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Zeitungsstreit in Polen

2. Januar 2002

- Der Chefredakteur der RZECZPOSPOLITA, Maciej Lukasiewicz, wirft der GAZETA WYBORCZA Unprofessionalität vor

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Warschau, 2.1.2002, GAZETA WYBORCZA, poln.

Die Zeitung GAZETA WYBORCZA widmet seit einiger Zeit der RZECZPOSPOLITA, ihrem Hauptrivalen auf dem Pressemarkt, und insbesondere deren Eigentumsverhältnissen besonderes Interesse. Das kommt sowohl in Artikeln eigener Autoren als auch von Autoren, die unter einem Pseudonym arbeiten, zum Ausdruck. Am Dienstag widmete sich uns auch der Chefredakteur von NIE, Jerzy Urban, der - ganz nach seiner Art - einen Artikel voller Gift und Beleidigungen über angebliche politische Verbindungen der RZECZPOSPOLITA veröffentlichte.

Diese Tatsache wirft die Frage auf, ob wir es nicht mit einem weiteren Angriff auf die Unabhängigkeit unserer Zeitung zu tun haben. Wir haben bereits mehrere Regierungen hinter uns, sowohl Regierungen rechter als auch linker Orientierung. Und ist denn nicht der Medienpluralismus in Gefahr, wenn die GAZETA WYBORCZA als das wichtigste, wenn nicht das einzige meinungsbildende Medium auftritt?

Zu dem seit einiger Zeit herrschenden Streit unter den Eignern der Aktiengesellschaft Presspublica, die die RZECZPOSPOLITA herausgibt, haben wir als Zeitung nicht Stellung genommen. Wir waren der Meinung, dass wir in diesem Konflikt nicht Partei ergreifen sollten, solange unsere redaktionelle Unabhängigkeit und unsere Stellung auf dem Medienmarkt nicht gefährdet sind. Mögen über den Streit die zuständigen Kammern und Gerichte entscheiden. Wer auch immer Eigentümer der RZECZPOSPOLITA ist, wir wollen das Recht auf vollständige Information und freien Kommentar über jedes Thema beibehalten. Bisher war es so.

Aber nun geschah etwas, worüber wir nicht schweigen dürfen.

In der gestrigen Ausgabe von NIE erschien ein Artikel, der unsere Glaubwürdigkeit zu unterminieren versucht. Man wirft uns Beteiligung an politischer Korruption vor, vertrauliche Pakte mit der Regierung Buzek und die Bekämpfung der linken Opposition. Unsere Leser wissen, dass diese Vorwürfe völlig unhaltbar sind. Die Sache ist aber insoweit interessant, als dass Urbans Artikel, obwohl er gegen die RZECZPOSPOLITA gerichtet ist, den Titel "Das Geheimnis der Wyborcza" trägt und von einem großen Bild Adam Michniks geschmückt wird.

Möglicherweise steckt dahinter tatsächlich irgendein Geheimnis, die ganze Geschichte begann nämlich in der GAZETA WYBORCZA, die in ihrer Ausgabe vom 31.10.-1.11. 2001 den Artikel "Wie ich das Haushaltsloch stopfte" druckte. Der Name des Autors wurde mit dem Pseudonym Maciej Kuczarski angegeben. Der Autor, Leiter eines bestimmten staatlichen Unternehmens, gab sich in diesem Artikel als Fürsprecher der Interessen des Staates zu erkennen, dessen ausländischer Mehrheitsaktionär hat nämlich seit sechs Jahren seine Gebühren für den Erwerb seiner Aktienanteile nicht abgeführt. Außerdem hatte er noch viele weitere Einwände, was die Zusammenarbeit mit seinem Partner betrifft. Obwohl wir wussten, dass es sich um die Miteigentümer unserer Zeitung - die Presspublica Holding Norway und den staatlichen Verlag Rzeczpospolita - handelte, beschlossen wir als Redaktion, dazu nicht Stellung zu nehmen, denn der Artikel betraf schließlich nicht uns, sondern die Aktionäre und vor allem, weil der Autor anonym blieb.

Der gestrige Artikel Urbans, der sich den Artikel der GAZETA WYBORCZA zu nutze macht und die an dem Streit Beteiligten, wenn auch nicht alle, nennt, zwingt uns jedoch, dazu Stellung zu beziehen. Wenn die Unabhängigkeit und die Glaubwürdigkeit unserer Zeitung unterminiert werden, dann dürfen wir nicht schweigen. Die Erfahrungen der letzten Jahre noch im Bewusstsein, als man die RZECZPOSPOLITA entmündigen und sie der Mannschaft unterordnen wollte, die gerade an der Regierung war, möchten wir einige einfache Fragen stellen.

Wie ist das Verhalten jenes Maciej Kuczarski zu bewerten, der in einer Zeitung, die der größte Rivale einer Zeitung ist, dessen Mitherausgeber er ist, seinen Interessenspartner anonym denunziert?

Wie ist das Verhalten der GAZETA WYBORCZA einzuschätzen, die einen solchen Text publiziert, ohne die darin enthaltenen Anschuldigungen geprüft zu haben und die sich für seine Glaubwürdigkeit auch noch verbürgt? Und wie steht es um das Berufsethos, das sowohl im Journalismus als auch im Geschäftsleben gelten sollte?

Warum brachte die GAZETA WYBORCZA am Montag in Form eines Leserbriefes einen Brief des Staatssekretärs im Finanzministerium Wieslaw Ciesielski, der für Vermögensfragen zuständig ist, in dem dazu aufgefordert wird, den in der GAZETA WYBORCZA dargestellten Sachverhalt beim Namen zu nennen, obwohl er genau weiß, um wen es hier geht und "der Fall bereits eingehend geprüft wird"?

Und warum schaltete sich schon am nächsten Tag Jerzy Urban ein, ohne abzuwarten bis Ciesielski und die ihm unterstellten Dienste irgendetwas zu klären vermögen und die zuständigen Stellen und Gerichte über den Streit zwischen den Aktionären der RZECZPOSPOLITA entscheiden (...)?

Auf all diese Fragen erwarte ich natürlich keine Antwort von Jerzy Urban. Ich rechne eher damit, dass sich Adam Michnik zu Wort meldet. Ich weiß nicht, was wen in dieser Sache tatsächlich verbindet, aber als Chefredakteur der RZECZPOSPOLITA bin ich mir über eines sicher: Unsere Zeitung wird weiterhin ausgewogen und unparteiisch bleiben und sich dem Druck, von welcher Seite er auch immer kommen sollte, nicht beugen.

Der Text des Artikels war am 14. November in der RZECZPOSPOLITA erschienen. (TS)