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Zwangsarbeit im NS-Deutschland

15. Juli 2010

Bis zu 12 Millionen Männer und Frauen aus fast allen europäischen Ländern waren während des Zweiten Weltkriegs zwangsweise nach Deutschland verschleppt worden. Ohne sie wäre die Wirtschaft zusammen gebrochen.

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Arbeitsbücher gfür so genannte Zwangsarbeiter während der NS-Diktatur 1939 - 1945. (Foto: KZ-Gedenkstätte Dora -Mittelbau) Geliefert von: MARCEL FÜRSTENAU bzw. Franka Kühn Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Head of public relations Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" Lindenstraße 20-25 10969 Berlin Germany Tel. +49 (0)30 25 92 97-76 Fax. +49 (0)30 25 92 97-11 E-Mail: kuehn@stiftung-evz.de www.stiftung-evz.de
Arbeitsbücher der nach Deutschland verschleppten "Zwangsarbeiter".Bild: KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Mit dem Überfall auf Polen begann am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg. Millionen deutscher Soldaten wurden von der Wehrmacht an immer mehr europäischen Fronten eingesetzt. In Deutschland blieben als Folge auch immer mehr Arbeitsplätzte leer. Weniger aus ideologischer Gründen als vielmehr der ökonomischen Notwendigkeit gehorchend, wurden so genannte "Fremdvölkische" in den besetzten Ländern rekrutiert und zwangsweise nach Deutschland verschleppt.

"Ostarbeiter"

Häftlinge aus dem Konzentrationslager Neuengamme heben 1942 den Stichkanal vom Klinkerwerk zur Dove-Elbe aus. Sie kamen aus dem KZ Neuengamme. (Foto:dpa)
Zwangsarbeiter heben 1942 einen Stichkanal zur Dove-Elbe ausBild: PA/dpa

Die slawischen Völker standen als "Untermenschen" in der rassistischen Rang- und Hackordnung der Nationalsozialisten an letzter Stelle. Sie sollten als Arbeiter dem Deutschen Reich zur Verfügung stehen. Dementsprechend brutal waren die Rekrutierungsmethoden bei den so genannten "Ostarbeitern". Ganze Jahrgänge wurden eingezogen und verschleppt, Männer und Frauen wurden ohne Rücksicht auf ihre Familien zusammen getrieben und nach Deutschland deportiert.

Zwei von den Amerikanern befreite Zwangsarbeiter des KZ Dora-Mittelbau in Thüringen hocekn auf einer Treppe vor einem Lagergebäude (Foto:dpa)ort+++
Zwangsarbeiter des KZ Dora-Mittelbau in Thüringen nach der Befreiung durch die Amerikaner Anfang Mai 1945Bild: picture alliance/dpa

Hermann Göring, ranghöchster Militär und Vertrauter Hitlers, beschrieb im November 1941 die Lebensperspektiven russischer Zwangsarbeiter in Deutschland. Da sie in Russland "zum Teil in Erdhöhlen wohnen", benötigten sie nur einfache Kleidung und Verpflegung. Sie sollten sich eine "eigene Kost schaffen wie Katzen oder Pferde." Holzschuhe reichten aus, "Unterwäsche ist den Russen kaum bekannt." Wenn die russischen Zwangsarbeiter gegen ihre menschenunwürdige Situation aufbegehrten, dann sollte es nur zwei Strafen geben:"Ernährungsbeschränkungen oder standrechtliche Exekution".

"Zwangsarbeiter"

Da hatten es die Zwangsarbeiter aus Holland, Belgien, Frankreich oder den skandinavischen Ländern schon besser. In der nationalsozialistischen Vorstellung eines "arischen Europas" standen sie den Deutschen, als dem allein herrschenden Volk, sehr viel näher. Bei ihnen hatten NS-Ideologen "arische" Wurzeln entdeckt, so dass ihre Lebensbedingungen besser waren. Aber auch die westlichen "Zwangsarbeiter" sind der Willkür der Deutschen unterworfen, denen nichts wichtiger war als die Aufrechterhaltung der Kriegsproduktion. Fritz Sauckel, der "Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz", beschrieb diesen Zusammenhang im Februar 1943 mit zynischer Offenheit:"Der Hauptzweck, weshalb ich hier spreche, ist der, klarzumachen: Wir Deutschen brauchen Waffen, Kriegsgerät und Kriegsgüter, der französische Arbeiter braucht Arbeit und Brot."

Für die Organisation dieser größten Menschenverschleppung seit dem Ende der Sklaverei wurde Fritz Sauckel 1946 vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Kriegswirtschaft

Zwangsarbeiter in einer Munitionsfabrik bei Dachau, waehrend des Zweiten Weltkriegs. (Foto:AP)
Zwangsarbeiter in einer Munitionsfabrik bei DachauBild: AP

Die deutsche Wirtschaft, die vollständig auf Kriegsproduktion umgestellt worden war, kam ohne die "Zwangsarbeiter" nicht mehr aus. 1944 waren rund ein Viertel aller Arbeitsplätze mit so genannten "Fremdvölkischen" besetzt. Die meisten von ihnen waren in Außenlagern von Konzentrationslagern untergebracht und wurden von der SS den Betrieben zur Verfügung gestellt. Für die Lagerverwaltungen war das ein lohnendes Geschäft, für die "Zwangsarbeit" oft ein Einsatz auf Leben und Tod.

Im ganzen Land verteilt, entstanden zudem etwa 30.000 so genannte "Fremdarbeiterlager". Darin lebten Männer und Frauen unter zumeist grausamen Umständen. Sie waren vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, durften weder Schwimmbäder noch Kino oder Theater besuchen. Sie litten unter schlechter Ernährung, langen Arbeitszeiten und den mitunter tötlichen Schikanen, denen sie am Arbeitsplatz ausgesetzt waren.

"Wir wurden immer nur geschlagen."

Uri Chanoch lebte 1941 mit seiner Familie in Litauen. Der damals 13-Jährige wurde zur Zwangsarbeit von den deutschen Besatzern rekrutiert und gezwungen ins jüdische Ghetto zu ziehen. 1944 wurde er nach der Liquidation des Ghettos nach Deutschland verschleppt. Im KZ-Stutthof wurde er von seiner Mutter und seiner Schwester getrennt – beide sah er nie wieder. Er selbst wurde nach Landsberg gebracht, wo er an den Bunkern für den als "Wunderwaffe" angekündigten Düsenjäger Messerschmidt 262 arbeiten musste:"Man hat das Vernichtung durch Arbeit genannt." Gearbeitet wurde in 12 Stunden-Schichten. Wer in den Beton fiel, hatte keine Chance mehr:"Hunderte Leute sind ins Beton gefallen, und dann überdeckt worden. Das war ein normales Ritual – zubetoniert, ja genau zubetoniert" wurden sie.

Autor: Matthias von Hellfeld

Redaktion: Hartmut Lüning