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Zweistromland ohne Wasser

Claus Hecking20. Februar 2003

Hilfsorganisationen und Wissenschaftler schlagen Alarm: Im Kriegsfall droht dem Irak der völlige Zusammenbruch der öffentlichen Wasserversorgung – und den Bewohnern des Landes eine humanitäre Katastrophe.

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Es war ein ganz besonderes Ereignis, als der Irak vor einigen Monaten einen Trinkwasserkanal einweihte. So besonders, dass sogar das staatliche irakische Fernsehen von der pompösen Eröffnungsfeier berichtete – live und stundenlang. Denn sauberes Wasser ist im einst so fruchtbaren Zweistromland an Euphrat und Tigris ein äußerst kostbares Gut geworden.

Lebensader nahezu versiegt

Die Versorgung mit dem kostbaren Nass liegt am Boden, denn im Golfkrieg 1991 wurden Bewässerungskanäle, Kläranlagen und Wasserleitungen besonders stark beschädigt. Seither ist die Versorgung mit dem kostbaren Nass nur bruchstückhaft wiederhergestellt worden. Schließlich fehlt es dem Irak an Devisen.

All dies führt dazu, dass nicht einmal 50 Prozent der Iraker fließendes Wasser haben. Und das, was aus dem Hahn tropft, ist oftmals stark verschmutzt. "Was früher sauberes Wasser war, ist heute gefährlich", sagt Markus Schüth von der Hilfsorganisation Caritas International. Besonders betroffen sind die Schwächsten der irakischen Gesellschaft: Arme, Alte und vor allem Kinder. Nach Angaben von Unicef ist verschmutztes Trinkwasser der Hauptgrund dafür, dass der Irak schon jetzt die höchste Kindersterblichkeit der Welt hat: Jedes achte irakische Kind stirbt vor seinem fünften Geburtstag. Und diese Quote könnte noch weiter ansteigen – dann, wenn nun einer neuer Krieg beginnt.

Kollaps der Wasserversorgung befürchtet

Zwar haben sich die USA in der Genfer Konvention von 1949 verpflichtet, keine Anlagen zur Herstellung, Reinigung oder Entsorgung von Wasser zu attackieren. Doch für all diese Prozesse braucht man Strom – und schon vor zwölf Jahren waren Elektrizitätswerke ein bevorzugtes Ziel der amerikanischen Luftangriffe. Mit einer erneuten Bombardierung, so befürchten Hilfsorganisationen und Wissenschaftler, würde die irakische Wasserversorgung völlig zusammenbrechen, was katastrophale Folgen hätte:

"Die Menschen wären gezwungen, sich ihr Trinkwasser aus den Flüssen zu holen, ohne dass dieses Wasser vorher gereinigt, desinfiziert wird", sagt der Wasserforscher Thomas Schneider von der Ruhr-Universität Bochum. Schon nach wenigen Tagen riefe das durch Industrieabfälle verunreinigte Wasser Symptome wie Fieber, Durchfälle und Nervenschäden hervor. "Und die langfristigen Folgen wären mit Sicherheit Todesfälle."

Hungersnot nicht ausgeschlossen

Auch die irakische Landwirtschaft, wo mehr als die Hälfte aller Iraker arbeiten, hängt am Tropf einer funktionierenden Wasserversorgung. Bereits jetzt hat der Wassermangel zur Folge, dass nur zwölf Prozent der Staatsfläche (in Deutschland sind es mehr als 50 Prozent) für Ackerbau oder Viehzucht genutzt werden. Und fast zwei Drittel der irakischen Felder müssen künstlich bewässert werden. "Die Landwirtschaft könnte nicht aufrecht erhalten bleiben", prognostiziert Schneider. Die Felder würden veröden, Nutztiere verenden, und ein großer Teil der Iraker ihren Arbeitsplatz verlieren.

All dies könnte sogar eine Hungersnot zur Folge haben, falls der Krieg nicht innerhalb weniger Wochen beendet wird. Schon heute überleben zwei von drei Irakern nach UN-Angaben nur deshalb, weil sie internationale Nahrungsmittelhilfe erhalten. Ihr Leiden wird auch in Zukunft noch lange kein Ende haben - selbst dann, wenn es den USA gelingen sollte, den Irak binnen weniger Tage vom Übel Saddam Hussein zu befreien. Denn für die Trinkwasserversorgung sieht Schneider auch langfristig schwarz: Der Wiederaufbau der völlig zerstörten Infrastruktur, so glaubt der Wissenschaftler, werde mindestens zehn Jahre dauern.