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Wohin surft die Moral?

Christine Harjes21. Mai 2002

Wird Moral unter der Welle von Internet, Computerspielen und Handy-Kommunikation begraben? Seit dem Amoklauf von Erfurt sind sich viele sicher: Den Kindern der digitalen Revolution fehlen die Werte.

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Netzwerkkinder ohne Werte?Bild: Bilderbox

Gott, der Staat oder die Werte der Eltern als Maßstäbe für Gut und Böse haben ausgedient. Trotzdem sieht der Essener Kommunikationsforscher Peter Wippermann keinen Grund für Pessimismus. Denn Regeln und Vertrauen spielen immer noch eine große Rolle. Die Netzwerkkinder - Jugendliche unter 23 Jahren – finden ihren Halt aber nicht mehr in gesamtgesellschaftlichen Idealen sondern in kleineren Wahlgemeinschaften.

Du sollst nicht schummeln

Freundeskreise, Klassengemeinschaften, Sportgruppen aber auch Chatrooms stellen ihren eigenen Moralkodex auf. Wer die Spielregeln seiner Gruppe nicht befolgt, fliegt raus und sucht sich ein neues Umfeld - oder bleibt allein. Wie der Erfurter Amokschütze Robert S. Ihm fehlte das Vertrauen zu einer neuen Wahlgemeinschaft. Wenn Eltern dann nicht wissen, was in ihren Kindern vorgeht, kann die Familie nicht als Ort des Vertrauens dienen.

Für immer jung

Einen neuen Generationenkonflikt sieht auch Douglas Rushkoff, Professor für Medientheorie an der University of New York. Der Jugendwahn sei schuld: "Wie fühlt sich das wohl an, wenn man die eigenen Eltern ansieht und weiß, die wollen sein wie man selbst?" Der Netzwerkgeneration fehle die Orientierung. "Kinder wollen uncoole Erwachsene," erklärt Rushkoff. Sonst könnten sie sich nicht an den Werten ihrer Eltern reiben, um anschließend eine eigene Richtung zu finden.

Lebenslotto

Aber auch der Eltern-Generation fehlt das gute Lebensgefühl. Am Geld liegt es nicht. Denn obwohl der Wohlstand in den westlichen Gesellschaften ständig zunimmt, sinkt gleichzeitig die Zufriedenheit. Neid und Eifersucht sind schuld, glaubt David Bosshart, Leiter des Gottlieb Duttweiler Instituts in Zürich. Eine "Zivilisation der neuen Grausamkeit" sieht der Karlsruher Philosoph Peter Sloterdijk. Das Leben werde als Schicksals-Lotterie wahrgenommen: "Dann gibt es nur noch Gewinner oder Verlierer." Die Religion als Hoffnung auf ausgleichende Gerechtigkeit falle weg. Hier muss die Sozialpolitik eingreifen, fordert Sloterdijk. Erst eine größere soziale Gerechtigkeit könne das aufgeheizte Neidklima in der Gesellschaft wieder abkühlen.