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"Wir wollen keine Balkanisierung der EU"

Jasmina Rose30. Juni 2016

Kanzlerin Merkel empfängt heute die Präsidentschaft von Bosnien-Herzegowina. Dort herrscht seit Jahren wirtschaftlicher und politischer Stillstand. Die Hintergründe erläutert Politikwissenschaftler Michael Brand.

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Präsidium Bosnien und Herzegowina in Sarajewo (Foto: Präsidium Bosnien und Herzegowina Sarajevo )
Das Präsidium Bosnien und Herzegowinas in SarajewoBild: Präsidium Bosnien und Herzegowina

DW: Herr Brand, die Perspektive der Mitgliedschaft in der EU gilt als Stabilisierungsfaktor für die Balkanländer, das hat Kanzlerin Merkel mehrmals betont. Ist nach dem Brexit der Weg Bosniens in die EU gefährdet?

Michael Brand: Europa und Deutschland haben sicherlich eine moralische Verpflichtung gegenüber Bosnien und auch ein eigenes Interesse an Stabilität. Aber in der EU und auch in Deutschland sind viele müde von den ewigen Ankündigungen der bosnischen Politik, die dann nicht umgesetzt werden. Und die Bedeutung des Landes wird durch diese Verweigerungshaltung sicher nicht größer - auch angesichts der Herausforderungen wie bei den Themen Sicherheit, Flüchtlinge und Brexit. Deswegen muss die politische Klasse Bosniens endlich liefern. Es bleibt dabei: Es liegt an den bosnischen Herren und nicht an Angela Merkel und der EU, die Hausaufgaben zu erledigen.

Die Internationale Gemeinschaft hat mit den Bestimmungen in dem Friedensabkommen von Dayton wesentlich dazu beigetragen, dass sich Bosnien in so einer verzwickten Lage befindet. Sollte die Kanzlerin jetzt, wo die Politiker aus Bosnien sich nicht einigen können und selbst eingestehen, dass sie nicht liefern können, die Initiative ergreifen und dem Hohen Repräsentanten grünes Licht geben, von den sogenannten "Bonner Befugnisse" Gebrauch zu machen?

Mein Eindruck ist, dass viele der politischen Klasse in Bosnien und Herzegowina ganz gut mit den Blockaden leben. Den Preis dafür zahlen allerdings die normalen Bürger. Das macht mich wütend, und das macht auch viele Freunde in Bosnien wütend. Ich habe mehrmals gesagt, dass diese Dayton-Verfassung nicht dazu geeignet ist, dass Bosnien auf einen grünen Zweig kommt. Aber es gibt eine Reihe von Politikern, die offensichtlich sehr gut damit leben können, dass dieser Staat nicht funktioniert. Denn sie reden sehr zwar über eine Reformagenda, aber konkret getan wird wenig. Es passiert viel Augenwischerei, und das wird in Berlin und in anderen Hauptstädten gesehen. In der Justiz, der Rechtsstaatlichkeit oder bei der Verwaltungsreform gibt es keine Fortschritte. Was wir in Bosnien und Herzegowina erleben ist verbreitete Korruption, und ein Parteistaat, wo selbst der Pförtner im Krankenhaus ein Parteibuch braucht, um eingestellt zu werden.

Michael Brand (Foto: Michael Brand/dpa )
Michael Brand ist Mitglied des Bundestages und Balkan-KennerBild: picture-alliance/dpa/Michael Brand

Deswegen geht der Appell an alle Beteiligten in Bosnien, endlich zu sehen, dass die Chancen für das Land nicht größer werden, wenn man sich den notwendigen Hausaufgaben verweigert. Mehr an die Interessen der eigenen Bürger zu denken und weniger an die eigene Partei und vor allen Dingen an die eigene Tasche zu denken - das sind Forderungen, die ich erhebe

Das serbische Mitglied der dreiköpfigen Präsidentschaft lehnt ab, das adaptierte Abkommen für Stabilisierung und Assoziierung mit der EU zu unterstützen. Was kann Angela Merkel jetzt am Donnerstag tun, wenn ihr das serbische, das kroatische und das bosnische Mitglied der Bosnisch-Herzegowinischen Präsidentschaft in Berlin begegnen?

Eines ist klar: Wenn weiter blockiert wird, wird es keine nächsten Schritte geben. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Bundeskanzlerin versuchen wird, auch ihren Beitrag zu leisten, damit man in Bosnien einen Schritt weiterkommt. Aber noch einmal: Es ist jetzt nicht an der Zeit, dass die Bundeskanzlerin ihre Hausaufgaben erledigen muss oder andere EU-Länder! Als Freund Bosniens bin ich sehr dafür, den Druck auf die politische Klasse aufrecht zu erhalten, endlich das zu tun, wofür sie gewählt sind und nicht ständig "ihr eigenes Süppchen zu kochen" auf Kosten der Menschen in Bosnien.

Deutschland Bosnien Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Besuch in Sarajevo (Foto: DW/Samir Huseinovic)
Vor einem Jahr war Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Besuch in SarajewoBild: DW/S. Huseinovic

Wie lange will man noch warten? Könnten nicht die EU oder auch die Kanzlerin mit klaren Konsequenzen drohen?

Ich glaube, dass Deutschland und die EU sich stärker um Bosnien und Herzegowina kümmern müssen. Man muss mehr tun muss und vor allen Dingen mehr Druck aufrechterhalten. Denn eins ist ganz offensichtlich: Die politischen Eliten einigen sich immer dann, wenn die nächsten Auszahlungen bevorstehen. Hier gibt es also ein Druckmittel auf die politische Klasse. Ich würde mir allerdings auch wünschen, dass die Bürger in Bosnien mehr Druck machen und sich das nicht gefallen lassen. Es ist zwar gut, Druck auf die bosnische Politik zu machen, aber etwas sollte man nicht aus den Augen verlieren: Bosnien ist nicht der Nabel der Welt, und deswegen müssen die bosnischen Verantwortlichen endlich begreifen, dass ihre Spielereien ein Ende haben müssen. Angesichts der Herausforderungen in der Welt ist die Bedeutung Bosniens nicht gestiegen.

Was kann der Brexit für die EU-Integration von Bosnien und Herzegowina bedeuten?

Die Gleichung wird sicherlich nicht sein: Großbritannien hat jetzt entschieden aus der EU auszusteigen, dafür werden jetzt im Gegenzug andere Länder automatisch aufgenommen. In Europa gibt es gemeinsame Wertevorstellungen und Vereinbarungen. Und die Vereinbarungen, die getroffen werden, müssen gegenseitig eingehalten werden.

Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass der westliche Balkan und Bosnien-Herzegowina eine Perspektive in Richtung der EU brauchen. Aber eins ist doch klar: Mit der Integration des Westlichen Balkans wollen wir eine Stärkung und keine Balkanisierung der EU.

Michael Brand (CDU) ist ein deutscher Politikwissenschaftler und seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er gilt als Kenner der Lage auf dem Balkan - insbesondere in Bosnien und Herzegowina, wo er studiert hat.