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Interview mit Finanzprofessor Constantin Gurdgiev

André Leslie, Michael Hartlep30. Januar 2013

Handel treiben ohne Geld? Eine Tauschbörse in der südirischen Kleinstadt Clonakilty macht es vor. Wirtschaftswissenschaftler Constantin Gurdgiev über die Vor- und Nachteile des alternativen Wirtschaftens.

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Wirtschaftswissenschaftler Constantin Gurdgiev. Foto: DW/André Leslie
Constantin Gurdgiev Trinity College in DublinBild: DW/A.Leslie

Deutsche Welle: Was hat es mit dem Clonakilty Favour Exchange auf sich?

Bei dem Projekt handelt es sich um eine Zeitbank in der südirischen Kleinstadt Clonakilty. Die Idee ist eigentlich ganz einfach: Die Teilnehmer handeln miteinander, aber nicht mit Geld, sondern mit Zeit. Wer etwas für andere tut, bekommt die dafür benötigte Zeit in Form von "Favours" gutgeschrieben. Eine Viertelstunde entspricht einem "Favour". Mit dem verdienten Guthaben kann man dann die Dienste andere Mitglieder kaufen.

Ich begleite das Projekt seit den Anfängen im Februar 2012 und bin auch selbst Mitglied. Leider kann ich mich kaum mit meinen Fähigkeiten in den Clonakilty Favour Exchange einbringen, weil ich nicht in der Region wohne. Aber als Wissenschaftler erhebe ich Daten und untersuche das Projekt aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht. Und wenn ich mal in der Gegend bin, teile ich auch gern meine umfangreichen Angel-Kenntnisse.

Die Finanzkrise hat Irland stark getroffen. Denken Sie wirklich, dass so ein Projekt die Situation verbessern könnte?

Es gibt keine einfachen Lösungen für die Krise, die wir gerade durchmachen. Es gibt einfach keine historischen Vorbilder. Noch nie in der Geschichte war der Schuldenberg derart groß. Es gibt also kein Patentrezept. Aber wir brauchen mehr lokale Gemeinschaftsprojekte. Denn durch Zeitbanken wie den Clonakilty Favour Exchange entsteht wieder ein wirtschaftlicher Austausch. Mit ihrer Zeit erhöhen die Leute die Wirtschaftsleistung. Das schlägt sich zwar nicht im Bruttoinlandsprodukt nieder, aber es zeigt sich ganz real im Leben der Leute.

Außerdem motiviert es die Menschen, sich wieder sinnvoll in die Gemeinschaft einzubringen. Arbeitslosigkeit kann eine große psychische und emotionale Belastung sein. Zeitbanken wie der Clonakilty Favour Exchange zeigen den Leuten, dass ihre Fähigkeiten trotzdem gefragt sind. Ihr gesellschaftlicher Status steigt, das ist sehr wichtig. Momentan beobachten wir in Irland eine Zunahme von Selbstmorden in Folge der Krise. Immer mehr Familien zerbrechen. Es gibt also gravierende soziale Probleme durch die Krise. Und die verursachen natürlich auch Kosten.

Durch den Favour Exchange entsteht zwar Handel, aber kein Gewinn und keine Steuereinnahmen, mit denen man Straßen bauen und Schulen betreiben könnte, oder?

Das ist richtig. Es gibt noch ein paar weitere Kritikpunkte. Die Zeitbank funktioniert hervorragend für Dienstleistungen, aber der Warentausch ist schwierig. Man muss dafür den Wert der Waren in die Zeit umrechnen, die für die Produktion nötig war. Auch was die Steuern angeht ist das nicht ganz einfach, schließlich zahlt keiner der Handelnden Umsatz- oder Mehrwertsteuern. Diese rechtlichen Fragen sind noch ungeklärt.

Systeme wie der Favour Exchange können die moderne Wirtschaft also nicht völlig ersetzen. Projekte wie dieses sind Katalysatoren. Kurzfristig ermöglichen sie Handel, wo es sonst wegen der Krise überhaupt keinen Warenverkehr gäbe. Im Moment ist das Geld knapp. Viele Leute sind arbeitslos und kommen gerade so über die Runden. Dafür haben sie aber mehr Zeit. Wenn man die Zeit zur Währung macht, ergänzt man das Geldsystem, dem es an Bargeld fehlt.

Sie sind bekannt als Vertreter der konservativen Chicago-School, die sehr auf das freie Spiel der Kräfte setzt. Wieso unterstützen Sie so ein alternatives Projekt?

Wahrscheinlich bin ich der konservativste Wirtschaftswissenschaftler in ganz Irland. Ich hielt das alles für absoluten Blödsinn – bis die Krise kam. In meinen Augen bin ich meinen Überzeugungen aber trotzdem treu geblieben. Ich denke immer noch, dass solche Zeitbanken "den Markt" repräsentieren. Eigentlich ist der Clonakilty Favour Exchange sogar ein Markt in Reinform - und sehr effizient. Effizienter als der Finanzmarkt.

Soziales Kapital spielt in solchen lokalen Gemeinschaftsprojekten eine große Rolle. Wenn mich jemand beim Favour Exchange übers Ohr haut, weiß innerhalb von kürzester Zeit die ganze Gruppe Bescheid. Niemand wird mehr mit dem Betrüger handeln. Wenn mich ein Aktienhändler oder Bankberater auf dem Finanzmarkt übers Ohr haut, erfährt das niemand.

Wie verbreitetet sind solche Projekte in Irland?

Es gibt noch andere Orte in Irland, wo solche Zeitbanken aufgebaut werden. Manche beziehen sich auf ältere Modelle, die noch nicht mit einer standardisierten Einheit an Zeit arbeiten. Dadurch ist die Buchhaltung sehr komplex und undurchsichtig.

In Clonakilty hingegen bekommt man für jede Tätigkeit die gleiche Menge an Zeit - ganz gleich ob es um eine hoch- oder niedrigqualifizierte Tätigkeit geht. Das unterscheidet das System in Clonakilty von den anderen. Jetzt entstehen gerade ähnliche Zeitbanken in Limmerick und südlich von Dublin. Clonakilty war der Vorreiter und Begründer eines Trends, der jetzt im ganzen Land zu beobachten ist.

Constantin Gurdgiev stammt aus Russland und ist einer der führenden Wirtschaftswissenschaftler Irlands auf dem Gebiet der lokalen Gemeinschaftsprojekte. Er lehrt Finanzwissenschaft am Trinity College in Dublin.

Das Interview führten Michael Hartlep und André Leslie.