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Unbekannter Gast

8. Oktober 2009

In China erreichen Autoren wie Yu Hua ein Millionenpublikum. Außerhalb aber kennt sie kaum einer. So werden die meisten Leser auf der Buchmesse wohl zum ersten Mal mit einem chinesischen Buch konfrontiert werden.

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Ein Buchmessen-Plakt mit chinesischen Schriftzeichen (Foto: dpa)
Für die meisten deutschen Leser ist Chinas Literatur unbekanntes TerrainBild: picture-alliance/ dpa

Zum Beispiel Xu Zechen. Der 1978 geborene chinesische Autor erzählt in seinem Roman "Im Laufschritt durch Peking", wie junge Menschen in Peking illegale Raub-DVDs verkaufen. Sie sind vom Dorf in die Stadt gezogen und schlagen sich nun in der Hauptstadt durch. Xu Zechen beschreibt den Kampf, sich in der Fremde ein neues Leben aufzubauen. Und er macht Peking selbst immer wieder zum Thema, etwa, wenn er ausführlich Straßen, Orte und Situationen wiedergibt. Für den chinesischen Journalisten Shi Ming, der seit Jahren in Deutschland lebt, ist dies ein neues Phänomen chinesischer Erzähltradition: "Wenn wir die Themen beobachten, dann beobachten wir eine Tendenz vom absolut Ländlichen, Bäuerlichen hin zum Städtischen, Urbanen. Nicht nur die Autoren, die schreiben, sondern die Akteure in den Romanen sind mehr und mehr städtische Figuren."

Flache Popliteratur

Schriftsteller Xu Zechen (Foto: WBCO Buchmesse)
Das urbane Leben spielt für Xu Zechen eine große RolleBild: WBCO

Vor allem jüngere Autoren siedeln ihre Romane in den Städten an. Neben Xu Zechen etwa die Popliteratinnen Mian Mian oder Wei Hui. Während die beiden Frauen über Parties, Sex und urbane Lebensträume schreiben, richtet sich Guo Jingming mit seinen Texten an pubertierende Jugendliche. Mit einer gewaltigen Werbe und PR-Maschinerie im Hintergrund hat es der 26-Jährige bereits zum reichsten Schriftsteller in China gebracht. Literarisch ernst könne man diese Bücher jedoch nicht nehmen, sagt der Literaturwissenschaftler Wolfgang Kubin, einer der bekanntesten China-Experten in Deutschland. Sie seien flach. Und schlichtweg kommerziell. "Die junge Generation will, verkürzt gesagt, die Gegenwart begreifen, in der Gegenwart leben. Sie will Spaß haben und Freude und vor allem den neuen Reichtum in den Städten genießen. Das reicht ihr."

Kassenschlager Kulturrevolution

Autor Mo Yan (Foto: dpa)
Macht die Kulturrevolution zum Thema: Mo YanBild: picture-alliance/ dpa

Bei den Autoren, die etwa in den fünfziger Jahren geboren wurden, ist das anders, bei Mo Yan zum Beispiel oder bei Yu Hua. Bei ihnen spielt der Blick in Chinas Vergangenheit eine große Rolle. Vor allem machen sie die Kulturrevolution zum Thema, die von 1966 bis 1976 in China wütete. Die meisten Autoren, so der Vorwurf von Wolfgang Kubin, schrieben jedoch nur deshalb über die Kulturrevolution, weil sich das Thema in China gut verkaufen ließe: "Eigentlich ist das Schreiben über die Kulturrevolution nicht zugelassen, Historiker dürfen die Kulturrevolution im Großen und Ganzen nicht erforschen. Aber Schriftsteller wie Yu Hua wissen, wenn sie darüber schreiben, kommt das Thema in China genauso gut an wie das 'Dritte Reich' in Deutschland."

Überhaupt, der Markt in China. Man dürfe nicht vergessen, dass die meisten chinesischen Autoren beim Schreiben immer auch aufs Geld schielten, sagt Kubin: Chinas Literatur sei stark kommerzialisiert. Das mache sich sogar bei der Länge der Bücher bemerkbar. Denn dass sie im Deutschen oft auf 700, 800 Seiten kämen, habe einen Grund: "Die Autoren können sich nicht konzentrieren auf 200, 300 Seiten, weil sie nämlich pro Zeile bezahlt werden. Das heißt, sie schreiben gar nicht um der Literatur willen, sondern um der Bezahlung willen."

An der Zensur vorbei

Viele Kritiker wie Wolfgang Kubin, der auch gute Kontakte zur Literatenszene in China pflegt, lassen das Argument nicht gelten, dass die Zensur gute Literatur verhindere. Denn wenn chinesische Verlage ein thematisch heikles Buch nicht verlegen wollten, hätten die Autoren die Möglichkeit, es im Ausland drucken zu lassen. "Der Verleger sagt, schreib das um, aber der Autor entscheidet, ob er mitmacht. Er kann sein Buch auch in Hongkong oder Taiwan publizieren, aber viele machen das nicht, weil sie sich mit dem Staat identifizieren."

Autor Yu Hua (Foto: dpa)
In China ein Bestseller-Autor, in Deutschland unbekannt: Yu HuaBild: picture-alliance/ dpa

An Chinas Romanliteratur kann Wolfgang Kubin deswegen nicht viel Gutes finden. Wer gute chinesische Literatur lesen wolle, solle zur Lyrik greifen, so sein Rat. Auch Shi Ming betont die Mängel bei den Romanautoren, etwa, dass sie sich zu wenig Mühe bei der Ausarbeitung ihrer Charaktere gäben. Er weist aber auch darauf hin, dass Chinas Autoren unter ganz besonderen Umständen schrieben. "Die Autoren werden in die Zange genommen. Vom Massenkommerz. Und von der Massenpolitik. Das verschärft natürlich die Situation für die Autoren, ohne dass ich sie jetzt aus der Verantwortung entlassen möchte."

Autorin: Silke Ballweg

Redaktion: Gabriela Schaaf