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Zerstückelte Leber

23. März 2011

Wer nicht in Deutschland geboren ist, beschreibt eine seelische Krankheit oft anders, als es in deutschen Medizin-Lehrbücher steht. Deshalb werden sie bei Ärzten schwer verstanden. Interkulturelle Klinikbereiche helfen.

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Symbolbild Depression: Mann von hinten hält sich den Kopf (Foto: Olga Lyubkin)
Wie beschreibt man eine Depression?Bild: fotolia/Olga Lyubkin

Eine Krankheit, für die sie keinen Namen fand - unter diesem Schicksal litt die Irakerin, die seit fast 30 Jahren in Deutschland lebt. Was ihr blieb, waren allein Umschreibungen für die Symptome: Schlaflosigkeit, ständige Nervosität, Kopfschmerzen. "Ich habe Migräne seit 50 Jahren - sehr, sehr stark und jeden Tag", sagt die Endfünfzigerin, die früher Lehrerin war, mit starkem arabischem Akzent.

Tabuthema seelische Krankheit

Die irakische Patientin, die ihren Namen nicht nennen möchte, litt unter einer schweren Depression. Aber so, wie sie ihr Leiden beschrieb, konnten deutsche Ärzte die Krankheit schwer erkennen. Wer nicht in Deutschland aufgewachsen ist, beschreibe eine seelische Krankheit ganz anders als es in deutschen Medizin-Lehrbücher steht, weiß Gelas Habasch von der LVR-Klinik in Bonn. Auch weil psychische Erkrankungen etwa in arabischen Ländern ein Tabuthema seien, würden arabische Patienten das Wort "Depression" oft nicht einmal verstehen - und wenn sie unter einer Depression leiden, nur körperliche Auswirkungen der Krankheit beschreiben. "Sie sagen, sie haben Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen, und mit diesen Symptomen kommen sie zu uns. Diese Symptome sind dann die einzigen Ausdrücke, die sie benutzen, um uns ihre seelischen Beschwerden mitzuteilen", sagt Habasch.

Zerstückelte Leber und erkälteter Kopf

Viele dieser Patienten irren deshalb von Arzt zu Arzt, ohne die richtige Diagnose und Behandlung zu bekommen. Gelas Habasch ist Fachärztin in der Interkulturellen Ambulanz der Bonner LVR- Klinik. Seit 2002 existiert dieses Angebot. Es soll Migranten einen einfachen Zugang zu psychiatrischer Behandlung bieten. Ähnliche Abteilungen gibt es mittlerweile an vielen anderen Kliniken in Deutschland.

Habasch ist Kurdin aus dem Nordirak. Patientengespräche führt sie auf Arabisch, Kurdisch und Russisch. Sie kennt viele Umschreibungen für seelische Krankheiten. Patienten aus dem Iran etwa würden häufig die Redewendung "meine Leber ist zerstückelt" benutzen. Gemeint sei damit, dass sie unter einer schweren seelischen Zerrissenheit und Traurigkeit leiden. "Und Türken sagen oft 'erkälteter Kopf' - das bedeutet, dass jemand seinen Verstand verloren hat", erklärt Habasch.

Neben der Sprache gibt es für viele Patienten ein weiteres Problem: Sie kennen das deutsche Gesundheits- und Sozialsystem nicht. In der Interkulturellen Ambulanz arbeitet deshalb auch eine Sozialarbeiterin. Sie hilft bei Behördengängen, Anträgen und Briefen.

Viele helfende Hände

Die irakische Patientin hatte Glück im Unglück. Anders als viele andere Kranke fand sie schnell den Weg in die Interkulturelle Ambulanz. 1500 Patienten werden hier pro Quartal behandelt. Gelas Habasch half ihr in Therapiegesprächen auf Arabisch, die Sozialarbeiterin unterstützte beim Rentenantrag. Inzwischen geht es der Patientin besser. Einmal im Monat kommt sie noch in die Ambulanz zum Therapiegespräche auf Arabisch. Medikamente halfen ihr dabei, wieder besser Schlaf zu finden. "Und ich versuche es mit Sport, Spaziergängen oder Treffen mit Freunden", erzählt sie.

Autor: Christian Siepmann
Redaktion: Kay-Alexander Scholz