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Zeit zum Zuhören

Matilda Jordanova-Duda28. Oktober 2015

Schon beim ersten Kontakt sollten Ausbildung und informell erworbene Kompetenzen der Flüchtlinge erfasst werden, damit sie schnell Arbeit oder Ausbildung finden, so die Otto Benecke Stiftung. Auch wenn das teuer ist.

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Flüchtlinge Deutschland
Bild: Reuters/F. Bensch

Herkunftsland und Fluchtgrund: Darum geht es heute im Aufnahmeverfahren - und nicht um die Qualifikation. Zumindest bei Flüchtlingen aus den nicht-sicheren Herkunftsländern sollten bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen die Abschlüsse und beruflichen Fähigkeiten erfasst werden, fordert die Otto Benecke Stiftung. Diese Menschen werden voraussichtlich bleiben, und so kann man sie sofort gezielt fördern.

Weil vielen Flüchtlingen Zeugnisse fehlen, ist es mit einer kurzen Frage nicht getan, meint Hans-Georg Hiesserich von der Bonner Stiftung, die seit 50 Jahren Migranten für den Arbeitsmarkt qualifiziert. "Wir brauchen einen Talent-Check".

Ob jemand eine Universität oder eine Fachschule absolviert habe oder ob er oder sie gar keinen formellen Abschluss hat, dafür aber jahrelang in der Autowerkstatt des Onkels gearbeitet oder kranke Verwandte gepflegt hat: Das finde man erst nach einem längeren Gespräch heraus. Dafür brauche es geschulte Interviewer und einen Leitfaden, so Hiesserich.

Symbolbild Deutschland Flüchtlinge kommen an
Schon bei der Ankunft sollten Informationen zu Beruf und Ausbildung gespeichert werden.Bild: picture-alliance/dpa/S. Rampfel

Vorerst solle man den Angaben der Flüchtlinge einfach vertrauen und erst im zweiten Schritt den Nachweis der Kenntnisse durch abgelegte Prüfungen fordern. Diese Informationen könnten auf einer sogenannten "TalentCard" gespeichert werden, damit sie nicht bei der Ersterfassungsstelle hängen blieben. Am nächsten Aufnahmeort oder beim Beratungsdienst könne mit Hilfe des Chips gleich der passende Kurs vermittelt werden.

Fortbildungen für Erstkontakt mit Flüchtlingen

Modellprojekte, die in diese Richtung gehen, gibt es in Hamburg, Friedland oder Reutlingen. Die Bundesagentur für Arbeit hat sich dafür mit anderen Trägern zusammengetan. Im Allgemeinen würden aber Unternehmen, die Flüchtlinge einstellen wollen, selten bei der Agentur für Arbeit fündig, sagt Regina Karsch von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie.

Beispielsweise suchen die Gewerkschaft und der Arbeitgeberverband zurzeit Azubis für die Chemieindustrie unter den Neuankömmlingen. "Die Ehrenamtlichen, die sich um Flüchtlinge kümmern, können ihnen mehr Aufmerksamkeit widmen", sagt Karsch auf der gewerkschaftlichen Tagung "Anerkennungskultur jetzt!". "Weil sie wirklich zuhören, sind sie für uns meist die besseren Ansprechpartner", so Karsch. "Sie können uns direkt sagen, in welche Kompetenzrichtung wir jemanden bringen können."

"Diejenigen, die Kontakte zu den Flüchtlingen haben, müssen über Fortbildungen zu Interviewern geschult werden, die in der Lage sind, auch verborgene Talente zu erkennen, informelle Bildungsverläufe zu erfassen und diese so darzustellen, dass der Abnehmer sie verstehen kann", meint Hiesserich von der Otto Benecke Stiftung.

Umsonst sei das natürlich nicht. Doch man solle die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, heißt es von der Stiftung. Bei früheren Einwanderungswellen seien ausländische Qualifikationen nicht beachtet worden. So gebe es immer noch Ärztinnen, die putzen gehen, Wissenschaftler, die Taxi fahren oder Ingenieure, die am Fließband stehen. Jetzt könnte eine neue Unterschicht entstehen, befürchtet die Stiftung. Investitionen würden sich aber in Form von steigenden Steuereinnahmen und rückläufigen Sozialleistungen schnell bezahlt machen.

Fachkräfte für Anerkennung in den Betrieben

Wer keinen Abschluss vorweisen kann, gilt als ungelernt und kann höchstens als Hilfskraft arbeiten. "Die Arbeitnehmer trauen sich nicht zu sagen, der Job passt nicht", so Karsch. Die Gewerkschafterin berät Betriebsräte und Migranten über die Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Dafür müssten sich die Interessenvertreter der Beschäftigten mit dem Thema auskennen. "Fit sind die meisten auf dem Gebiet nicht, aber wir arbeiten daran." Die Betriebsräte und Betriebsrätinnen interessierten sich für das Thema, fühlten sich aber meist hilflos, meint Karsch. Denn in dem Dickicht aus Bund- und Ländergesetzen für die verschiedenen Berufe würden selbst Profis nicht durchblicken.

Das Bildungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) schult Betriebsräte, Migrationsbeauftragte oder Vertrauensleute der Gewerkschaft zur "Fachkraft für Anerkennung". "In den Betrieben muss es Personen geben, die sich darum kümmern, dass das Themenfeld Anerkennung und verwandte Themen wie Weiterbildung verankert werden kann", sagt der Projektleiter, Daniel Weber. Es sei die klassische Aufgabe von Betriebsräten zu verhindern, dass die Neuen zu ausbeuterischen Bedingungen eingestellt werden: unter Qualifikation oder mit weniger Lohn für die gleiche Arbeit.

Der 26-jährige Asylbewerber Hamza Ahmed aus Somalia arbeitet gemeinsam mit dem Meister an einem Stahlsegment für einen Windradturm, Foto: Patrick Pleul
Nur wenige Flüchtlinge haben bislang die Chance in deutschen Unternehmen zu arbeiten.Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Aber es gebe auch viele Instrumente darüber hinaus. Für die Anerkennung seien zum Beispiel oft Anpassungsqualifizierungen notwendig, aber die Beschäftigten könnten sie selten aus eigener Tasche bezahlen. Die Arbeitgeber könnten finanziell oder durch betriebsinterne Schulungen helfen. Hilfskräfte profitierten heutzutage kaum von betrieblicher Weiterbildung. Der Betriebsrat könne einfordern, dass die Leitung einen Weiterbildungsplan für alle Beschäftigten mache, so Weber.