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Wird der NSU-Prozess platzen?

Sabrina Pabst29. Juni 2015

Vertrauenskrise im NSU-Prozess: Beate Zschäpe hatte in einem Brief an das Gericht ihre Aussageabsicht erklärt - wenn ihre Anwälte abgelöst werden. Droht der NSU-Prozess zu platzen? Die DW fragt Anwalt Klaus Kirchner.

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Beate Zschäpe steht mit dem Rücken zu ihren beiden Verteidigern zugewandt. Links von ihr ist Anja Sturm, rechts steht mit verschränkten Armen Wolfgang Heer und redet auf sie ein. (Foto: picture-alliance/dpa/Andreas Gebert)
Beate Zschäpe mit ihren Anwälten Anja Sturm(links) und Wolfgang HeerBild: picture-alliance/dpa/Andreas Gebert

Deutsche Welle: Wie groß ist Beate Zschäpes Chance, dass der Vorsitzende Richter, Manfred Götzl, einer Auswechslung ihrer Pflichtverteidiger im NSU-Prozess zustimmt?

Klaus Kirchner: Ihre Chancen sind 50 zu 50. Nach Paragraph 141 Absatz vier der Strafprozessordnung ist der Vorsitzende Richter Manfred Götzl zuständig für die Bestellung von Pflichtverteidigern. Nach Paragraph 142 hat Frau Zschäpe Gelegenheit, neue Pflichtverteidiger zu benennen. Einen Rechtsanspruch hat sie nicht. Es bleibt eine Ermessenentscheidung des Gerichts.

In Zschäpes Schreiben an Götzl erhebt sie offenbar nicht nur schwere Vorwürfe gegenüber ihrer Anwältin Anja Sturm, sondern auch gegenüber ihren zwei weiteren Pflichtverteidigern. Würde der Prozess platzen, wenn alle drei Pflichtverteidiger ausgetauscht werden?

Nein, das würde er nicht. Das sind teilweise schwere Vorwürfe. Das könnte gefährlich für die Anwälte werden. Aber es gilt, dass bei einer sogenannten Entpflichtung - besonders bei großen Prozessen - mindestens immer zwei neue Verteidiger bereit stehen müssen, falls einer mal krank wird. Ich könnte mir vorstellen, dass der Prozess maximal 30 Tage lang ausgesetzt wird. In der Zeit müssen sich die neuen Verteidiger in den Prozess einarbeiten und dem Gericht zusichern, dass die Zeit zur Einarbeitung ausreicht. Das wird alles protokollarisch festgehalten.

Oft ist es - besonders bei kleinen Gerichten, nicht aber bei diesem Fall - eine Kostenfrage. Das Gericht kann sich natürlich auf den Bundesgerichtshof beziehen, der sagt: 'In der Hauptverhandlung kann eine Zurücknahme der Bestellung sein, aber nicht zur Unzeit'. Man muss nach zwei Jahren Prozess abwägen, ob man mit neuen Verteidigern an der Stelle weiter verhandeln kann. Das geht natürlich nur dann, wenn die Pflichtverteidiger das Know-How haben.

Berichten zu Folge empfängt Frau Zschäpe während ihrer Haft einen Anwalt, der auch mit ihr das Schreiben an den Richter aufgesetzt haben soll. Könnte er in die Verteidigung Zschäpes einsteigen?

Wenn Frau Zschäpe einen Wahlverteidiger möchte, hat das Gericht sicherlich Bauchschmerzen, denn es ist nicht gesichert, wie sie ihn bezahlen kann. Man kann ja daran denken, er würde von der Presse finanziert oder er will sich einen Namen machen. Sollte das der Fall sein, müsste ein Wahlverteidiger eine Garantie abgeben, dass er an allen Prozesstagen anwesend ist. Angenommen, der wird mal krank, dann platzt der ganze Prozess. Alleine würde das Gericht ihn nicht tolerieren, nur mit einem oder zwei weiteren Pflichtverteidigern. Solche Details kann man durch Einarbeitung in einer Prozesspause regeln.

Die Aktenberge sind bei dem NSU-Prozess enorm, von mehr als 80.000 Seiten ist die Rede. Hinzu kommen die Protokolle der über 200 Sitzungstage. Wäre eine Einarbeitung in so kurzer Zeit möglich?

Akteneinsicht in die Protokolle, Absprachen mit der Frau - da müssen sie viel arbeiten und lesen. Technisch geht alles. Der Wahlverteidiger kann natürlich zusätzlich jederzeit in den Prozess parallel einsteigen.

Das Gericht hat bereits eine Auswechslung aller drei Pflichtverteidiger im letzten Jahr abgelehnt. Welche Gründe müssen vorliegen, damit Strafverteidiger entpflichtet werden?

Unüberbrückbare Auffassungsgegensätze ideologischer oder politischer Art sind kein Aufhebungsgrund, sagt die Rechtsprechung. Ebenso auch Differenzen mit ihren Anwälten über einen Wechsel der Verteidigungsstrategie. Dass sich Angeklagte und Verteidiger oft über die Verteidigungsstrategie uneins sind, ist normal. Sie hat eine Erklärung durch ihren Wahlverteidiger abgegeben. Ein Widerruf der Stellung der Pflichtverteidiger ist möglich, wenn ein triftiger Grund vorliegt. Der liegt nur vor, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen ihr und ihren Verteidigern gestört ist.

Nachweisliche Untätigkeit berechtigt auch zum Widerruf, wenn irgendeiner sie auf einen Abschluss einer Honorarvereinbarung gedrängt hat oder eine grobe Pflichtverletzung vorliegt. Wenn jemand unwillig ist oder sich ernsthaft weigert, sie sachgemäß zu verteidigen kann das als grobe Pflichtverletzung zum Widerruf führen. Also wenn das Vertrauensverhältnis so erschüttert ist, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann. Das sagt auch der Bundesgerichtshof. Sie muss natürlich die Störung des Vertrauensverhältnisses substanziiert darlegen. Pauschale Vorwürfe gegen Verteidiger würden Entpflichtungen nicht rechtfertigen.

Ihre Verteidiger hätten Frau Zschäpe mit dem Ende des Mandats gedroht, sollte sie zu einzelnen Anklagepunkten aussagen wollen, heißt es angeblich in dem Schreiben. Kann Frau Zschäpe den Richter mit der Aussicht auf eine möglichen Aussage unter Druck setzen?

Das ist schon schlimm, das ist teilweise strafrechtlich fast Erpressung. Wenn sie sagt, sie will eine Aussage machen, dann steht es ihr selbstverständlich frei. Sie kann jederzeit auch ein Geständnis oder Teilgeständnis ablegen, Beweisanträge stellen, neue Zeugen benennen oder teilweise aussagen, bevor mit einem anderen Komplex angefangen wird. Das Geständnis wäre strafmildernd. Je früher, desto größer ist die Strafmilderung.

Klaus Kirchner ist Anwalt für Strafrecht in Düsseldorf. Er hat Hans-Jürgen Rösner nach der sogenannten Geiselnahme von Gladbeck vor dem Landesgericht Essen verteidigt.