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Klassentreffen

Sabine Damaschke23. Juni 2008

Seit ein Klick im Internet das Wälzen von Adressbüchern ersetzt, boomen die Klassentreffen in Deutschland. Für viele ist die Reise in die Vergangenheit allerdings ein heikles Rendezvouz mit der eigenen Geschichte.

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Jungenschulklasse um 1910Bild: DHM

In Liebesfilmen bieten sie die perfekte Kulisse für heimliche Affairen, in Krimis für heimtückische Morde. Schriftsteller wie Erich Kästner haben sie zum Thema einer bitterbösen Satire über die "Männer mit Bauch" und dickem Geldbeutel gemacht. Kein Wunder, denn Klassentreffen schüren Emotionen.

Auf die Reise in die Vergangenheit geht niemand mit einem Schulterzucken, sagt Sozialwissenschaflerin Sabine Maschke. Die 45-jährige Mitarbeiterin am Siegener Zentrum für Kindheits-, Jugend- und Biografieforschung hat sich als erste deutsche Forscherin mit der Psychologie der Klassentreffen beschäftigt. Schon die Einladung wecke gemischte Gefühle, da sie "zu einer Lebensbilanz provoziert", erklärt Maschke.

"Zu meinem ersten Klassentreffen bin ich nur auf Drängen meines Mannes gegangen", berichtet Heidrun Bach (Name geändert). Die ehemalige Lehrerin war in ihrem Abiturjahrgang eine von drei Mädchen unter 70 Jungen, als sie 1955 ihren Schulabschluss machte. Von ihren Mitschülern fühlte sie sich nicht akzeptiert. Außerdem hatte sie aufgrund einer Erkrankung nur vier Jahre im Beruf gearbeitet. "Beruflich konnte ich nichts vorweisen", sagt sie.

Neugierde und Suche nach einem Stück Heimat

Klassentreffen 60 Jahre nach der Einschulung
Klassentreffen provozieren zu einer LebensbilanzBild: picture-alliance/Bildfunk

Doch Bach war neugierig auf den Lebensweg ihrer früheren Mitschüler - laut Maschke das entscheidende Motiv, an einem Treffen 25 Jahre nach dem Abitur teilzunehmen. So lange warten die jungen Deutschen heute meistens nicht mehr. Gerade die Generation der über 30-Jährigen pflege das Wiedersehen mit den alten Schulkameraden gerne und frühzeitig, beobachtet Daniel Haidn vom Internetportal StayFriends. Das Erlanger Unternehmen bietet seit 2002 ein Netzwerk für die Suche nach alten Freunden an - und registriert einen Boom an Klassentreffen.

Internet Cafe in Breslau
Das Internet erleichtert die Organisation eines KlassentreffensBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

"Noch nie wurden bei uns so viele Feiern angekündigt wie in diesen Sommermonaten", berichtet Haidn. Über 10.000 Treffen zählte er bereits im Mai. Genutzt wird die Plattform heute von rund sechs Millionen Menschen. Eine Umfrage unter den Nutzern ergab, dass sich fast 58 Prozent bereits mit ihrer ehemaligen Klassen getroffen haben. Knapp 60 Prozent sehen sich in unregelmäßigen Abständen.

Besonders bei der "Generation Praktikum" stellt Haidn ein Bedürfnis nach dem "heimeligen Nest" der Schulzeit fest. "Viele ehemalige Klassenkameraden sind aufgrund der schwierigen Jobsituation über ganz Deutschland verstreut", erklärt Haidn. "Und viele haben aufgrund ihrer befristeten Stellen noch keine Familie gegründet, suchen aber nach Geborgenheit und Heimat."

Klassentreffen werden im Internet organisiert

Von diesem Bedürfnis profitiert nicht nur StayFriends. Zahlreiche Internetforen helfen bei der Suche nach ehemaligen Klassenkameraden. AbiTreff etwa registriert vier Jahre nach seiner Gründung bundesweit 11.000 Mitglieder aus über 1500 Gymnasien. Viele Schulen haben auf ihren Internetseiten Foren eingerichtet, in denen Klassentreffen organisiert werden können. "Ziel ist dabei natürlich auch, durch die Bindung an die alte Schule finanzkräftige Unterstützung für Förderprojekte zu erhalten", erklärt Maschke.

Ob sich die Klassenfeier zu einer festen Institution entwickelt, hängt nach ihren Angaben aber vor allem von der ausgewogenen Mischung zwischen einer "Wir- und Ich-Zeit" bei den Treffen ab. "Es reicht nicht, nur über gemeinsame alte Zeiten zu sprechen", erklärt sie. "Es muss auch Raum für Gespräche über das heutige Leben geben." Nur so könne eine vertraute Gemeinschaft mit neuen Akzenten entstehen.

Erinnerungen an die Schulzeit bewahren

Offenbar steigt das Interesse an Klassentreffen im Laufe des Lebens. Maschke jedenfalls beobachtet bei Menschen im Rentenalter das starke Bedürfnis, in der Spätphase ihres Lebens einen "Ort des Bewahrens gegen das Vergessen" zu finden. "Viele treffen sich regelmäßig in ihrem Heimatort, besuchen das Grab ihres Lehrers und interessieren sich dafür, wie die ehemaligen Klassenkameraden ihr Alter bewältigen."

So wie Heidrun Bach. Die 65-Jährige nimmt heute regelmäßig an den Treffen ihrer ehemaligen Klasse teil. Die erste Feier, 25 Jahre nach dem Abitur, war für sie eine "richtige Befreiung", weil sie ihre Rolle in der Klasse falsch eingeschätzt hatte. In den Augen ihrer Schulkameraden sei sie keine Außenseiterin, sondern eine geschätzte Mitschülerin gewesen, erzählt Bach. "Das hat mir 25 Jahre nach meiner Schulzeit ein neues Selbstbewusstsein gegeben."