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Das Herz der Nation

Von Fabian Lieschke aus Washington, DC7. Oktober 2008

Amerikas Herz schlägt in der Provinz. Die diesjährigen Präsidentschaftswahlen belegen dies aufs Neue. Auch der nächste Präsident wird ohne das Herz der Nation nicht überleben können.

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Bild: DW

Auf dem Weg zum Unterricht schlendere ich an Häusern vorbei, die mich an Europa erinnern. Der Campus in Georgetown sieht aus wie Westminster Parliament in London. Auch sonst scheint Europa nicht weit. Der Stand einer handvoll Campus-Republicans kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Georgetown University Obama-Land ist. Geschätzte 90 Prozent sind Democrats – hier wählt Amerika deutsch.

Im Seminar lerne ich von meinem Professor, welche Fehler nach der Irak-Invasion gemacht wurden und dass Amerika dort nicht weniger als zehn Milliarden Dollar im Monat lässt. Gleichzeitig fürchten sich die Amerikaner vor einer Wirtschaftskrise a la 1929. Warum – um alles in der Welt! – ist die Präsidentschaftswahl so eng? Wie kann es sein, dass Barack Obama in den Umfragen nicht mit einer zweistelligen Zahl vor John McCain, Mitglied der Partei des amtierenden Präsidenten, führt?

Amerikas wahre Popkultur

Die Antwort liegt in Amerikas Provinz. Präsidentschaftswahlen werden dort entschieden, wo Millionen Amerikaner nach Werten leben, die auf die Gründerprinzipien und militärischen Erfolge der Vereinigten Staaten zurückgehen. Weit von Hollywood entfernt ist hier die wahre amerikanische Popkultur zu Hause; die Kraft, die dieses Land zur Supermacht gemacht hat. Hier ist man den Eliten gegenüber besonders skeptisch und betont die eigene Unabhängigkeit vom Staat. Wirtschaftliche Eigenständigkeit durch harte Arbeit, ein nimmermüder Wille zur Selbstverbesserung und ein streng religiös geführtes Leben ernten größten Respekt.

Familien aus Texas, Nebraska und Ohio sind in der Überzahl, wenn es darum geht, ihre Töchter und Söhne nach Irak und Afghanistan zu schicken. Ehre und militärischen Stolz im Einsatz für das Vaterland zu erreichen ist der Traum vieler. Und man erwartet nie weniger als "Amerikas Sieg".

McCain kommt an

Hier, in Kleinstädten und auf dem Land, kommt John McCain mit seiner Lebensgeschichte als langjähriger Kriegsgefangener in Vietnam an. Der Senator aus Arizona ist in vielerlei Hinsicht eine Verkörperung amerikanischer Popkultur. Um hier den Abstand zu verringern, betont Barack Obama den amerikanischen Traum wirtschaftlicher Eigenständigkeit und redet von den "hart arbeitenden Amerikanern", für die er kämpfen will. Auch lässt Obama nicht den Eindruck entstehen, dass er naiv und nachgiebig an Amerikas Außenpolitik herangeht. Stets hebt er den militärischen Stolz Amerikas hervor, verspricht mehr Truppen nach Afghanistan zu entsenden, nimmt die militärische Option gegen Iran nicht vom Tisch und kündigt an, Osama bin Laden bis nach Pakistan zu jagen und töten zu wollen. (Alles im Alleingang, versteht sich).

Wer wirklich wissen will, wie Amerikas Herz schlägt, sollte mehr Zeit in Montana oder South Dakota als in Cambridge, New Haven oder Georgetown verbringen. John McCain und Barack Obama wissen, wo Amerikas Herz schlägt und werden es als Präsident nicht vernachlässigen. Denn nach der Wahl ist vor der Wahl.