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Kräftige Formen

Nadine Wojcik5. Februar 2009

Die japanische Zeichnerin Hana Usui lebt seit 2004 in Berlin. Ihre zeitgenössischen Zeichnungen haben es bis in die Berlinsche Galerie und in die Neue Nationalgalerie geschafft.

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Die 1974 in Tokio geborene Künstlerin hat über zwanzig Jahre lang bei renommierten Japanischen Meistern Kalligraphie erlernt. 1998 hat sie den 'Weg des Schreibens' verlassen und widmet sich seitdem der Freien Bildenden Kunst.Bild: Galerie oko

Hana Usui kniet auf einer blauen Plastikplane, die über einen alten Berliner Dielenboden ausgebreitet ist. Energisch verstreicht sie mit einer kleinen Walze schwarze Farbe auf einer Pappunterlage. Neben der Plastikplane stapelt sich ihr Arbeitsmaterial: verschiedene Sorten japanisches Papier, gelb, weiß, durchsichtig oder bambusfarben. Für den Laien ist es nur Papier. Doch wenn Hana Usui es berührt und darüber spricht, bekommt jedes einzelne, noch leere Blatt ein eigenes Wesen. Seit ihrem sechsten Lebensjahr zeichnet die in Tokyo geborene Künstlerin auf Japan-Papier, einem der wichtigsten Materialien der klassischen Kalligrafie. Jahrelang hat Hana Usui Kalligrafie, die dekorative asiatische Schönschrift, bei renommierten japanischen Meistern studiert. Eine harte Arbeit: Denn Tag für Tag kopieren und wiederholen die Kalligrafen die Schriftzeichen, die ihre Meister ihnen vorgeben.

Kalligrafie mit dem Schraubenzieher

In Berlin ist Hana Usui dagegen ihr eigener Chef. Geübt hält sie den gelben Griff ihres kleinen Schraubziehers fest, überlegt einen Moment und zeichnet eine etwa 15 zentimeterlange Linie, die kraftvoll beginnt und im Verlauf immer zarter wird. Ein klassischer Kalligraf könnte da kaum hinsehen. Doch für Hana Usui ist es eine erfüllte Weiterentwicklung, ein notwendiger Bruch mit der Tradition, um ihre eigene Stimme zu finden. Und die spricht in ihrem Berliner Atelier eben nicht mit einem klassischen Kalligrafie-Pinsel, sondern mit einem Schraubenzieher. Zwar sei Kalligrafie sehr interessant, findet Hana Usui, aber es gebe einfach zu viele Regeln. Sie fühlte sich eingeengt, konnte in dieser konservativen Welt nicht mehr leben.

Auf Stilsuche in Berlin

1999 ging sie zunächst nach Wien. Hier lernte sie den Italiener Marcello kennen. Die beiden verliebten sich und heirateten. Doch Wien wurde dem jungen Paar bald zu träge und depressiv. 2004 zogen sie nach Berlin, eine Stadt, die Hana und Marcello aufgrund ihrer boomenden Kunstszene geradezu magisch anzog. Hier zeichnete Hana geduldig weiter, suchte und experimentierte. In Wien hatte sie bereits damit begonnen, die Kalligrafie, den "Weg des Schreibens", zu verlassen. In Berlin schließlich fand sie ihren eigenen Stil. Marcello, der eigentlich studierter Physiker ist, unterstütze sie über all die Jahre. 2005 eröffnete er die Galerie Oko für zeitgenössische japanische Kunst. Seitdem ist er auch offiziell Hanas Manager.

Im Streit zum großen Durchbruch

Dennoch war Hana Usuis Durchbruch Zufall. Ein Journalist einer großen deutschen Sonntagszeitung kam zu einer Ausstellung eines japanischen Künstlers in die Galerie Oko. Im Hinterzimmer – damals noch Hanas Atelier – sah er ihre schwarzen mit Ölfarbe gezeichneten Linien auf zartem Japanpapier. Ihre „Aneinanderreihung von Strichen“ schrieb der Kunstkenner später, zeigen „wie die abstrakte Form erzählerisch und das Kunstwerk sozusagen zur Partitur seiner selbst wird.“ Der Artikel erschien, kurz darauf fuhren die bekannten Sammler Rosenkranz vor und kauften das Bild. Die Berlinsche Galerie und die Neue Nationalgalerie nahmen Hana Usuis Werke auf.
Dabei ist das Bild, das den Durchbruch brachte, nach einem Streit zwischen Hana und Marcello Usui entstanden. Wütend habe sie sich in ihr Atelier zurückgezogen, erzählt die Künstlerin, und mit der Aggressivität des Streits hat sie starke, schwungvolle Linien gezeichnet, die jedoch immer weicher wurden, je mehr ihr Ärger verflog.

Naturmalerei statt Kalligrafie

Hana Usui ist in Berlin ihren Wurzeln treu geblieben. Mit der traditionellen Kalligrafie hat sie zwar gebrochen, doch die damit verbundene innere Haltung zur Kunst ist geblieben. Weiterhin zeichnet sie im Zuge einer Bewegung, abhängig von der Atmung und in Übereinstimmung mit dem eigenen Rhythmus. „Kalligrafie schreibt man mit ganz schwarzer Tusche und auf weißem Papier", erzählt die Künstlerin, "und der Kontrast zwischen schwarz und weiß ist für mich besonders attraktiv. Obwohl ich schwarz oder weiß male, denke ich immer, dass gerade auch der nicht gezeichnete Raum sehr wichtig ist. Und den erkenne ich in Schwarzweißzeichnungen viel besser.“

Schriftzeichen spielen für sie heute keine Rolle mehr. Heute lässt sie sich vielmehr von der Natur inspirieren. Denn die sei in Berlin immer präsent, sagt sie, und sei es nur in Form von Unkraut am Rande des Bürgersteiges. Wer einmal vor den ruhigen und doch vibrierenden Zeichnungen von Hana Usui steht, der wird in den schwarzen Linien auf weißem Papier die Vielfarbigkeit dieser nachdenklichen und humorvollen Künstlerin erkennen.