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Schülerstreik

Frank Gazon12. November 2008

In ganz Deutschland gingen Schüler für bessere Bildung auf die Straße. Ihre Forderungen: kleinere Klassen, mehr Lehrer und wieder 13 Schuljahre bis zum Abi. Zu lange hat sich die Wut gegen die Bildungspolitik angestaut.

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Streikende Schüler in der Innenstadt von Bremen (12.11.2008, Quelle: AP)
Mehr als 100.000 Schüler gingen für ein besseres Schulsystem auf die StraßeBild: AP

Lange Zeit wurde das Thema Bildung in Deutschand eher stiefmütterlich behandelt. Frei nach dem Motto - "was früher einmal gut war und so viele Jahre tadelos funktioniert hat, muss man nicht verändern" - war in den meisten Kultusministerien die Politik der ruhigen Hand an der Tagesordnung. Doch dann machte auf einmal die PISA-Studie mit ihrem schlechten Zeugnis für den Bildungsstand an deutschen Schulen die Runde und schreckte viele Verantwortliche aus ihrem Dornröschenschlaf unsanft auf.

Neue PISA Studie wird vorgestellt
Zum Haare raufen! Die Lehren aus der PISA-Studie bereiten nach wie vor großes Kopfzerbrechen an deutschen SchulenBild: dpa

Schlagartig wurde aus einer eher müden Reformbereitschaft hektische Betriebsamkeit. Auf einmal wollte jeder, ganz egal ob direkt oder nur indirekt mit der Materie befasst, das Problem schon lange erkannt und gleich die passenden Lösungsansätze parat haben. Heraus kam gleich eine ganze Reihe von Reformen über deren Wirkungsgrad die Experten immer noch kontrovers diskutieren. So wurden die Lerninhalte überprüft und verdichtet, die Einrichtung von Ganztagsschulen forciert und das Abitur nach 12 Schuljahren eingeführt. Außerdem werden immer mehr Schüler und Studenten über Studiengebühren und Zuzahlungen für den Erwerb von Lehrmitteln wie z.B Büchern zur Kasse gebeten.

Streiks in 30 Städten

Diejenigen, die in diesen Reformprozess am wenigsten eingebunden waren, sind die betroffenen Schüler selbst. Aus Frust über diese Tatsache, haben sie am Mittwochvormittag (12.11.2008) in 30 deutschen Städten ihrem Äger Luft gemacht und sind zu zehntausenden auf die Straße gegangen. An einem ähnlichen bundesweiten Protesttag im Juni hatten sich bereits über 30.000 Schüler beteiligt.

Demonstration für bessere Bildung in Dresden
Überall in Deutschand gingen Schüler für eine bessere Bildungspolitik auf die StraßeBild: AP

Ins Leben gerufen wurden die Proteste von der Schüler-Initiative "Bildungsblockaden einreißen!". Die Interessensgemeinschaft wendet sich grundsätzlich gegen Schulsponsoring und "Bildungsprivatisierung". Forderungen sind außerdem die Rücknahme des Abiturs in zwölf Jahren, weniger Prüfungsstress sowie eine "Demokratisierung der Schule hin zu einer Schule für alle."

Was den Schülern auf den Nägeln brennt

Einer der Initiatoren ist der 19-jährige Gymnasiast David Redelberger aus Kassel. Er hat den Frust der Schüler in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung wie folgt auf den Punkt gebracht: "Wir wollen auf all das aufmerksam machen, was gerade schiefläuft im Bildungssystem: Wir lernen in zu großen Klassen in kaputten Schulgebäuden, haben zu wenig Lehrer, werden im verkürzten Gymnasium unter Druck gesetzt und müssen Büchergeld zahlen."

Neu Studien belegen Bildungsmisere

Rückenwind erhält die Initiatve vom neuen Innovationsindikator 2008 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Danach hat sich das deutsche Bildungssystem im internationalen Ranking im Vergleich zum Vorjahr noch einmal deutlich verschlechtert und ist um zwei Ränge auf Platz 15 abgerutscht. Auf den letzten Plätzen kommen lediglich noch Italien und Spanien.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass das hiesige Bildungssystem "kaum wettbewerbsfähig" ist. "In unserem Land mangelt es an Akademikern, in den Unternehmen herrscht Fachkräftemangel und der Nachwuchs ist zudem auch noch schlechter ausgebildet als in anderen Ländern", konstatiern die DIW-Forscher. Statistiken zeigten, dass Deutschland bei der Bildung spare.

Die Gründe für diese dramatische Entwicklung liegen auf der Hand. Je Schüler und Student belaufen sich laut DIW die jährlichen Ausgaben für Schulen und Hochschulen auf durchschnittlich 7800 Dollar. Den USA und der Schweiz sei die Ausbildung des Nachwuchses dagegen im Schnitt 12.000 Dollar je Schüler und Student wert.

Reformen zeigen bisher wenig Wirkung

Diese Diskrepanz schlägt sich auch in den gefühlten Veränderrungen vieler Eltern hierzulande nieder. So sagten 40 Prozent bei einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Zeitschrift "Stern", es gebe keine Veränderungen. Ein Viertel ist sogar der Auffassung, die Situation in den Schulen sei schlechter geworden. Nur 29 Prozent sehen "deutliche" oder "leichte" Verbesserungen. Der deutscher PISA-Koordinator Manfred Prenzel, mahnt dem gegenüber zu Geduld: "Tiefgreifende Veränderungen im Schulsystem brauchen 10 bis 20 Jahre."

Angesichts dieser besorgnisrerregenden Fakten erhielten die Schüler für ihre Streikation auch Unterstützung und Verständnis von Lehrerinitiativen. So forderte z.B. die Lehrergewerkschaft GEW die Schulen auf, schwänzende Schüler nicht zu hart zu bestrafen. Denn, laut Gesetz dürfen Schüler in Deutschland zwar demonstrieren, nicht aber streiken. Vielleicht kann Deutschland ja zumindest in dieser Frage zukünftig eine Vorreiterrolle einnehmen.