1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Zeit der großen Versprechen

21. Januar 2002

- Kommentar zum Wahlprogramm der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP)

https://p.dw.com/p/1jS9

Budapest, 21.1.2002, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch, Zoltán Lovas

Die sozialistische MSZP ist als erste der beiden Großparteien mit ihrem Wahlprogramm an die Öffentlichkeit getreten. Die taschenbuchgroße, 16-seitige Broschüre mit dem Titel "Im Einverständnis mit der Nation", die Premier-Kandidat Péter Medgyessy vor kurzem vorgestellt hat, ist zugleich auch als Regierungsprogramm zu betrachten, sollte die Partei die Wahl im April gewinnen. Zudem präsentierte die MSZP auch die Liste ihrer Kandidaten.

Keine Überraschung bereitet die Spitze der Wahlliste, mit Péter Medgyessy, Parteichef László Kovács und dessen Stellvertreterin Katalin Szili. Den vierten Platz nimmt Ex-Regierungschef Gyula Horn ein. Unter den ersten 20 Kandidaten befinden sich ein populärer Polizeikommissar und ein Flugweltmeister auf Jagdmaschinen. Auch der Name der Ex-Gesundheitsministerin Judit Csehák ist dort zu finden, die sich einst mit Premier Horn überworfen hatte und sich aus der aktiven Politik zurückzog.

Unter den ersten 20 befinden sich vier Frauen, die alle auf ein Ministeramt schielen. Auch wenn nur wenige der Minister und Staatssekretäre der Horn-Regierung auf der neuen Liste vertreten sind, so fehlt auch die junge Generation - auf Platz 17 ist der erste zu finden. Das Versprechen der MSZP, diese stärker zu fördern, erfüllt sich nicht.

Die Liste zeigt, dass die maßgeblichen innerparteilichen Lager sich schließlich doch auf einen Kompromiss geeinigt haben. Das ist schon deshalb interessant, weil Péter Medgyessy und Judit Csehák, die beiden stellvertretenden Ministerpräsidenten der letzten Vor-Wende-Regierung, tragende Rollen zu übernehmen scheinen. Zu diesem Kreis ist auch der fünftplazierte Sándor Nagy zu zählen, der in den ersten Jahren nach der Wende den Gewerkschaftsbund MSZOSZ erfolgreich geführt hatte.

Im neuen Wahlprogramm ist von einer Rückwärtsorientierung dagegen nichts zu spüren. Die Sprache des Dokuments ist einfach, verständlich und kompakt - ganz anders als bei den vorigen Wahlen. In jedem Satz wird einerseits die Fidesz (Bund Junger Demokraten)-Ära kritisiert, andererseits werden auch konkrete Versprechen formuliert. "Ich, Péter Medgyessy, biete der Nation ein Abkommen an, nach dem Ungarn ein reiches und blühendes Land wird", steht da pathetisch zu Beginn des Programms zu lesen. Der Kandidat verspricht, mit öffentlichen Geldern juristisch korrekt und fachmännisch zu wirtschaften, und nicht nach Parteibuch Gelder zu verteilen. Am Ende seiner Einleitung verspricht er Professionalität statt Sendungsbewusstsein. Und falls er sich doch einmal irre, werde er seine Fehler eingestehen und korrigieren.

Zum Symbol von Medgyessys "Regierung der nationalen Mitte" wurde die Akazie erhoben - in Anlehnung an den Olivenbaum der ehemaligen italienischen Mitte-Links-Koalition. Allerdings: Jede der bisherigen Regierungen hat kaum eines ihrer Wahlversprechen gehalten. Nach 1994 waren Ministerpräsident Gyula Horn und seine MSZP-Regierung gar nicht dazu in der Lage, nachdem ihre Vorgängerin, die konservative MDF-Regierung, Ungarn in eine Wirtschaftskrise gesteuert hatte. Das daraufhin 1995 initiierte Bokros-Paket bedeutete die Sanierung des Staates mit drastischen Mitteln. Die gegenwärtige Regierung konnte auf diesem guten Nährboden aufbauen und erbte eine Wirtschaft, die auf geölten Schienen fuhr. Die Bevölkerung spürte von dieser Besserung jedoch nichts. Es ist fraglich, ob sie Medgyessy das Versprechen eines besseren Lebens abnimmt.

Das zweifelsohne imposante Programm der Sozialisten wird teuer. Keiner weiß, wie viel es kosten wird und wie es bezahlt werden soll. Denn darüber schweigt die MSZP, genauso wie sie den Themenbereich EU, die hohen Erdgaspreise oder Fragen der Wehrpflicht außer Acht lässt. Die Bekämpfung der versteckten Inflation der jetzigen Regierung und der rasante Preisanstieg auf westeuropäisches Niveau sind ebenso offene Fragen geblieben, wie der Umgang mit den Fidesz-Leuten, die ohne entsprechende fachliche Kenntnisse entscheidende Posten im Staatsapparat und in der staatlich gelenkten Wirtschaft erhalten haben.

Andererseits wollen die Wähler auch zum großen Teil nichts von diesen Dingen hören. Vielleicht wollen sie wirklich nur Versprechen vernehmen. Wie auch immer - es ist zu befürchten, dass die neue Regierung - egal ob MSZP- oder Fidesz geführt - vor Herbst ohnehin kein heißes Eisen anpackt, da stehen nämlich die Kommunalwahlen an. (fp)