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Zwischen den Stühlen

Katja Lestanska 7. April 2003

Über 70 Prozent der Bulgaren sind neuesten Meinungsumfragen zufolge gegen den Krieg im Irak. Damit stehen sie im Widerspruch zu ihrer Regierung. Keine einfache Situation.

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Simeon Sakskoburggotski bulgarischer Ex-König und heute Ministerpräsident seines LandesBild: AP

Die Positionen sind in Bulgarien klar: Das Kabinett des Ex-Königs und heutigen Premierministers Simeon Sakskoburggotski und die Abgeordneten der Regierungskoalition unterstützen den Kurs der USA und Großbritanniens im Irak-Krieg. Staatspräsident Georgi Parvanov dagegen hat den Schulterschluss Bulgariens mit der amerikanisch-britischen Koalition abgelehnt. Mit fast zwei Dritteln hat er laut einer Meinungsumfrage die Mehrheit der Bulgaren hinter sich.

Politischer Spagat

Am 7. Februar hat das bulgarische Parlament die Überflugrechte der US-Streitkräfte und der anderen am Krieg beteiligten Staaten sowie die Entsendung von bulgarischen ABC-Schutzkräfte gebilligt. Unter dem Vorbehalt, dass bulgarische Soldaten nicht im Irak eingesetzt würden. Die Experten zum Aufspüren von atomaren, biologischen und chemischen Waffen (ABC-Waffen) sollen im angrenzenden Kuwait zum Einsatz kommen. In der neueren bulgarischen Geschichte ist eine solche Schere zwischen öffentlicher Meinung und offizieller Position in der Außenpolitik kein Einzelfall.

Ähnlich war es vor der NATO-Intervention in Ex-Jugoslawien 1999. Die Mehrheit der Bulgaren war damals gegen die Genehmigung von Überflugrechten für Luftangriffe auf den westlichen Nachbarn. Regierung und Parlament haben anders entschieden. Und später wurde dieser Beschluss als der wichtigste Schritt in Richtung Integration in das Militärbündnis herausgestellt.

Von euro-atlantischen Werten geprägt

Als nun der Irak-Krieg begann, blieben die Positionen der bulgarischen politischen Kräfte unverändert. Sowohl die Regierung als auch die linken und rechten Parteien beteuern unermüdlich, dass ihre politische Haltung von den euro-atlantischen Werten geprägt sei. Und dass Bulgarien nicht vor die Wahl zwischen USA und Europa gestellt werden dürfe. Dies alles in einer Zeit, in der die EU-Beitrittsverhandlungen und die letzten Konsultationen zur NATO-Integration im Gange sind.

In der Irak-Frage wurde keine einheitliche euro-atlantische Position gefunden. Deshalb fiel es dem Premierminister Simeon Sakskoburggotski schwer, den Bulgaren die offizielle Position zu erklären. Klar wurde nur, dass Bulgarien versucht, Punkte bei den Amerikanern zu gewinnen, ohne gleichzeitig das so genannte "alte Europa" zu vergraulen. Emil Koschlukoff, Politikwissenschaftler und Abgeordneter der regierenden Partei NDWZ sagt dazu: "Deutschland und Frankreich können es sich leisten, eine Position im Widerspruch zu der Haltung der USA und Großbritanniens einzunehmen. Für uns ist es schwerer, den Ausgleich der Interessen zu erlangen."

Irak-Frage nicht als Vorwand verwenden

Was die Beziehungen Bulgariens zu Frankreich und Deutschland betrifft, so sei der Prozess der EU-Erweiterung von großer politischer Bedeutung. Es wäre schade, sagt Koschlukoff, sollte die bulgarische Politik die Irak-Frage als Vorwand für eine Verlangsamung der Beitrittsverhandlungen benutzen.

Nikolaj Mladenov, Abgeordneter der oppositionellen "Vereinigten Demokratischen Kräfte" (VDK) nennt noch andere Gründe, die für Bulgarien bei der Unterstützung der amerikanisch-britischen Position von Bedeutung sind: "Die Haltung der VDK zum Irak-Krieg ist von den Erfahrungen Bulgariens während des diktatorischen kommunistischen Regimes geprägt. Wir wissen sehr gut, wie schwer es ist, einen Diktator zu stürzen." Mladenov findet es beunruhigend, dass die EU-Mitgliedsstaaten sich nicht auf eine gemeinsame Haltung in der Irak-Frage verständigen konnten und dass ihre Meinungsunterschiede die Beitrittsländer verunsichert hätten.

Rein statistische Erwägungen

Die linke Opposition in Parlament, die "Koalition für Bulgarien" hat ihre Haltung zum Irak-Krieg nicht geändert - diese militärische Intervention gefährde ihrer Meinung nach die Weltordnung. Der Historiker Andrej Pantev, Abgeordneter der bulgarischen Linken, kritisiert die Regierungspolitik: "Man kann nicht darüber diskutieren, ob die Freiheit durch Bomben erkämpft wird und die Demokratie durch den Beschuss eines Fernsehturmes. Wir in Bulgarien müssen begreifen, dass von uns nichts abhängt. Wenn Bulgarien in den Medien im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg zitiert wird, wird dies nur aus statistischen Erwägungen getan, um zu zeigen, dass auch dieses Land den Krieg unterstützt."