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Wohnen wie Gott in Deutschland

Rafael Heiling17. März 2003

Wer selten in die Kirche geht, wird vielleicht beim nächsten Mal feststellen: Sie ist gar nicht mehr da. Sondern ein Mietshaus geworden oder ein Restaurant. In Deutschland ist so eine Umwidmung unüblich, anderswo nicht.

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Umwidmen statt abreißenBild: AP

Vielen Kirchengemeinden in Deutschland sind finanziell nicht auf Rosen gebettet. Oder sie leiden an Mitgliederschwund. Beides können Gründe sein, sich von einem Kirchengebäude zu trennen - "dann kann diese Kirche entwidmet werden", erklärt Wolfgang Lukassen vom Bischöflichen Bauamt in Erfurt gegenüber DW-WORLD. Er leitet eine Arbeitsgruppe, die sich für die Deutsche Bischofskonferenz mit der Anders-Nutzung von Kirchen auseinander setzt.

Wenn das Gotteshaus keines mehr sein soll, "dann macht es Sinn, einen abschließenden Gottesdienst zu halten, der das Ende der liturgischen Nutzung bedeutet", sagt Lukassen. Damit sei das Gebäude dann nicht mehr geweiht. So ein Prozess könne auch länger dauern – theoretisch: "Es gibt alte Profanisierungsriten, aber die kennt eigentlich keiner mehr." Allerdings müssten Reliquien, alte Gräber und der Tabernakel entfernt werden. Bei katholischen Gebäuden sei die Umwidmung theologisch aufwändiger – evangelische dagegen seien nicht besonders geweiht.

Lieber Orchester als Disco

Allzu oft komme diese Neu-Verwendung in Deutschland aber nicht vor, berichtet der Bauexperte. "Es sind Einzelfälle." Manfred Gronwald vom evangelischen Landeskirchenamt Westfalen kann das bestätigen. Und es werde auch nur im Einzelfall entschieden: "Das Presbyterium der Gemeinde fasst einen Entschluss, den wir dann prüfen müssen." Wenn Menschen plötzlich feststellten, dass die Kirche, in der sie getauft wurden, nicht mehr existiere, sei das möglicherweise ein Schock. "Da muss man Rücksicht nehmen", erklärt Gronwald.

Als erstes würden die Räume anderen christlichen Gruppen zur Miete angeboten, etwa orthodoxen Gemeinden. Oder als Probenraum fürs städtische Orchester. Auf jeden Fall aber dürfe zwischen den –ehemaligen – Kirchenmauern nichts passieren, "an dem sich das Moralempfinden stoßen würde". Also solle die Kirche nicht unbedingt zur Disco werden.

Im Denkmal zur Miete leben

Gegen Wohnungen spricht dagegen offenbar wenig. In der Lutherkirche in Berlin-Spandau gibt es Gottesdienst und Geschirrspülen unter einem Dach: Es wurden Mietwohnungen eingebaut.

Die ehemalige Friedenskirche in Mönchengladbach-Rheydt ist sogar komplett zu einem Mietshaus geworden. Das städtische Unternehmen "Kreisbau" hat 18 Wohnungen in dem Gebäude geschaffen – komfortable, über zwei Geschosse. "Da gab's am Anfang schon eine kleine Widerstandsgruppe", erinnert sich Christoph Moossen, Assistent der Geschäftsleitung bei "Kreisbau". "Aber die Gemeinde hat es befürwortet. Und der soziale Charakter ist ja auch erhalten geblieben." Denn es handelt sich um Sozialwohnungen. "Da es ein denkmalgeschütztes Gebäude ist, haben wir auch an der Fassade nichts geändert", betont Moossen. Mittlerweile seien die Wohnungen richtig begehrt.

Essen im "Klingelbeutel"

Allerdings müsse man die Kirche im Dorf lassen. Gronwald erklärt, "dass man mit dem Verkauf von Kirchengebäuden nicht so große Geschäfte machen kann" – also nicht unbedingt ein Trick zur Haushalts-Aufbesserung der Gemeinden.

Vor allem in den Niederlanden ist es dagegen gang und gäbe, ehemalige Kirchen unreligiös zu verwenden. In Arnheim kann man in der früheren neuromanischen Liebfrauenkirche "himmlische Wohnungen" mieten – für 430 bis 830 Euro im Monat. Die ursprünglichen Bleiglasfenster sind noch immer da. Und das Restaurant "t'Ponkje" (Klingelbeutel) in Woudsend zählt sich zu den 500 besten der Niederlande – es residiert seit 34 Jahren in einer umgebauten Kirche. Essen in der Ex-Kirche? Wilde Partys in einst geweihten Räumen? Christoph Moossen von der "Kreisbau" findet das in Ordnung: "Es sind ja keine geweihten Kirchen mehr. Irgendwann muss man sich von dem Gedanken auch freimachen."