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Wohin geht die Reise in Zeiten des Terrors, Frau Carvão?

Frederike Müller27. November 2015

Bleiben Reisende aus Angst vor Terror zu Hause? Über Herausforderungen, Reisewarnungen und nachhaltigen Tourismus sprechen wir mit Sandra Carvão, Pressereferentin der Welttourismusorganisation (UNWTO).

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Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Die UNWTO hat die Attentate in Tunesien, auf dem Sinai, in Kenia und Paris verurteilt. Warum nehmen Terroristen immer häufiger Touristen ins Visier?

Sandra Carvão: Wir erleben gerade eine globale Bedrohung, Attentate finden an verschiedenen Orten dieser Welt statt. Touristen sind genauso Opfer wie Einwohner, denken wir nur an Paris. Terroristen schlagen dort zu, wo sie die größte Wirkung erwarten. In Tunesien zum Beispiel ist der Tourismus der wichtigste Wirtschaftsfaktor des Landes. Das macht Tunesien verwundbar.

Wie reagieren die Touristen? Fahren sie jetzt nach Mallorca anstatt auf den Sinai, nach Portugal anstatt nach Nordafrika?

Bleiben wir bei dem Beispiel Tunesien. Als 2011 die Jasminrevolution das Land erschütterte, es zu landesweiten Massenunruhen kam, machte sich das sofort in rückläufigen Buchungen bemerkbar. Bis 2014 hatte sich Tunesien aber weitgehend erholt. Wir beobachten, dass in solchen Situationen vorübergehend andere Reiseziele attraktiv werden. In vielen Fällen erholen sich die Märkte jedoch erstaunlich rasch. Natürlich kommt es immer darauf an, um welche Urlaubsdestination es sich handelt.

Ist die Situation 2015 eine andere?

Wir können zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, wie sich die jüngsten Anschläge auf den globalen Tourismus auswirken wird. Tragische Ereignisse gibt es immer wieder, das ist leider eine Tatsache, von Naturkatstrophen bis hin zu Terroranschlägen. Wenn wir uns die Zahlen anschauen, stellen wir allerdings fest, dass die einzigen Jahre, in denen wir einen spürbaren Rückgang im internationalen Tourismus verzeichnet haben, die Jahre 2001 und 2003 waren. Einmal ausgelöst von den Attentaten des 11. September auf New York und zum anderen von der SARS Pandemie 2003. Und dann war da natürlich die Bankenkrise 2009. In allen anderen Jahren blieb der weltweite Tourismus konstant auf Wachstumskurs.

Sandra Carvao UNWTO
Carvão: "Vom Reisen sollten wir uns nicht abhalten lassen."Bild: UNWTO

Die UNWTO macht sich für einen ethischen, nachhaltigen und Frieden fördernden Tourismus stark. Tourismus für den Frieden?

Tourismus kann das gegenseitige Kennenlernen und Verstehen fördern und auf diese Weise zum Frieden beitragen. Und er kann positive Impulse geben, gerade in Ländern, deren Wirtschaft nach Kriegen oder Naturkatastrophen am Boden liegt. Nach Konflikten und Krisen kann Tourismus einen wichtigen Beitrag zur sozialen und ökonomischen Entwicklung eines Landes leisten und damit zum Wiederaufbau. Ich denke da an Länder wie Kroatien, Kambodscha oder Sri Lanka - um nur einige Beispiele zu nennen.

Manchmal werden erst durch den Tourismus Regionen eines Landes zugänglich, die vorher verschlossen waren. Das wiederum bietet Menschen eine Chance, die in diesen ländlichen Gebieten weitab von den Großstädten leben. Wenn man es so betrachtet, kann Tourismus stabilisierend für den Frieden wirken. Tourismus kann das gegenseitige kulturelle Verständnis fördern - Reisen bringt Menschen zusammen. Eine wichtige Aufgabe.

Das kann "All inclusive" nicht von sich behaupten.

All-inclusive ist ein Geschäftsmodell des globalen Tourismus. In manchen Regionen ist es eine Möglichkeit, sich im Markt zu positionieren. Wir betonen aber immer, die Touristen haben die Möglichkeiten rauszugehen, Kontakt mit den Einheimischen aufzunehmen, lokales Essen zu probieren und damit ihren Beitrag zur lokalen Wirtschaft zu leisten. Wir stellen fest, dass immer mehr Touristen genau diese Erfahrungen machen wollen. Das merken wir daran, dass die Nachfrage nach Agrotourismus, Abenteuerurlaub oder auch nach Themenreisen wie etwa Weinreisen zunimmt. Und es gibt immer mehr Angebote in diesem Sektor. Sie schaffen nicht nur Möglichkeiten, Einheimische kennenzulernen - sie entstehen auch in enger Zusammenarbeit mit den Leuten vor Ort.

Auch der Individualtourismus steht in der Kritik. Und zwar dann, wenn es zu viele Touristen werden. Wann ist Tourismus provozierend? Kann er Auslöser für Terrorismus sein?

Die weltweiten Touristenmassen zu dirigieren, ist eine der größten Herausforderungen der Branche überhaupt. Der Tourismussektor ist in den letzten Jahren enorm gewachsen, er ist einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren weltweit. Das hat sehr positive Auswirkungen auf die sozioökonomische Entwicklung von Reisedestinationen, es werden Jobs geschaffen, Kultur wird bewahrt. Häufig wird ein großer Teil der Einnahmen reinvestiert in den Schutz und Erhalt von Kulturgütern oder Naturräumen.

Nachhaltigkeit muss Teil von Wachstumsstragien werden. Viele Reisedestinationen haben dafür bereits Strategien entwickelt. Dazu gehört zum Beispiel, nicht nur die Hauptreisezeiten zu bewerben, sondern die Angebote über das ganze Jahr zu streuen - und auch die Angebote regional auszuweiten.

In Amsterdam gibt es dafür ein interessantes Projekt. Man will den Gästen klar machen, dass nicht nur das Stadtzentrum einen Besuch lohnt, dass es da noch mehr gibt, außerhalb der Stadt. Die Gegenden um Amsterdam werden deshalb beworben als "Amsterdam Beach" oder "Amsterdam Castle". Das ist ein Beispiel für konstruktives Besuchermanagement. Zu viele Touristen sind also nicht das Problem, das Management der Touristenströme ist die Herausforderung.

Das Auswärtige Amt hat für 25 Länder dieser Welt Reisewarnungen ausgesprochen. Reisen die Leute trotzdem?

Auf jeden Fall. Diese Woche gab die USA eine Reisewarnung heraus. Eine Reisewarnung verbietet nicht zu reisen, sie macht auf mögliche Gefahren aufmerksam. Das ist eine wichtige Botschaft. Wir müssen weiter reisen, nicht nur für den Tourismussektor, sondern für uns alle. Sicherheit hat dabei absolute Priorität. Wir müssen wachsam sein. Aber vom Reisen sollten wir uns nicht abhalten lassen.

Die Welttourismusorganisation UNWTO (http://www2.unwto.org/ ) ist eine Sonderorganisation der UN mit Sitz in Madrid. In ihr sind 157 Staaten und über 480 Mitgliedern aus dem Privatsektor zusammen geschlossen. Ziel der UNWTO ist die Förderung eines Tourismus, der Ethik und Nachhaltigkeit ebenso unterstützt wie die Interessen von Entwicklungsländern im Tourismus.