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Zeuge mit ärztlichem Attest

Marcel Fürstenau21. Februar 2013

Der Bundestags-Untersuchungsausschuss zum "Nationalsozialistischen Untergrund" befragt den ehemaligen Chef des Thüringer Verfassungsschutzes und wundert sich nicht nur über seine Aussage.

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Der ehe,alige Verfassungsschutzchef Thüringens, helmut Roewer, während seiner Zeugenbefragung. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)
Bild: Getty Images

Verschwundene Akten, ahnungslose Zeugen – der Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) hat schon eine Menge erlebt. Seit Donnerstag (21.02.2013) ist die Geschichte dieses seit gut einem Jahr in Berlin ermittelnden Gremiums um eine kurios anmutende Erfahrung reicher: Der ehemalige Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Helmut Roewer (im Artikelbild), sollte auf Empfehlung einer Ärztin nur in Zeitblöcken von maximal 45 Minuten mit regelmäßigen Pausen befragt werden. Die Medizinerin hatte vor Beginn der öffentlichen Zeugenbefragung zu einer "besonders behutsamen Verhandlungsführung" geraten und einen Ruheraum für ihren Patienten verlangt. Letztlich nahm Roewer die erste Unterbrechung aber erst nach 90 Minuten in Anspruch.

Die Obleute des NSU-Untersuchungsausschusses nahmen das Geschehen sichtlich irritiert zur Kenntnis. Ursprünglich hatte Roewer aus gesundheitlichen Gründen gar nicht erscheinen wollen.

NSU: Sonnenkönig vor Ausschuss

Deshalb habe man ein amtsärztliches Attest gefordert, sagte der FDP-Abgeordnete Patrick Kurth der Deutschen Welle. Kurth stammt aus Thüringen, wo sich ebenfalls ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit dem offensichtlichen Versagen der Sicherheitsdienste in Bezug auf den NSU beschäftigt. An Roewers Auftritt in Thüringen im vergangenen Jahr kann sich Kurth noch gut erinnern. Der von 1994 bis 2000 amtierende Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz sei vor allem durch "sarkastische Bemerkungen" aufgefallen.

V-Mann "aus dem Ruder gelaufen"

In Berlin wurde Roewer vor allem zur Rolle des vorbestraften Rechtsextremisten Tino Brandt befragt, der bis 2001 für den Thüringer Verfassungsschutz als V-Mann tätig war. Trotz seiner intensiven Kontakte innerhalb der Neo-Nazi-Szene hat Brandt den Sicherheitsbehörden anscheinend keine nützlichen Informationen geliefert. Roewers Kommentar zur unergiebigen Kooperation mit Brandt: "Mein Eindruck war, dass er uns mit der Zeit aus dem Ruder gelaufen ist." Deshalb habe er auch veranlasst, die Quelle Brandt "abzuschalten", also die Zusammenarbeit zu beenden.

Die Befragung Roewers bestärkte die Obleute des Untersuchungsausschusses in ihrer Überzeugung, dass die Sicherheitsbehörden in Thüringen eklatant versagt haben. Denn trotz langjähriger Beobachtung durch den Verfassungsschutz konnte das erst 2011 aufgeflogene mutmaßliche NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 1998 untertauchen. Von 2000 bis 2007 sollen die drei aus Thüringen stammenden Rechtsextremisten zehn Morde sowie zahlreiche Banküberfälle und Bombenanschläge begangen haben.

"Die glauben immer, dass wir mehr wissen"

Vor Roewer war dessen früherer Stellvertreter Peter Nocken befragt worden, der von 1997 bis 2001 für den Bereich Rechtsextremismus zuständig war. Nocken wies den Vorwurf zurück, seine Behörde habe Informationen über den möglichen Aufenthaltsort des NSU-Trios zurückgehalten. Diesen Eindruck hatte vor einigen Wochen ein Zielfahnder des Thüringer Landeskriminalamtes (LKA) vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages vermittelt. "Die glauben immer, dass wir mehr wissen, als wir preisgeben", konterte Nocken diesen Vorwurf.

Aus den überwiegend als geheim eingestuften Akten wissen die Obleute des Untersuchungsausschusses eigenen Angaben zufolge, dass es Hinweise auf den möglichen Aufenthaltsort der Rechtsextremisten gegeben haben soll. Auch um Waffen sollen sich die drei bemüht haben. Für den Ausschuss-Vorsitzenden Sebastian Edathy (SPD) steht deshalb fest, dass dem LKA Thüringen "eindeutig relevante Informationen" vorenthalten worden seien. Es wundere ihn schon, "dass Roewer meint, sich an viele Dinge nicht erinnern zu können". Edathy hält den ehemaligen Verfassungsschützer im Ergebnis für "schlichtweg unglaubwürdig".