1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Biologische Vielfalt

17. Mai 2010

Um die Artenvielfalt ist es schlecht bestellt. Alle internationalen Versuche, den Verlust biologischer Diversität zu Bremsen, sind gescheitert. Was muss geschehen?

https://p.dw.com/p/NNVf
Bild: DW

Die Vereinten Nationen feiern in jedem Jahr den 22. Mai als Internationalen Tag der Biologischen Vielfalt. Darüber hinaus haben die Vereinten Nationen das Jahr 2010 zum Internationalen Jahr der Biologischen Vielfalt ausgerufen. So wird dieses Jahr die Bedeutung dieser Ressourcen für Entwicklung und Armutsbekämpfung herausgestellt. Die internationale Gemeinschaft hatte sich 2002 zum Ziel gesetzt, bis 2010 den Verlust der biologischen Vielfalt zu bremsen. Doch sie ist gescheitert. Schon seit längerem ist klar: Das Ziel wird nicht erreicht werden und eine Diskussion über Post-2010-Ziele hat längst begonnen. Somit wird das Scheitern bereits im Vorfeld abgemildert, damit die nächste Vertragsstaatenkonferenz der UN-Konvention über die Biologische Vielfalt, die im Oktober in Japan stattfinden wird, doch noch ein Erfolg werden kann. Die Frage ist: Für wen?

Aus Sicht der Artenvielfalt sieht es düster aus. Am 10. Mai wurde der dritte Bericht zur Lage der Biologischen Vielfalt (Global Biodiversity Outlook 3) veröffentlicht, der die Zielverfehlung unterstreicht. Das Artensterben geht ungebremst weiter und einige Ökosysteme stehen vor sogenannten „tipping points“. Das bedeutet, dass ihre fortschreitende Zerstörung schwerwiegende, irreversible Folgen für Natur und Menschen haben werden.

Der Mensch schadet der Natur und sich selbst

Der menschliche Einfluss ist überdeutlich. Arten sterben aus, weil ihr Lebensraum durch landwirtschaftliche Produktion oder Urbanisierung zerstört wird, sie selbst übernutzt werden oder vom Menschen eingeführte gebietsfremde Arten sie verdrängen. Hinzu kommt der Klimawandel, der zum Beispiel durch Temperatur- und Niederschlagsveränderungen viele Arten bedroht.

Porträt Carmen Richerzhagen, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (Foto: DIE)
Dr. Carmen Richerzhagen, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)Bild: DIE

Das Aussterben einzelner Arten hat einen verheerenden Einfluss auf das menschliche Leben. Die Nutzung biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen (z.B. Nahrung, Trinkwasser, Klima- und Bodenregulierung) bilden die direkte Lebensgrundlage vieler Menschen oder dienen der Produktion von Exportgütern, die zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen; sei es in der Land- und Forstwirtschaft, in der Fischerei, in der Medizin oder im Tourismus. Das Leben von 1,6 Milliarden Menschen basiert auf Forstprodukten (Holz, Pilze, Beeren etc.). Dem steht eine jährliche Abholzung von 13 Millionen Hektar pro Jahr gegenüber. Fisch ist das Hauptnahrungsmittel für über eine Milliarde Menschen; dabei sind bereits 80 Prozent der Fischbestände voll ausgebeutet oder überfischt. 80 Prozent der Bevölkerung in Afrika nutzen in der traditionellen Medizin Pflanzen und Tiere als medizinische Hauptversorgung.

Biologische Ressourcen werden kleiner

Aber nicht nur Entwicklungsländer sind Nutznießer der Biodiversität. Auch Industrieländer, die einen Großteil ihrer eigenen natürlichen Ressourcen bereits verbraucht haben, hängen von einer weltweiten Bereitstellung ab. So basiert zum Beispiel der Umsatz der Pharmaindustrie zu einem großen Teil auf genetischen Ressourcen. Ein zunehmender Verlust biologischer Vielfalt bedeutet, dass zukünftig all diese Leistungen eingeschränkt werden und dass auf zukünftige Anforderungen (z. B. Krankheiten, Klimawandel) schlechter reagiert werden kann, da der Pool aus dem man schöpfen kann, kleiner wird.

Wenn man diese negativen Konsequenzen des Biodiversitätsverlustes vor Augen hat, stellt sich die Frage, warum es der internationalen Gemeinschaft nicht gelungen ist, den Verlust zu bremsen. Könnte man alle Werte der biologischen Vielfalt für die menschliche Entwicklung zusammenrechnen, käme man zu dem Schluss, dass es sich bei Schutzbemühungen um eine lohnenswerte Investition handelt. Aber biologische Vielfalt ist ein öffentliches Gut und ihre Leistungen entziehen sich jeglicher ökonomischer Bewertung. Der Verlust wird als unvermeidbarer Nebeneffekt wirtschaftlicher Aktivitäten in Kauf genommen.

Entwicklungsländer besonders betroffen

Von der Nutzung biologischer Vielfalt profitiert die Weltgemeinschaft insgesamt, aber die negativen Folgen des Verlustes sind vor allem lokal zu spüren. Besonders hart betroffen sind Menschen in Entwicklungsländern. Sie sind stärker auf natürliche Ressourcen angewiesen und haben kaum Ausweichmöglichkeiten. Sie werden durch den weiteren Verlust von Biodiversität tiefer in die Armut sinken.

Um Klarheit über die tatsächlichen Kosten des Verlustes zu erlangen und um den politischen Entscheidungsträgern neue Argumente zum Schutz von Biodiversität an die Hand zu geben, wurde 2007 nach einem Treffen der G-8-Umweltminister in Potsdam eine Studie mit dem Titel "Die Ökonomie der Ökosysteme und der Biodiversität"“ (The Economics of Ecosystems and Biodiversity - TEEB) in Auftrag gegeben. Die ersten Ergebnisse der Studie zeigen, dass der Verlust an biologischer Vielfalt allein auf dem Land in den letzten zehn Jahren Kosten in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar verursacht und die Potentiale der Nutzung enorm geschmälert hat. So werden derzeit zum Beispiel die jährlich entgangenen Gewinne durch nicht nachhaltiges Fischen auf 50 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Die Verantwortung, in biologische Vielfalt zu investieren, obliegt den einzelnen Staaten. Fast alle (mit Ausnahme der USA und Andorra) haben die Konvention über die Biologische Vielfalt unterzeichnet und sich damit ihren Zielen – der Erhaltung, der nachhaltigen Nutzung und dem gerechten Vorteilsausgleich – verschrieben. Der Großteil der noch vorhandenen Biodiversität befindet sich aber in Entwicklungsländern, die mit dieser Aufgabe alleine überfordert sind. Es ist also unabdingbar, dass die Industrieländer die nötigen Investitionen unterstützen.

Entwicklungszusammenarbeit ist gefordert

Die Entwicklungszusammenarbeit ist hier gefordert: Sie kann dazu beitragen, dass der zunehmende Verlust der biologischen Vielfalt nicht in immer schlechtere Lebensbedingungen für die Armen mündet und sie kann die Nutzung der geschützten Ressourcen fördern, z.B. durch die Förderung von nachhaltigem Tourismus. Bisher ist der Anteil der Öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit, der in Biodiversitätsschutz investiert wird, mit drei Prozent zu gering, um den Verlust von biologischer Vielfalt wirklich zu bremsen. Wenn die neuen Ziele ernst genommen werden, muss die Finanzierung deutlich erhöht werden. Möglicherweise auch über eine international koordinierte Abgabe auf die Nutzung der natürlichen Ressourcen, um einen ökonomischen Anreiz zur Eindämmung des ungebremsten Naturverbrauchs zu setzen.

Autorin: Dr. Carmen Richerzhagen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in Abteilung "Umweltpolitik und Ressourcenmanagement", Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das einzigartige wissenschaftliche Profil des DIE ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Forschung, Beratung und Ausbildung. Dadurch baut das DIE Brücken zwischen Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.