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Und nach den Spielen?

Gabriel Borrud25. Juli 2012

Die Londoner Bevölkerung ist keineswegs davon überzeugt, dass ihre Stadt von den Olympischen Spielen in diesem Sommer langfristig profitieren wird.

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Olympische Ringe in Kew Gardens in London. (Foto: REUTERS)
Bild: Reuters

Seitdem London als Austragungsort der Olympischen Sommerspiele auserkoren wurde, ist ein heftiger Streit über die Verteilung der dafür vorgesehenen Gelder entbrannt. Insbesondere die Bevölkerung der recht heruntergekommenen östlichen Stadtteile ist verärgert über die Sanierungspläne der Regierung. "Wir erfahren ständig mehr über die riesigen Summen öffentlicher Gelder, die für diese fünfwöchige Gaudi verschwendet werden. Ich habe mein gesamtes Leben in dieser Gegend verbracht und möchte auch weiterhin hier leben. Meiner Meinung nach sollte in viel stärkerem Maße sichergestellt werden, dass die einheimische Bevölkerung von diesen Geldern profitiert", sagte Glyn Robbins, Hausverwalter und Aktivist aus East London, der DW.

Robbins befürchtet, dass nur ein kleiner Teil der über elf Milliarden Euro, die für die Sommerspiele vorgesehen sind, für eine langfristige Sanierung der verarmten östlichen Stadtteile verwendet wird. "Nur ein verschwindend geringer Teil der Bauten, die im Rahmen der Spiele errichtet werden, sollen später der einheimischen Bevölkerung zur Verfügung gestellt werden wie zum Beispiel Wohnraum zu erschwinglichen Preisen. Hier ist also eine deutliche Diskrepanz zwischen dem, was die Olympia-Werbe-Maschinerie uns einreden möchte, und den nackten Tatsachen“, sagte Robbins.

Luftansicht des Olympiaparks in London (Foto: Anthony Charlton)
Der Olympische Park sollte auch nachher von Nutzen seinBild: London 2012

Die Behörden wiederum argumentieren, das Geld werde sehr wohl nutzbringend für die Errichtung von Veranstaltungsorten ausgegeben, auch nach diesem Sommer. Ian Crockford, Projektmanager des Olympiaparks, sagte der DW, eine gesamte Londoner Region sei quasi saniert worden. "Wir haben die ganze Gegend gründlich aufgeräumt und die marode Infrastruktur verbessert. Und jetzt haben wir einen wunderbaren neuen Park mitten in London. Außerdem haben wir noch weitere Modernisierungen durchgeführt, die ansonsten nicht finanzierbar gewesen wären."

Genug der Täuschungen

Eine dieser langlebigen Örtlichkeiten ist der Olympiapark in der Nähe von Stratford in Ostlondon. "Er ist sozusagen für die Ewigkeit erbaut worden und soll für eine ganze Bandbreite von sportlichen und kulturellen Aktivitäten herhalten. So stellt er eine großartige Bereicherung für diese Gegend dar und wird sicherlich voll ausgenutzt werden", sagte Crockford.

Genau diese Art, Dinge zu präsentieren, sorgt nicht nur bei Julian Cheyne für große Verwirrung. Mit der sogenannten Sanierung von Ostlondon hat er seine eigenen persönlichen Erfahrungen gemacht. So wurde Cheyne 2007 aus seinem Haus in Clay’s Lane vertrieben, das dem Olympiapark weichen musste. Die Kompensierung, die er dafür vom Staat erhalten habe, sei viel geringer ausgefallen als er und auch andere Vertriebene erwartet hätten, sagte er der DW.

Julian Cheyne (Foto: Julian Cheyne)
Julian Cheyne plant Demonstationen vor und während der SpieleBild: Julian Cheyne

Aber was ihn noch viel mehr aufrege, so Cheyne, sei die Art und Weise, in der die Olympia-Vertreter die Bevölkerung von Ostlondon zu "täuschen" versuchten. "Die sogenannte Sanierung im Rahmen der Olympischen Spiele ist mehr oder weniger vom Staat durchgeführter Landraub im großen Stil. Schon seit Jahrzehnten werden in diesen Vierteln von London – Stratford, Newham, die Docks und andere – diverse Entwicklungsvorhaben durchgezogen. Aber die Olympia-Vertreter, einschließlich der britischen Regierung, tun jetzt geradezu so, als würden sie zum ersten Mal überhaupt einen Hauch von moderner Entwicklung in diese Gegend bringen. Was hier abläuft, ist eine legale Landnahme, die die natürliche Entwicklung behindert, die hier bereits seit langem stattfindet."

"Nicht im Interesse der Menschen"

Cheyne ist Sprecher der Vereinigung Counter Olympics Network (CON), die Demonstrationen vor und während der Spiele plant. "Wir sind gegen das, was mit diesem Land hier passiert, weil all dies keinesfalls im Interesse der Menschen ist, die in Stratford und Newham und in der näheren Umgebung leben. Es ist vielmehr im Interesse von Bauunternehmern, die hier Land erhalten haben, um neue Gebäudekomplexe hochzuziehen und anschließend höhere Mieten zu kassieren. Also wirklich, all das als Sanierung einer bereits lebensfähigen und sozial funktionierenden Gemeinde zu verkaufen – das ist einfach unakzeptabel."

Vertreter der britischen Regierung und der Olympia-Organisatoren argumentieren hingegen, dass schon alleine die große Bandbreite der Bauprojekte innerhalb und außerhalb des Olympiaparks von Stratford das Image von Ostlondon gewaltig aufpoliert hätten und dadurch mehr Einnahmen durch den Tourismus generiert würden – während und nach den Olympischen Spielen.

"Der Park von Stratford wird ein Hauptanziehungspunkt werden. Und auch weitere interessante Örtlichkeiten in dieser Gegend werden viele Touristen anlocken. Die zahlreichen kulturellen Ereignisse, die hier stattfinden werden, werden von jetzt an das gesamte Erscheinungsbild von Ostlondon entscheidend verbessern”, sagte John Armitt, Vorsitzender der Olympic Delivery Authority, der DW.

Stratford City in der Nähe des Olympiaparks. (Foto: Julian Cheyne)
Stratford City in der Nähe des Olympischen ParksBild: Julian Cheyne

Ein Segen für Immobilien-Haie?

Das Aufpolieren von Ostlondon ist einer der vier wichtigsten Pfeiler eines Regierungsplans zur Sicherstellung des langfristigen Nutzens der Olympischen Spiele: Punkt vier dieses Plans, der vom Ministerium für Kultur, Medien und Sport vorgelegt wurde, besagt: "Es ist sicherzustellen, dass der Olympiapark nach den Spielen eine Hauptquelle der Regenerierung von Ostlondon darstellen wird."

Unabhängige Beobachter der Entwicklung von Ostlondon begegnen jedoch einem in diesem Plan enthaltenen Versprechen mit Skepsis. Es betrifft die Schaffung von 5000 neuen Wohnungen in und um den Olympiapark nach den Spielen. "Wohlstand wird weiterhin in den Händen von denjenigen bleiben, die ihn bereits besitzen”, sagte Jules Boykoff, Politikwissenschaftler und Autor der Tageszeitung "The Guardian", der DW in einem Interview. "Ich wäre höchst erstaunt, wenn sich das Ganze nicht am Schluss als goldene Gelegenheit für Immobilienhaie entpuppt, die diese Gegend so weit aufpeppen, dass die Menschen, die aktuell hier leben, sich das in Zukunft nicht mehr leisten können."

Neuere Umfragen ergeben, dass nicht nur einige desillusionierte Bewohner von Ostlondon wie Glyn Robbins oder Julian Cheyne, sondern die gesamte britische Bevölkerung vom langfristigen Nutzen der Olympischen Spiele alles andere als überzeugt ist. Laut einer Umfrage der internationalen Online Marktanalyse-Agentur YouGov meinen 64 Prozent der Briten, dass die Spiele "Menschen wie ihnen" nichts Gutes einbringen wird, während 40 Prozent sogar ausgesagt haben sollen, London hätte sich als Austragungsort der Olympischen Spiele gar nicht erst bewerben sollen.