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Wirbel um Kapitalismus-Schelte

19. April 2005

Boykottaufrufe gegen Unternehmen, die Stellen streichen. Kapitalisten als "Gefahr für die Demokratie". Mit solcher Kritik macht die SPD derzeit Furore. Unklar ist, wie viel davon zum bloßen Wahlkampf-Getöse gehört.

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SPD-Parteichef Müntefering: "Manche Investoren sind wie Heuschrecken"Bild: dpa Zentralbild

Die stellvertretende Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten, Ute Vogt, hat am Dienstag (19.4.2005) indirekt zum Boykott von Unternehmen aufgerufen, die Arbeitsplätze abbauen. Kunden sollten "auch das Verhalten von Unternehmen beachten" - und Firmen meiden, die sich nicht sozial engagieren oder die "im großen Stil" Menschen entlassen würden.

Vogt wollte später doch nicht mehr von "Boykott" sprechen. Allerdings schlägt sie in die gleiche Kerbe wie kurz zuvor der SPD-Parteichef Franz Müntefering. Er sagte der Zeitung "Bild am Sonntag", manche Finanzinvestoren würden keinen Gedanken verschwenden an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichteten: "Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschrecken über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter."

Müssen Unternehmen mehr einstellen…

Mit der Kritik am Verhalten der Großkonzerne hat die Partei eine heftige Diskussion darüber losgetreten, wer für die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland verantwortlich ist. Muss die Regierung kräftiger reformieren oder müssen die Unternehmen mehr Leute einstellen? Bundeskanzler Gerhard Schröder gab Müntefering Schützenhilfe: Er habe schon in einer Regierungserklärung darauf hingewiesen, dass "wirtschaftliche Tätigkeit auch gesellschaftliche Verantwortung bedeuten muss", erklärte Schröder.

Andere führende SPD-Politiker schlossen sich der Kritik an - zum Beispiel der Arbeits- und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement. Auch der Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), Hubertus Schmoldt, forderte die Unternehmen auf, wieder mehr Menschen einzustellen. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer unterstrich die Wirtschafts-Kritik von Müntefering. "Die Wirtschaft hat über Jahrzehnte immer neue Geschenke von der Politik eingestrichen - die dafür versprochenen Arbeitsplätze aber nie geliefert."

…oder die Regierung schneller reformieren?

Opposition und Industrie sehen die Lage dagegen anders und schießen kaum weniger hart zurück. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun, forderte in der Chemnitzer Freien Presse "mutige Reformen für morgen statt falsche Weltbilder von gestern". Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt schimpfte, Münteferings Äußerungen seien unberechtigt und realitätsfremd. Die Christdemokraten bezeichneten Münteferings Äußerungen als "übles Geschäft mit der Angst der Menschen". Diese "parteipolitisch auszunutzen, ist das moralisch Niederste, was ein Politiker tun kann", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der

Unionsfraktion, Norbert Röttgen (CDU).

Programm oder Weckruf für Stammwähler

Politischer Aschermittwoch CSU Edmund Stoiber
Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU): 'Kapitalismus-Kritik schadet Deutschland'Bild: AP
Die Debatte ist knapp fünf Wochen vor der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen (22.5.2005) ausgebrochen. Der Präsident des Industrieverbandes BDI, Jürgen Thumann, glaubt zwar, die Attacke gegen Raubtier-Kapitalisten sei "nicht nur Wahlkampfrhetorik" gewesen. Andere SPD-Gegner kritisieren aber, die Sozialdemokraten wollten bloß ihre Stammwähler locken. Schließlich, erklärte zum Beispiel der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), habe Bundeskanzler Schröder zum Jobgipfel noch Steuererleichterungen für die jetzt so massiv kritisierte Wirtschaft in Aussicht gestellt. DIHK-Präsident Braun rechnet damit, dass "der Spuk" nach den Landtagswahlen vorbei sei. (reh)