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Wirtschaft will Reformen

(kap)24. September 2002

Der Wahl folgt in der Wirtschaft der Ruf nach umgehenden Reformen. Die knappe Regierungsmehrheit ist für die Wirtschaft jedoch kein Problem – im Gegenteil.

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Wachstum wie in alten Zeiten wünscht sich die WirtschaftBild: AP

Die deutschen Wirtschaftsverbände haben am Tag nach der Bundestagswahl die neue Regierung aufgefordert, Reformen bald in Angriff zu nehmen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erklärte, die rot-grüne Koalition müsse in der Wirtschaftspolitik dort anknüpfen, wo sie mit der Steuer- und Rentenreform aufgehört habe: "Sie muss Rahmenbedingungen schaffen, um Deutschland vom europäischen Absteigerplatz wieder auf eine Spitzenposition zu bringen." Jede Maßnahme müsse daraufhin geprüft werden, ob damit mehr Wachstum und neue Arbeitsplätze geschaffen würden. "Deutschland braucht jetzt mehr Wettbewerb, statt staatlicher Interventionen, mehr Freiheit statt Regulierung, mehr Wachstum statt Umverteilung", teilte der BDI mit.

Nach Meinung des Deutschen Industrie- und Handeltages (DIHK) müsse das verlorene Vertrauen der Wirtschaft zur Politik wiedergewonnen werden. DIHK-Präsident Ludwig Braun schlägt Bundeskanzler Gerhard Schröder einen gemeinsam entwickelten "Masterplan" vor, der sofort mit Bundesländern, Europäischer Union und Wirtschaft angepackt werden sollte. Zentrale Aufgaben sind laut Braun: Durch Bildung eine Wissensgesellschaft zu schaffen, den Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten und die sozialen Sicherungssysteme zu reformieren.

Reformen - und zwar bald

Zeit lassen für Reformen darf sich nach Auffassung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) die alte und neue Regierung jedenfalls nicht. "Die Bundesregierung muss zeigen, dass sie aus den Fehlern der ersten Amtszeit gelernt hat", sagte DIW-Präsident Klaus Zimmermann am Montag (23. September 2002). "Die wichtigsten Reformen müssen im ersten halben Jahr begonnen werden." Dazu zählt Zimmermann eine grundlegende Neuordnung des Arbeitsmarkts, der Sozialversicherung und des Gesundheitswesens.

Für den europäischen Stabilitätspakt sei die Fortsetzung der rot-grünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nach Ansicht des DIW-Präsidenten positiv. "Schröder steht fest zum Stabilitätspakt", sagte Zimmermann. "Eine Regierung unter CSU-Kanzler Edmund Stoiber hätte den Pakt sicherlich aufgehoben oder modifiziert."

Mehr Disziplin bei knapper Mehrheit

Die knappe Mehrheit der Regierung hält der Wirtschaftswissenschaftler nicht für ein Problem. Die rot-grüne Koalition habe nun die Möglichkeit, Veränderungen schnell durchzusetzen, denn: "Eine enge Mehrheit sorgt auch für Disziplin." Positiv für die Wirtschaft sei auch, dass es keine große Koalition gibt: "In einer solchen Konstruktion wäre die Bereitschaft zu Reformen klein gewesen", sagte Zimmermann.

Der knappe Wahlsieg der Regierungskoalition wird sich nach Einschätzung von Bundesbankpräsident Ernst Welteke auch auf die zuletzt sehr wechselhaften Finanzmärkte positiv auswirken: "Der Wahlausgang schafft Ruhe und Sicherheit, das sollte auch die Märkte beruhigen", sagte Welteke am Montag.

Niederländer erwarten mutige Entscheidungen

Auch die niederländische Wirtschaft erhofft sich von der Fortsetzung der Regierung in Berlin politisch mutige Reformen. Insbesondere auf dem deutschen Arbeitsmarkt sei mehr Flexibilität dringend erforderlich, sagte ein Sprecher der niederländischen Industrie- und Arbeitgeberorganisation VNO-NCW zum Ausgang der Bundestagswahl. Wegen der engen Verknüpfung der deutschen und niederländischen Volkswirtschaften sehe man eine Belebung der deutschen Wirtschaft durch eine tatkräftig auftretende deutsche Regierung als notwendig an.

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, erwartet hingegen einen Reformstau. Er fürchte, dass die Koalition nicht in der Lage sei, die notwendigen Reformen auf den Weg zu bringen, die jetzt dringend nötig seien, sagte Walter. Er hoffe aber, "dass die Freunde in der Europäischen Union Druck auf Deutschland machen, damit von außen das aufgezwungen wird, was wir innen nicht schaffen".