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Zurück an den Staat?

Oliver Schilling6. Juli 2002

Nach France Télécom ist auch der französische Großkonzern Vivendi wegen Liquiditätsproblemen in die Schlagzeilen geraten. Staatspräsident Chirac und Regierungschef Raffarin bangen um das ehemalige Vorzeigeunternehmen.

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Hat mit Milliarden jongliert: <br>Jean-Marie MessierBild: AP

Die Story las sich wie ein Märchen der Wirtschaftsgeschichte: Innerhalb von nur sieben Jahren gelang es, den ehemaligen staatlichen Wasserversorger Générale des Eaux in den zweitgrößten Medienkonzern der Welt zu verwandeln. Der Erfolg war mit einem Namen verbunden, der zur Metapher für Enthusiasmus und Unternehmergeist wurde: Jean-Marie Messier. Wie ein fliegender Händler kaufte und verkaufte Messier Unternehmensanteile. Die bekannten Universal-Filmstudios in Hollywood, der Universal Musikverlag, TV-Senderketten und Mobilfunkanbieter standen auf seinem Einkaufszettel. Erst vor sieben Monaten erwarb Messier für 11,4 Milliarden Euro das Fernseh- und Kabelgeschäft von USA Networks.

Vivendi kurz vor der Zerschlagung

Nun ist die Blase geplatzt. Messier wurde zum Rücktritt genötigt, Vivendi Universal steht vor einem Schuldenberg von 34 Milliarden Euro. Allein im vergangenen Jahr verbuchte der Konzern einen Rekordverlust in Höhe von 13,6 Milliarden Euro. Doch die wahre Bilanz dürfte noch schlechter aussehen, denn Vivendi steht im Verdacht, mit Hilfe des Wirtschaftsprüfers Arthur Anderson die Bilanz für 2001 um insgesamt 1,5 Milliarden Euro geschönt zu haben. Deswegen steht möglicherweise die Zerschlagung des Konzerns bevor: Hoch profitable Unternehmensanteile müssten verkauft werden, um Schulden zu decken. Genau das, einen Ausverkauf des Unternehmens an US-Investoren, will Staatspräsident Chirac mit allen Mitteln verhindern. Versorger-, Telekom- und TV-Bereiche des Konzerns sollen in französischer Hand bleiben, so lautet die Order aus dem Elysée-Palast.

Ende des Privatisierungsbooms?

Unterdessen wirft der Fall Vivendi einen Schatten auf den Privatisierungsboom, der in Frankreich - wie in vielen anderen Ländern auch - in den achtziger und neunziger Jahren als Wundermittel zur Sanierung der Staatskasse und Garant für den wirtschaftlichen Aufschwung galt. Allein durch den Verkauf der France Télécom erwirtschaftete der französische Staat bis 1998 Erlöse von 17,5 Milliarden Euro. Weitere Milliarden wurden durch die Privatisierung der Crédit Lyonnais in die Staatskassen gespült.

Doch die Euphorie von einst ist verflogen. So hat France Télécom mittlerweile einen Schuldenberg von rund 60 Milliarden Euro angehäuft und die Lage ist so ernst, dass schon seit Wochen Gerüchte um eine Wiederverstaatlichung des Unternehmens kursieren. Angesichts des niedrigen Aktienkurses des Unternehmens wäre dies für den Staat noch nicht mal teuer.

Strich durch die Rechnung

Noch vor wenigen Wochen hatte der frisch gewählte Ministerpräsident Jean Pierre Raffarin angekündigt, er wolle mit der Privatisierung der Air France und des Rüstungsunternehmens Thales rund fünf Milliarden Euro erwirtschaften. Auch Gaz France und weitere Anteile von Crédit Lyonnais stehen auf seiner Verkaufsliste. Doch die Abstürze von France Télécom und Vivendi könnten ihm nun einen Strich durch die Rechnung machen. Französische Intellektuelle und Teile der Opposition sind ohnehin gegen weitere Verkäufe von Staatsbetrieben. Außerdem haben viele Privatanleger das Vertrauen in die Märkte verloren. Und ganz ohne Kleinaktionäre ist es bekanntlich schwierig, Staatsbetriebe an die Börse zu bringen.