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1968: Fotos von Jim Rakete und Ludwig Binder

26. April 2018

Pressefotograf Ludwig Binder dokumentierte 1968 Studenten-Proteste und Polizeiaufmärsche in Berlin. Mit ihm als Praktikant unterwegs: Jim Rakete. Eine Ausstellung zeigt Fotografien von beiden – 50 Jahre danach.

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Ausstellung Die 68er. Fotografien von Ludwig Binder und Jim Rakete
Bild: Stiftung Haus der Geschichte/Ludwig Binder

Mit schnellen, zielgerichteten Schritten durchmisst Jim Rakete (67) die beiden Ausstellungsräume im Museum der Kulturfabrik. Er inspiziert mit knappen Blicken die fachgerechte Hängung seiner großformatigen Fotografien. In das historische Umfeld der alten Kulturbrauerei im Stadtteil Prenzlauer Berg passen sie bestens hinein: Schwarz-weiß, am Kopfende auf roter Ziegelwand, über Kopf hoch gehängt, so dass man sie nicht auf Augenhöhe anschaut. Andere Fotos von ihm hängen auf weißen Wänden, sorgsam arrangiert. Stellwände in der Mitte. Rakete ist zufrieden.

Ein frühes "Selfie" aus der Zeit der analogen Fotografie dokumentiert seine Anfänge als junger Fotograf: Sein damaliger Chef, der Berliner Pressefotograf Ludwig Binder, hatte für ein Fotoshooting ein "Fish Eye", ein extremes Weitwinkel-Objektiv gekauft. Und bat seine Mitarbeiter zum Selbstauslöser-Foto vor die Kamera. Mit im Bild der 17-jährige Jim Rakete, damals vom Praktikanten gerade zum Kamera-Assistenten aufgestiegen. Beim Rockkonzert von Jimi Hendrix  durfte er schon mal allein fotografieren.

Rakete: Ganz nah am Puls der Zeit

Ausstellung Die 68er. Fotografien von Ludwig Binder und Jim Rakete
Kämpfernatur: Grünen-Politiker Hans-Christian StröbeleBild: Jim Rakete

"Ich bin eigentlich durch ihn und die Ereignisse 1967/68 zum Fotografen geworden", sagt Rakete im Interview. Die Begegnung mit den Pressefotos von Ludwig Binder aus dieser Zeit, die das Haus der Geschichte zu der Ausstellung "Die 68er" zusammengestellt hat, ist für ihn ein wichtiger Moment. "Binder war einer der wenigen, der beide Seiten gezeigt hat: die Polizisten im Hagel der Steine, und auch die blutig geprügelten Studenten." Rakete war damals nur Zaungast der der politischen Ereignisse, machte aber die neuen Lebensformen - von der WG bis zum studentischen Sit-in - voller Begeisterung mit.

Geboren ist der erfolgreiche Fotograf in Berlin, als "gediegener Jahrgang 1951", wie er scherzend sagt. Sein Vater arbeitete als politischer Korrespondent beim Rundfunk. Diskussionen über das aufgeladene Zeitgeschehen in der "Frontstadt" Berlin gehörten für ihn zum Familienalltag.

Seinen Vornamen "Jim" hat Rakete den "Amis" zu verdanken, wie die Berliner die amerikanischen GIs in der Besatzungszeit nannten. Günther konnte die US-Soldaten nicht so gut aussprechen. Seine Musik war damals das, was in den Nachkriegsjahren bei AFN aus dem Lautsprecher drang. Ab 1968 war Jim Rakete dann als Fotoreporter für das Springerblatt "BZ" unterwegs, er wollte "sein eigenes Ding" machen.

Binder: Chronist des politischen Umbruchs

Ludwig Binder war - wie Jim Rakete auch - ein Autodidakt als Fotograf. Während des Studiums begeisterte er sich für amerikanischen Jazz und begann mit Vorliebe Musiker aller Professionen zu fotografieren. Seine eigene Band nannte sich damals "Studentenkapelle". Anfang der 1960er Jahre ließ sich Binder als freiberuflicher Fotograf in West-Berlin nieder. Und gründete 1967 seine eigene Agentur, in der Rakete als Schüler-Praktikant anfing.

Fotoausstellung Die 68er
Zeitgeschichte: Pressefoto von Ludwig Binder von 1968Bild: DW/H. Mund

Binder war sehr umtriebig, rastlos in seiner Arbeit und hörte regelmäßig Polizeifunk ab. Als Fotoreporter war er dadurch schnell vor Ort. Und wurde so zum Chronisten der Berliner Studentenunruhen. Er fotografierte die zum Teil auf beiden Seiten gewalttätigen Demonstrationen, dokumentierte auch die Stunden danach. Und er war Zeitzeuge der Mordanschläge auf Benno Ohnesorg und Rudi Dutschke. Seine Fotos sind zu Ikonen der 68er-Bewegung geworden.

Fotografische Begegnung mit Zeitzeugen

Der Rundgang mit Jim Rakete durch die Ausstellung gleicht auch einer Zeitreise. Wir bleiben vor dem Portrait einer Frau stehen: kurze Haare, klarer Blick aus klugen, etwas traurige Augen. "Friederike Hausmann hat damals den tödlich verletzten Studenten Benno Ohnesorg gehalten und zu retten versucht", erklärt Jim Rakete. "Ohnesorg wurde dann schwer verletzt durch ganz Berlin gekarrt, in verschiedenen Krankenwagen. An allen Krankenhäusern wurde er abgewiesen. Das ist eine völlig unverständliche Geschichte im Nachhinein", fügt Rakete nachdenklich hinzu. 

Deutschland Geschichte Studentenbewegung Benno Ohnesorg 1967
2. Juni 1967: Der gezielte Schuss eines Polizisten traf den Studenten Benno Ohnesorg am Kopf. Foto: L.BinderBild: AP

Die Begegnung mit Friederike Hausmann für das Fotoshooting hat ihn lange beschäftigt. "Sie hat eine etwas andere Perspektive auf die damaligen Geschehnisse als ich. Und auf die Protagonisten, weil sie sieht, wie viele davon in eine ganz andere Richtung marschiert sind. Das habe ich natürlich nicht so intensiv mitbekommen, weil ich nie drin war in diesen studentischen Kreisen." Sein Lehrmeister, Ludwig Binder, hatte damals die Bildikone vom Abtransport des tödlich getroffenen Benno Ohnesorg fotografiert. Ein unvergessliches Bild für ihn.

Faszinierende Dynamik des Umbruchs

Als Gegenüber zu dem Liedermacher Hannes Wader hat Rakete auf eine gegenüberliegende Stellwand das Portrait des Ex-Kommunarden Rainer Langhans gehängt. "An Rainer fand ich erstmal ganz besonders exotisch und aufregend, dass er mit Uschi Obermaier (ehemaliges Mitglied der Kommune I, Anm. der Red.) zusammen war. Da stellte man schon mal die Ohren auf, und sagte: interessante Ansage", fügt er bewundern hinzu. "Die waren wie das Markenzeichen der Kommune 1."

Als junger Erwachsener konnte Rakete wenig mit dem esoterischen Flower-Power-Habitus von Langhans anfangen. Gerade hätte dieser wieder mit diesem Räucherstäbchen-Nimbus in der Talkshow bei "Markus Lanz" gesessen, merkt er nebenbei an.

Berlin Ausstellung  Jim Rakete - Der deutsche Liedermacher Hannes Wader
Liedermacher Hannes Wader - 50 Jahre danachBild: Jim Rakete

Fasziniert hätte ihn mehr die Dynamik der Studentenproteste, das radikale Aufbegehren der Jugend gegen Althergebrachtes und gegen die Autoritäten der Nazi-Generation. "Man ist irgendwo hingefahren, und da passierte gerade irgendwas", erzählt er im DW-Interview. "Alles war die ganze Zeit in Bewegung.  Momente des Stillstands waren die, an denen sich eigentlich am meisten bewegen sollte. Die großen studentischen Sit-ins und die Diskussionen vor riesigem Publikum in Audimax-Sälen, wo die Redeliste kein Ende fand. Wo Leute sich einfach totgeredet haben."

"Es wurde unentwegt geredet, geredet…"

Anfang 1968 war Jim Rakete noch Schüler. Die studentischen Proteste, die Revolte gegen die Autoritäten aus der Nazi-Zeit, betrachtete er damals eher aus der Ferne. Die Revolte hat er anfangs bestaunt. Bis heute habe er sich eine Distanz zu den "68ern bewahrt". Er selbst zähle sich nicht dazu. "Wenn jemand menschlich argumentiert hat, da war man schnell im Hintertreffen. Wenn zum Beispiel jemand wie ich gesagt hat: Das mit der Gewalt finde ich jetzt nicht so gut. Oh, da war aber schnell eine ziemlich schräge Stimmungslage. Und es wurde sehr viel über mögliche Gewalt geredet damals. Das hat mich total abgestoßen."

Jim Rakete deutscher Fotograf
Meisterlich eingerichtet: Portraitfoto von Jim Rakete (2017)Bild: Katrin Kutter

Ihm ging diese "ewige Laberei" gehörig auf die Nerven: "Ein faszinierendes Phänomen bei diesen 68er-Geschichten, was sich in alle Wohngemeinschaften reingezogen hat: Es wurde unentwegt geredet, geredet und geraucht. Und am Ende eines solchen Abends hatte alle das Gefühl, sie hätten die Welt verändert. Aber niemand fand mehr die intellektuelle Kraft, die Aschenbecher zu leeren. Das war dann immer ich." Er lacht ein Siegerlächeln, während er diesen Satz platziert. Leider ist in dem Moment keine Kamera zur Hand. Es hätte ein historisches Foto werden können.