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Wyclef for President?

5. August 2010

Er ist der vielleicht bekannteste Haitianer der Welt – bald auch der mächtigste? Popstar Wyclef Jean tritt im November bei der Präsidentschaftswahl in Haiti an. Ein PR-Gag oder eine Chance für das ärmste Land Amerikas?

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Popstar Wyclef Jean bei den ASCAP Pop Music Awards in Los Angeles 2009 (Foto: AP)
Haitis nächster Präsident? Popstar Wyclef JeanBild: AP

"Anstatt Milliarden in den Krieg zu stecken, könnte ich mit dem Geld die Armen speisen". Diese Zeilen sind mehr als sechs Jahre alt, sie stammen aus dem Lied "President", getextet und gesungen von dem aus Haiti stammenden New Yorker Hip-Hopper Wyclef Jean. Titel und Inhalt seines Songs haben über Nacht einen neuen, bedeutungsschwangeren Klang erhalten, das Lied könnte zu so etwas wie einem politischen Programm werden. Denn Wyclef Jean will Präsident von Haiti werden. Das ließ der erfolgreiche Musiker und engagierte Politaktivist nun verlauten. Er habe bereits die Formalitäten eingereicht, sagte der 37-Jährige dem New Yorker Magazin "Time". Schon in den Tagen zuvor, kursierten Gerüchte, der Musiker würde bei Präsidentschaftswahlen seinen Hut in den Ring werfen.

Wyclef Jean in einer Porträtaufnahme vom 4. Mai 2010 (Foto: AP)
"Haiti ins 21. Jahrhundert bringen": Wyclef Jean gibt sich selbstbewusstBild: AP

Von Haiti nach Brooklyn

Wyclef Jean hat einen Pass der USA. Geboren wurde er 1972 aber in Haiti, mit neun Jahren verließ er mit seiner Familie das Armenhaus Amerikas in Richtung Brooklyn. Ein Glücksfall für den kleinen Wyclef, wie sich herausstellen sollte. Jean konnte sein musikalisches Talent ausleben. Ab 1988 musizierte er gemeinsam mit seinem Cousin Pras Michel und der Sängerin Lauryn Hill. Die Exil-Haitianer nannten ihre Band "The Fugees", es sollte eine der erfolgreichsten HipHop-Gruppen der 90er-Jahre werden: mit einem Remake von "Killing me softly" und dann "Ready or Not" stürmten sie 1994 die weltweiten Charts. Nachdem sich die Gruppe kurz darauf trennte, blieb Jean erfolgsverwöhnt. Er arbeitete mit Stars wie Michael Jackson, Carlos Santana und Mick Jagger.

An Selbstbewusstsein mangelt es dem Popstar offenkundig nicht. "Wenn das Erdbeben nicht gewesen wäre, hätte ich vielleicht noch zehn Jahre gewartet", sagte er im Interview. "Aber das Beben hat mir gezeigt, dass Haiti nicht noch zehn Jahre warten kann, um ins 21. Jahrhundert gebracht zu werden." Dass er dies Amtsinhaber René Préval nicht zutraue, hatte Jean mehr als einmal gesagt. Wenn der 67-Jährige nach der Wahl Ende November aus dem Amt scheidet, will der 30 Jahre jüngere Sänger sein Nachfolger werden.

Nicht der erste Musiker mit politischen Ambitionen

HipHop und mehr: Jean 2009 beim renommierten Jazz-Festival in Montreux (Foto: AP)
HipHop und mehr: Jean 2009 beim renommierten Jazz-Festival in MontreuxBild: AP

Nur ein Werbegag ist Jeans Kandidatur sicher nicht. Dafür ist der Sänger zu politisch, zu engagiert. Nach dem verheerenden Erdbeben im Januar, als in den Trümmern Haitis mehr als 220.000 Menschen starben, warb er für Spenden und organisierte Benefizkonzerte. Schon seit Jahren unterstützt sein Hilfswerk "Yéle Haiti" tausende Hilfsprojekte im ärmsten Land Amerikas, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Er wolle nicht nur erste Not lindern, sondern nachhaltig helfen, etwa durch Bildung, sagt Jean.

Wyclef Jean wäre nicht der erste Musiker, der in Amerika in die Politik strebt. Die Salsa-Größe Ruben Blades war von 2004 bis 2009 Tourismusminister in Panama. Zehn Jahre zuvor hatte er vergebens für das Präsidentenamt kandidiert. Der Musiker Gilbert Gil war von 2003 bis 2008 brasilianischer Kulturminister im Kabinett Lula da Silvas. Und auch in den USA haben schon Künstler Karriere gemacht. Da gab es einen anfangs belächelten Schauspieler namens Ronald Reagan. Der Karriere des späteren US-Präsidenten eifert inzwischen Ex-Bodybuilder und Hollywood-Schauspieler Arnold Schwarzenegger nach. Dessen zweite Amtszeit als Gouverneur von Kalifornien läuft demnächst aus.

Ob Wyclef Jean Präsident von Haiti wird, bleibt abzuwarten. Dass Haiti mit einem Durchschnittsalter von 20 Jahren ein ausgesprochen junges Land ist, dürfte seine Chancen erhören. Offenbar scheint sich Jean aber wenig Illusionen über das Schicksal eines Politikers zu machen. In seinem Lied "President" heißt es: "Wenn ich Präsident wäre, würde ich gewählt am Freitag, erschossen am Samstag, begraben am Sonntag - und Montag wieder bei der Arbeit."

Autor: Sven Töniges (dpa)

Redaktion: Ina Rottscheidt