1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Literatur

Der syrische Dichter Yamen Hussein über Krieg und Poesie

3. Februar 2017

Was können Gedichte gegen Krieg und Gewalt ausrichten? Einiges, glaubt der syrische Exil-Autor Yamen Hussein - und zwar, indem sie die Menschen befähigen, Liebe und Fröhlichkeit zu empfinden.

https://p.dw.com/p/2Wvpw
Menschen verlassen eine Ruinenstadt in Syrien. Foto: Niclas Hammarström
Bild: Niclas Hammarström

DW: Herr Hussein, Sie schreiben Gedichte – was treibt Sie an?

Yamen Hussein: Ich schreibe Gedichte über alles - nicht nur über Syrien oder die Flüchtlinge. Für mich ist das ein Weg, um Hoffnung zu stiften. Es hilft auch mir selbst, mit meinen Erinnerungen klarzukommen.

Was kann Poesie gegen den Krieg ausrichten?

Krieg ist immer schlimm. Aber Poesie versetzt uns in eine andere Welt. Sie gibt uns Kraft, zu lieben und zu lachen, zu fühlen. Gedichte sind das Gegenteil von Krieg. Natürlich hat der Krieg auch Einfluss auf unser Werk.

In "3439 km" verarbeiten Sie Ihre Flucht von Syrien in den Westen, von Krieg und Verfolgung in die, wie Sie schreiben, "Freiheit des Westens". Wie tief ist der Graben zwischen diesen Welten?

In Syrien haben wir gelernt, uns indirekt auszudrücken, schon wegen der Geheimdienste. Im Libanon war das nicht anders, ebenso in der Türkei, wo ich acht Monate lebte. In dieser Zeit wurden fünf Journalisten ermordet, darunter mein Freund Najib. Ein Gedicht über Gott oder über das Assad-Regime wäre unmöglich gewesen. Hier in Deutschland ist das anders. Hier heißt Nein tatsächlich Nein und Ja auch Ja. Hier planen die Leute alles. Es geht weniger spontan zu als in meiner Heimat. Ja, es gibt eine ganze Menge kultureller Unterschiede…

Porträt des syrischen Schriftstellers Yamen Hussein. Foto: privat
Yamen HusseinBild: privat

Mit welchem Gefühl leben Sie in Deutschland, wo Sie Stipendiat des Writers-in-Exile-Programms des PEN sind?

Ich muss mir ständig sagen: "Yamen, Du bist kein Flüchtling, kein Syrer!" Meine Heimat ist da, wo ich in Freiheit leben kann. Ich vermisse Berlin, wenn ich dort war, ich vermisse München, ich vermisse Istanbul. Diese Orte sind meine Heimat. Das Schwierigste ist, dass meine Eltern weiter in Syrien leben. Wir haben Kontakt über Facebook oder via Skype. Wenn ich etwas über Facebook schreibe, gehen die Geheimdienste zu meinen Eltern. Das macht die Sache sehr schwierig. Hier in Deutschland soll ich offen sprechen über Freiheit, über Demokratie, über Kritik an den radikalen Islamisten. Meine Eltern geraten dann unter den Druck des Regimes.

Haben die Menschen hier das Schicksal der Syrer vor Augen?

Ja und Nein. Die Leute haben vermutlich geglaubt, die Probleme würden in Syrien bleiben. Das war falsch. Wenn es irgendwo auf der Welt Probleme gibt, beeinflusst das auch andere Länder. Zum Beispiel US-Präsident Trump in den USA – was er sagt und tut, bekommt die ganze Welt zu spüren. Mexiko, die arabische Welt oder Europa, wo die Demokratie jetzt in Gefahr ist.

Ihr Gedicht "17 Minuten" – wie ist das entstanden?

Am zweiten Tag meines Exils in Deutschland musste ich in München auf einen Zug warten. Ich las in Facebook und sah dieses Plakat, auf dem stand, dass eine Scud-Rakete von Damaskus aus (Syriens Hauptstadt, Anm.d.R.) nur fünf Minuten braucht, um die Stadt Al-Rakka zu erreichen. Da wurde mir klar, das könnten die Minuten sein, während ich hier auf meinen Zug warte. Viele Kinder könnten in dieser Zeit sterben. 

Der syrische Schriftsteller und Journalist Yamen Hussein lebt seit Dezember 2014 als Stipendiat des vom PEN ins Leben gerufenen "Writers-in-Exile-Programms" in München. Seine Flucht von Syrien über den Libanon und die Türkei bis nach Deutschland verarbeitete Yamen Hussein in dem in Kürze erscheinenden Lyrikband mit dem Arbeitstitel "3439 km".

Mit Hussein sprach Stefan Dege.