welchen Genres, zu schaffen, "Veränderung" ein Nebeneffekt von "Interaktion" oder Dialog zu sein.

Ammar Abo Bakr Künstler Streetart Kairo Ägypten © picture-alliance/dpa/G.Mayer
Street-Art-Künstler Ammar Abo Bakr schuf in der Nähe des Tahrir-Platzes in Kairo ein Porträt des jungen Revolutionärs Bassem Mohsen, der 2013 von Sicherheitskräften erschossen wurdeBild: picture-alliance/dpa/G.Mayer

Engagement bedeutet zu kommunizieren

Es genügt nicht, dein Gesicht zusammen mit einem Slogan auf ein Plakat drucken zu lassen. Das ist noch kein gesellschaftliches Engagement." Samy Deluxe, einer der bekanntesten Rapper und Musik-Produzenten Deutschlands, betont die Bedeutung des Dialogs.

"Als jemand, der sich in Deutschland öffentlich deutlich gegen Rassimus und für Toleranz ausspricht, berichtet Samy Deluxe, werde er häufig angefragt, sich im Sinne einer guten Sache wie zum Beispiel der Aids-Aufklärung zu engagieren. Um noch konkreter handeln zu können, hat er seine eigene Wohltätigkeitsorganisation gegründet, DeluxeKidz, durch die er benachteiligte Kinder unterstützt.

Der palästinensisch-syrische Pianist Aeham Ahmed führt den Dialog in Form von öffentlichen Konzerten. Nachdem Milizen des sogenannten Islamischen Staats das Yarmouk-Flüchtlingslager in Syrien, in dem er lebte, eingenommen hatten, floh er trotz einer Handverletzung durch einen Granatsplitter nicht. Im Gegenteil, er rollte sein Klavier auf die Straße und spielte inmitten der Ruinen, sang gemeinsam mit den Kindern.

Musik als Protest gegen den Krieg in Syrien

Als die Situation in Syrien immer gefährlicher wurde und die IS-Terroristen sogar sein Klavier verbrannt hatten, machte sich Ahmed auf die lange Reise nach Deutschland. Hier lebt er seit dem Herbst 2015.

"Meine Frau ist immer noch in Syrien. Sie kämpft dort allein", erzählt er. Er hofft, sie, seine zwei Kinder und andere Verwandte nachholen zu können, sobald die dafür notwendigen bürokratischen Hürden bewältigt sind. Das schwierige Wort 'Familienzusammenführung' und dessen Bedeutung habe er bereits gelernt.

In der Zwischenzeit ist Ahmeds Kalender prall gefüllt mit Auftritten, ganz besonders, nachdem er im letzten Jahr den ersten Internationalen Beethoven-Preis gewonnen hat. Wegen seiner Handverletzung sind die technischen Herausforderungen von Beethoven- oder Rachmaninow-Partituren jenseits seiner Möglichkeiten. Aber er spielt Melodien aus seiner Heimat und erhöht damit in Deutschland die Aufmerksamkeit für die Anliegen von Syrern und Palästinensern.

Tasten statt Worte: Aeham Ahmad im Interview

Warum die Deutschen Psychiater brauchen

Musik hat tatsächlich die Kraft, Brücken zu bauen", sagt der deutsch-eritreische Musiker Fetsum Sebhat (siehe Titelbild). Der in Berlin lebende Sänger ist der Sohn von Flüchtlingen aus Eritrea, wurde in Kairo geboren und wuchs in Deutschland auf. Wenn er auf der Bühne stehe und ins Publikum blicke, dann sehe er Menschen, die die Musik zusammengeführt habe, obwohl sie wegen ihrer Vorurteile sonst vielleicht niemals etwas miteinander zu tun haben wollten.

Sowohl Sebhat wie auch Rapper Samy Deluxe, dessen Vater aus dem Sudan kam, betonen, wie frei sie sich in Deutschland fühlen angesichts der Schwierigkeiten, denen sich viele Künstler im Nahen Osten gegenübersehen. Allerdings erinnern sie sich auch noch deutlich daran, wie sehr sie als Kinder in den 1980er Jahren in Deutschland diskriminiert wurden.

"Ich bin verflucht traumatisiert durch meine Kindheit und Jugend in Deutschland", sagte Samy Deluxe. Seine schlimmsten Erfahrungen mit Rassismus habe er allerdings nicht Rechten oder gar Nazis zu verdanken, sondern Menschen, die sich selber für offen und tolerant hielten. "Dem ersten anderen Menschen mit einer braunen Haut bin ich erst mit 15 Jahren begegnet."

GMF Panel 50 How art and culture can foster... Samy Deluxe © DW/K. Danetzki
Rapper Samy Deluxe engagiert sich für JugendlicheBild: DW/K. Danetzki

"Hier ist man frei, aber die Deutschen haben psychologische Probleme, sagte Festsum Sebhat und bezog sich damit auf die Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer Identität und der Frage, wie man Zuwanderer mit fremdem Hintergrund akzeptieren und integrieren kann.

Bliebe Ahmad al-Basheer auch dann noch Satiriker, wenn er in einem freieren und demokratischeren Land leben würde? Seine Antwort zeugt vom künstlerischen Drang, kreativ zu sein, wie die Umstände auch sein mögen. "Ich wurde geboren, um mich über andere Leute lustig zu machen."

Während al-Basheer bei der Frage, ob die Freiheit im Irak in naher Zukunft größer werden wird, pessimistisch bleibt, sind die anderen Diskussionsteilnehmer optimistischer. Samy Deluxe weist darauf hin, dass dunkelhäutige Kinder in Berlin heutzutage längst nicht mehr regelmäßig Ziel von Beleidigungen sind wie noch in seiner Jugend. Fetsum Sebhat pflichtet dem bei – sein fünfjähriger Sohn wachse in einem sehr viel offeneren Deutschland auf als er selber, als er im gleichen Alter nach Deutschland kam. Der syrische Pianist Aeham Ahmed gründet seine Hoffnung auf die deutsche Geschichte: "Syrien wird wiederauferstehen wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg."