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Klimaschutz ist Chefsache in Städten und Gemeinden

15. März 2017

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund erhält prominente Unterstützung von Klimaforscher Schellnhuber und Umweltministerin Hendricks. Das Ziel: Eine Weltbürgerbewegung gegen den Klimawandel.

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Deutsche Welle Bonn Besuch Hans Joachim Schellnhuber
Prof. Hans Joachim Schellnhuber: "Klimaschutz als moralische Verpflichtung einer Weltbürgerbewegung" Bild: DW/C. Lomas

Er wirkt unscheinbar, doch seine Worte haben Gewicht. Hans Joachim Schellnhuber hat die Bundesregierung in globalen Umweltfragen beraten, genauso wie den Papst und das UN-Klimasekretariat. Und jetzt steht er vor Vertretern von Städten und Kommunen bei der 10. Klimaschutzkonferenz des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DSTGB).

Leise spricht der Klimaforscher, statt mit erhobenem Zeigefinger zu mahnen und verkündet seine Vision: die Umwelt zu transformieren. 

"Es ist eine moralisch bedingte Entscheidung jedes Einzelnen, von heute auf morgen vielleicht nicht das Flugzeug zu nehmen, sondern den Zug", sagt Schellnhuber. "Wenn sich Milliarden solcher Entscheidungen aufsummieren, dann kann das ein System als Ganzes verändern."

Der Beitrag jedes Einzelnen sei möglicherweise genau der kritische Beitrag, der dafür sorgen könne, in eine bessere Zukunft zu gehen. Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) wünscht sich mehr moralische Verantwortung für Klimaschutz und eine daraus entstehende Weltbürgerbewegung. 

Luftverschmutzung durch Braunkohlekraftwerk
"Endlich der Karbonisierung ein Ende machen!" - das fordert Klimaforscher Schellnhuber Bild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

Schellnhuber wirft in seinem Vortrag einen Blick zurück auf die Eiszeitzyklen der letzten zweieinhalb Millionen Jahre und erläutert die physikalischen Zusammenhänge zwischen Temperaturschwankungen und Veränderungen der Erdbahnparameter. Er lässt die Zuhörer wissen, dass sich eine neue Eiszeit an der Bildung von Eisschilden am 65. Breitengrad erkennen lässt.

Die Karbonisierung des Planeten

Doch nichts ist so deutlich wie die Computeranimationen, die die massiven Klimaveränderungen seit 250 Jahren aufzeigen. Diese Veränderungen stehen in Verbindung mit der Nutzung von Kohle, die zwischen Liverpool und Birmingham begann. "Die Briten hatten ihre Wälder abgeholzt, um Schiffe zu bauen für Sklavenhandel und Piraterie und nutzten Kohle zum Heizen."

Hinter Großbritannien avancierte Deutschland zur zweiten Kohlenstoffmacht der Welt. Fossile Energieträger auszubeuten "bedeutete Reichtum, Arbeitsplätze, Industrie- und Waffenproduktion. Doch das Wetteifern führte zu Kriegen", hebt Schellnhuber hervor.

Nach 1945 wurde die Globalisierung durch die Ölförderung vorangetrieben. Sie schreitet weiter voran, so der PIK-Direktor mit Verweis auf sterbende Korallenriffe und die fortschreitende Abschmelzung der Alpengletscher. "Eigentlich müssten wir längst ein neues Wirtschaftsmodell entwickeln. Und jeder Politiker, der Einfluss auf den Klimaschutz nehmen kann, muss sich dieser Verantwortung bewusst sein."

Hendricks: "Kommunen sind Schlüsselakteure für erfolgreichen Klimaschutz"

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) weist darauf hin, dass "ohne die aktive Umsetzung der Politik in Städten und Gemeinden die Klimaschutzziele der Bundesregierung nicht viel mehr als eine Absichtserklärung wären." Klimaschutz müsse dort praktiziert werden, wo die Menschen lebten und arbeiteten. Vor Ort zeige sich, wie Klimaschutz konkret gelinge, welche Schwierigkeiten bestünden und wie diese überwunden würden.

Deutschland  Barbara Hendricks SPD Bundesumweltministerin
Bundesumweltministerin Hendricks lobt Kommunen für ihre Klimaschutz-BemühungenBild: DW/K. Jäger

Von 12.000 Kommunen praktizierten 4000 aktiv Klimaschutz, bilanziert Hendricks. Sie wisse um die teils mühsame Überzeugungsarbeit, Gelder bereitzustellen und Maßnahmen für eine modernisierte Infrastruktur und niedrigere Energiekosten durchzusetzen. Gemeinsam wolle man aber bis zur Mitte des Jahrhunderts den Weg zu klimaneutralen Gesellschaften gehen, die widerstandsfähig gegen den Klimawandel werden. "Dies ist ein tiefer Einschnitt, der unsere Gesellschaften verändern wird."

Hendricks verweist auf die globalen Wärmerekorde in den vergangenen drei Jahren und auf deren Folgen: Hochwasser, Sturzfluten, Schlammlawinen - und sieben Todesopfer in Niederbayern. "Das ist eine tragische Erfahrung, die für uns noch recht neu ist, aber in anderen Ländern der Welt bedauerlicherweise häufig vorkommt als Folge von Ereignissen, die dem Klimawandel geschuldet sind." 

Hendricks: "Die Welt schaut auf unseren Klimaschutzplan"

Für Deutschland werden erstmals (zunächst) bis 2030 eigene Vorgaben zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes für Energiewirtschaft, Verkehr, Gebäude, Industrie und Landwirtschaft postuliert. Ziel dabei, die Emissionen seit 1990 um 55 Prozent zu reduzieren. Grünere Städte seien lebenswertere Städte, argumentiert die Politikerin. Klimaschutz lohne sich nicht nur ökologisch, sondern stärke die Handwerksbetriebe in der Region, also die lokale Wertschöpfung. 

Diese Erkenntnis werde auch im internationalen Klimaschutz zunehmend umgesetzt. Die Anfragen aus dem Ausland nähmen zu, so Hendricks. Die einzelnen Staaten seien besonders am Dialogprozess zwischen Politik und Handelnden in Städten und Kommunen interessiert.

Deutschland Lübeck Unwetter Sturmflut an der Ostseeküste
Sturmfluten - wie hier an der Ostseeküste - werden zunehmenBild: picture-alliance/dpa/B. Marks

"Es ist an uns zu zeigen, dass es geht! Und daran haben Sie großen Anteil!", lobte die Ministerin. 480 Millionen Fördergelder habe ihr Ministerium bisher bereitgestellt. "In diesem Sinn möchte ich Sie ermutigen, sich weiterhin für eine langfristige Zukunftsgestaltung im Klimawandel einzusetzen." 

Längst sind Städte und Kommunen dabei, Maßnahmen für den Klimaschutz und Anpassungen an die Folgen der Erderwärmung umzusetzen. Das zeigen die Praxisbeispiele, die Bürgermeister und Umweltreferenten vorstellen. Markus Lewe, Oberbürgermeister aus Münster, hebt die "Sieben grünen Finger" hervor, Grünflächen, die sich durch die Stadt ziehen und diese gut belüften. besonders stolz sei er darauf, dass die Stadt wachse und dennoch 70 Prozent aller Wege per Rad, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß zurückgelegt werden.

Osnabrück als Vorbild für Toronto, Nagano und Toyama

Für besondere Aufmerksamkeit sorgt auch Detlef Gerdts aus Osnabrück bei der Vorstellung der Thermobefliegung. Eine Cessna mit Infrarotkamera hatte die Temperatur der Dachoberflächen gemessen, um Bürgerinnen und Bürger für das Thema Energieeffizienz sensibilisieren. Denn von den 64.000 Gebäuden sind drei Viertel vor 1978 gebaut worden - und haben energetische Mängel.

Nach anfänglichen Vorbehalten wegen des Datenschutzes habe das Projekt sogar international für Aufmerksamkeit gesorgt. "Wir haben mehr als 1200 Beratungsgespräche mit Bürgern geführt. Außerdem haben wir auf Anfragen alle technischen Details an die kanadische Stadt Toronto sowie Nagano und Toyama weitergegeben", freut sich Gerdts.

Deutschland | Luftaufnahme Thermobefliegung in Osnabrück
Luftaufnahme mit Wärmebildkamera zeigt gut gedämmt (blau, grün) und weniger gut isolierte (rot, gelb) Gebäude Bild: Stadt Osnabrück

Klaus Lütkefedder, Bürgermeister der Westerwald-Gemeinde Wallmerod berichtet über die enormen Einsparungen durch Förderung der Windenergie und darüber, dass sich die Schulen inzwischen einen Wettbewerb liefern, Strom- und Heizkosten zu reduzieren, weil es dann Prämien von der Verwaltung gibt.

Klimaschutz ist in den Kommunen längst zur Chefsache geworden. Das wird mit jedem Referenten deutlicher. Und Alleingänge führen nicht zur weltweiten Dekarbonisierung. Günther Bachmann vom Rat für Nachhaltige Entwicklung endet seinen Vortrag mit den Worten: "Neugier und Kompetenz in der gemeinsamen Lösung von Problemen. Das ist die Ressource, auf die Klimaschutz und Nachhaltigkeit setzen."