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Zweifel an Abschiebung nach Griechenland

28. Oktober 2010

Der Umgang mit Flüchtlingen in Griechenland gilt als skandalös. Kann man noch von "sicherem Drittland" sprechen, in das man Asylbewerber automatisch zurückschicken darf? Das prüft nun auch das Bundesverfassungsgericht.

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Flüchtlinge vor Stacheldrahtsperren (Foto: dpa/archiv)
Flüchtlinge hinter Stacheldraht in griechischen Lagern fordern "Freiheit" und "Brot"Bild: picture alliance/dpa

Die Bilder über die miserable Behandlung der Flüchtlinge vor allem aus Afrika, Afghanistan und dem Nahen Osten in griechischen Lagern und Gefängnissen sind um die Welt gegangen. "Lebensgefahr in Griechenland", kommentierte heute zum Beispiel die niederländische Zeitung "NRC Handelsblad" und sieht schon die "heikle europäische Asylpolitik im Kern bedroht".

Rechtsschutz vor dem Rücktransport nach Griechenland?

Zwei Afrikaner in einem Elendsquartier mit Pappkartons als Schlafstelle (Foto: DW)
Verwahrloste Elendsbaracken als Unterkünfte für Asylbewerber aus Afrika und NahostBild: DW

Der Eilantrag eines Irakers gegen seine Abschiebung zwingt nun auch die höchsten deutschen Richter dazu, sich mit den dortigen Verhältnissen zu befassen. Ein ähnliches Verfahren gab es beim Verfassungsgericht in Österreich, wo eine afghanische Familie zunächst erfolgreich geklagt hatte.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe begann am Donnerstag (28.10.2010) mit der Prüfung der griechischen Asylrechtspraxis. Der Zweite Senat muss entscheiden, ob Abschiebungen von Asylsuchenden von Deutschland nach Griechenland in der bisherigen Form noch verfassungsgemäß sind. Ein Urteil ist in etwa drei Monaten zu erwarten und könnte dazu führen, dass die deutschen Asylverfahren teilweise wieder geändert werden müssen.

Die Vorgeschichte: Ein Flüchtling aus dem Irak war über Griechenland nach Deutschland eingereist und hatte Asyl beantragt. Wer aber über einen so genannten "sicheren Drittstaat" - und dazu zählt auch Griechenland - in die Bundesrepublik kommt, kann hier keinen Asylantrag stellen, sondern muss eigentlich ohne jede rechtliche Prüfung zurückgeschickt werden. Dies ist geltende Rechtslage nach dem Dublin-II-Beschluss der Europäischen Union.

Was ist ein "sicherer Drittstaat"?

200 Flüchtlinge am Strand vor Schiff der Küstenwache (Foto: dpa/archiv)
Flüchtlingsschicksal an den Stränden Griechenlands: UN, Menschenrechtler und Abgeordnete des Europaparlaments kritisieren immer wieder unmenschliche Verhältnisse in Aufnahmelagern und AsylhaftanstaltenBild: picture-alliance/dpa

1996 hatten die deutschen Verfassungsrichter die entsprechenden Änderungen des Asylrechts in der Bundesrepublik für grundgesetzkonform erklärt und auch diese Rückführung in "sichere Drittstaaten" grundsätzlich gebilligt. Allerdings hatte es sich in Ausnahmefällen eine Rechtsschutzprüfung vorbehalten.

Und genau von dieser Ausnahmebestimmung hat das Karlsruher Gericht im Falle Griechenlands schon mehrfach Gebrauch gemacht. Auch bei dem irakischen Asylbewerber war die "Rückschiebung" zunächst gestoppt worden. Nun wird die Beschwerde des Mannes im Hauptsacheverfahren geprüft.

Er hatte geltend gemacht, ihm sei der Zugang zu einem geordneten Asylverfahren in Griechenland praktisch unmöglich. Von "nicht überwindbaren Schwierigkeiten" war die Rede. Auch Amnesty International (AI) und das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen hatten Zweifel an der Athener Rechtspraxis angemeldet.

Katastrophale Verhältnisse - Asylsystem "zusammengebrochen"

UN-Beauftragter Manfred Nowak vor Mikrofon (Foto: dpa/APA)
Zeichnete erschütterndes Bild des Asylsystems in Griechenland: UN-Beauftragter NowakBild: picture-alliance/APA/GEORG HOCHMUTH

Über diese juristischen Streitfragen hinaus haben die Vereinten Nationen erst jüngst den Umgang mit Flüchtlingen in Griechenland als "katastrophal" angeprangert, insbesondere in Lagern und Gefängnissen. Die Asylsuchenden würden unter menschenunwürdigen Bedingungen weggeschlossen, hätten oft keinen Zugang zu Rechtshilfe und vegetierten manchmal ohne Kleidung und Decken in heruntergekommenen Unterkünften, wusste der UN-Sonderberichterstatter, Manfred Nowak, nach einem Besuch in Justizvollzugseinrichtungen und Abschiebegefängnissen Mitte Oktober zu berichten.

In den ersten acht Monaten des Jahres seien fast 90 Prozent aller in der Europäischen Union verhafteten illegalen Einwanderer in Griechenland aufgegriffen worden. Der Österreicher Nowak appellierte vor der Presse in Athen an die EU-Staaten, Abschiebungen nach dem Dublin-II-Vertrag nach Griechenland vorerst auszusetzen. Experten von Menschenrechtsgruppen urteilten schon einmal, das griechische Asylsystem sei "völlig zusammengebrochen".

Vor wenigen Tagen hatte die Regierung in Athen Hilfe der EU-Grenzschutzagentur Frontex angefordert, weil das Land mit dem wachsenden Strom illegaler Flüchtlinge auf dem Landweg über die türkische Grenze nicht mehr fertig wird.

Autor: Siegfried Scheithauer (dapd,epd,afpe)
Redaktion: Reinhard Kleber

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