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WM-Premiere für die "goldene Generation"

Nils Neubert3. Juni 2014

Die Qualifikation der Mannschaft Bosnien-Herzegowinas für die Fußball-WM in Brasilien war eine Sensation: Sie hat im tief gespaltenen Land Euphorie ausgelöst. Kann Fußball zum Motor der Verständigung werden?

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Bosnien Fußball Jubel Haris Medunjanin (Foto: SAMUEL KUBANI/AFP/Getty Images)
Bild: SAMUEL KUBANI/AFP/Getty Images

Den 15. Oktober 2013 wird man in Sarajevo nicht so schnell vergessen: Das war der Tag, an dem die bosnisch-herzegowinische Nationalmannschaft im litauischen Kaunas den größten Erfolg ihrer jungen Geschichte feiern konnte. Sie hatte sich in der Qualifikation erfolgreich als Gruppenerster durchgesetzt und das Ticket nach Brasilien gelöst. Der Weltfußballverband FIFA zeigte sich beeindruckt: "Bosnien-Herzegowina hat endlich seine goldene Generation bekommen. Zmajevi - die Drachen - wie sie in liebevoller Zuneigung in ihrer Heimat genannt werden, haben die Gelegenheit, zum ersten Mal bei so einem wichtigen Wettkampf dabei zu sein."

Die "goldene Generation" ist ein zutreffender Begriff für eine Mannschaft, deren Spieler in großer Mehrzahl im Ausland ihr Handwerk gelernt haben. Allein aus der deutschen Bundesliga kommen sieben Kicker, die in der WM-Aufstellung mit dabei sind. Der Kapitän der Mannschaft, Emir Spahić etwa, der bei Bayer 04 Leverkusen die Abwehr zusammenhält oder Verdad Ibišević vom VfB Stuttgart. Von Manchester City kommt der große Hoffnungsträger bei dieser Endrunde: Edin Dzeko, der die Bundesliga aus seiner Wolfsburger Zeit unter Felix Magath bestens kennt.

Euphorie auf den Straßen Sarajevos

In der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober 2013, nach der erfolgreichen Qualifikation, landete das Flugzeug mit der "goldenen Generation" auf dem Flughafen von Sarajevo. Was dann geschah, beschreibt Spahić wie folgt: "Als wir landeten, begann es langsam zu regnen. Während der Fahrt mit dem Bus ins Stadtzentrum merkten wir: da braut sich etwas zusammen. Eine Masse von Menschen, Stau, Fackeln und Jubel von allen Seiten. Wir kamen in Titos Straße an (Anm. d. Red: die Hauptstraße von Sarajevo - "Ulica Maršala Tita"), stiegen auf einen Balkon und erst dann wurde uns klar, was die Fans vorbereitet hatten. Alle haben mit einer Stimme gesungen, es war unvergesslich."

Emir Spahic, der Kapitän der Fußballnationalmannschaft Bosnien-Herzegowinas (Foto: Picture alliance)
Emir Spahic spielt in Deutschland bei Bayer 04 LeverkusenBild: picture alliance/Avanti-Fotografie

Mehr als 50.000 Menschen sollen in der Nacht auf den Straßen Sarajevos gewesen sein, sie alle haben bis in die frühen Morgenstunden gefeiert.

Lichtblick in einem gespaltenen Land

Diese positive Stimmung ist besonders bemerkenswert, weil Bosnien-Herzegowina ein gespaltenes Land mit großen Problemen ist. Der Staat basiert auf einem Friedensvertrag aus dem Jahr 1995, dem sogenannten Dayton-Vertrag. Der Frieden war damals, nach dem Tod von rund 100.000 Menschen im Bosnien-Krieg, nur möglich, indem viele Kompromisse eingegangen wurden. Alle drei Bevölkerungsgruppen, Serben, Kroaten und Bosniaken (bosnische Muslime) sollten gleichberechtigt in den politischen Strukturen vertreten sein. Zudem gestand man den bosnischen Serben einen eigenen Staat im Staate zu, die "Republika Srpska". Dies führte zu einer Lähmung des Staates Bosnien-Herzegowina, einen wirtschaftlichen Aufschwung gab es seit dem Ende des Krieges nicht. Momentan verzeichnet der Staat eine Arbeitslosenquote von mehr als 44 Prozent - ein trauriger Rekord. Die Kluft zwischen einigen Vermögenden und der verarmten Mehrheit wurde in den letzten Jahren immer größer - was zu massiven Protesten in allen Teilen des Landes zu Beginn des Jahres führte. Die Menschen haben ihre Wut über ihrer Ansicht nach korrupte und untätige Politiker auf die Straße getragen. Es waren Proteste, die Bosnien-Herzegowina so noch nicht erlebt hatte.

Können die "Drachen" Völker einen?

In dieser besonderen Situation ist die erfolgreiche Qualifikation und die Teilnahme des Landes an der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien nicht hoch genug einzuschätzen. Schon gibt es in internationalen Medien sehr optimistische Schlagzeilen wie: "Die Drachen können die Völker Bosnien-Herzegowinas einen" (Financial News in Großbritannien), "Nach der WM könnten auch die Kroaten und Serben zu ihrem Staat halten" (Polityka in Polen) oder "Ein Erfolg der Mannschaft Bosnien-Herzegowinas in Brasilien könnte den Bürgern Einigkeit bringen" (CNN International).

Moschee und katholische Kirche in Sarajevo (Foto: Samir Huseinovici)
Multikulturelle Stadt SarajevoBild: Samir Huseinovic

Die Realität sieht aber immer noch anders aus: Ein anonymer Fan der "Drachen" kommentierte einen entsprechenden Artikel im Internet mit der Zeile: "Ich glaube, allen ist klar, dass dies eine sehr einfache journalistische Floskel ist…leider". Tatsächlich gibt es immer mehr Fans der Nationalmannschaft - auch unter den kroatisch- und serbischstämmigen Bürgern des Staates Bosnien-Herzegowina, wobei es hier durchaus regionale Unterschiede gibt. In großen Teilen der serbisch dominierten "Republika Srpska" wird es sicherlich weniger öffentliche Fanbekundungen geben. Das gilt auch für die an Kroatien angrenzende Herzegowina, in der die Menschen traditionell eher die kroatische Nationalmannschaft anfeuern.

In großen Teilen des Kantons Zentralbosnien leben viele Menschen, die sich unabhängig von ihrer religiösen oder sonstigen Zugehörigkeit in erster Linie als Bürger des Staates Bosnien-Herzegowina definieren - zum Beispiel Dinko Jurcevic. Er ist im nordrhein-westfälischen Hagen geboren, seine Eltern kommen aber aus der Stadt Travnik. Auf die Frage, wen er denn bei der kommenden WM anfeuert, sagt er ganz selbstbewusst: "Natürlich Bosnien, wen denn sonst?" Danach, gibt er zu, schlägt sein Herz für Kroatien, und an dritter Stelle für Deutschland. Sollte es jedoch zu einem Duell zwischen einem dieser Länder und der bosnisch-herzegowinischen Nationalmannschaft kommen, ist die Entscheidung für ihn wieder einfach: "Zmajevi natürlich, die Drachen sollen gewinnen!"